Nils SchmidSPD - Deutsch-Französische Zusammenarbeit
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei mir zu Hause gibt es eine Champignystraße. Bis 1918 wurde in Deutschland der Sedantag gefeiert. Noch in der Nachkriegszeit hat die ältere Generation in Deutschland manchmal von den „Franzmännern“, in Frankreich von den „Boche“ geredet.
Dass wir heute, 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, das alles nicht mehr tun – keinen Sedantag mehr feiern, keine Straßen mehr nach Siegen über französische Armeen benennen, nicht mehr von „Boche“ und „Franzmännern“ reden –, ist ein großes Geschenk. Und es ist eine große Errungenschaft nach mehreren deutsch-französischen Kriegen, dass die deutsch-französische Freundschaft heute gefestigt ist und sich die europäischen Staaten in der Europäischen Union zum gegenseitigen Vorteil zusammengeschlossen haben. Wir wollen heute, an diesem historischen Gedenktag, den wir heute Vormittag ja schon begangen haben, auch in Erinnerung rufen, dass nach Generationen, die nichts anderes als Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gekannt haben, zwei Generationen herangewachsen sind, die nur Frieden zwischen Deutschland und Frankreich und in Europa kennen. Das ist großartig, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wenn die große Versöhnungsarbeit, die große Einigungsarbeit erst nach dem Schrecken und den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gelungen ist, so wollen wir doch aus Anlass dieses historischen Datums des Waffenstillstands daran erinnern, dass erste Versuche, erste Schritte zur Versöhnung, erste Schritte zur Einigung Europas schon nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs unternommen worden sind. Heute reden wir viel von Multilateralismus und regelbasierter Weltordnung. Der erste Versuch war der Völkerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen worden ist. Das war der Vorläufer der Vereinten Nationen. Wir sollten – ähnlich wie mit Blick auf die Weimarer Republik – diese Versuche nicht nur als letzten Endes historisch gescheitert abtun, sondern auch daran erinnern, dass schon nach diesem furchtbaren Ersten Weltkrieg Politiker aus allen Ländern versucht haben, Lehren daraus zu ziehen, und dass sie die Ansätze einer regelbasierten multilateralen Weltordnung aufgebaut haben. Wir sollten daran erinnern, dass die ersten Versuche der deutsch-französischen Aussöhnung ebenfalls in diese erste Nachkriegszeit gefallen sind. Briand und Stresemann sind genannt worden. Ich will einmal sagen: Von der rechten Seite des damaligen Reichstags wurde Stresemann als Erfüllungspolitiker verunglimpft. Auch daran muss man erinnern, wenn wir die Mühen und die langen Wege der Versöhnung heute, an diesem Tag, wieder ins Gedächtnis rufen.
(Beifall bei der SPD)
1925 hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein Grundsatzprogramm verabschiedet, in dem die Vereinigten Staaten von Europa als Vision auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Das ist auch Teil der Nachkriegsgeschichte nach 1918, und es ist gut, dass heute ein Teil dieser Vision verwirklicht worden ist und dass wir mit der Neuformulierung des Élysée-Vertrags, die gerade verhandelt wird, die deutsch-französische Freundschaft stärken wollen.
Es ist ein besonderer Fortschritt, dass Assemblée nationale und Deutscher Bundestag ein Parlamentsabkommen vereinbart haben, das in den nächsten Wochen auch in diesem Hohen Haus zur Ratifizierung gelangen wird, mit dem die Verzahnung der politischen Zusammenarbeit, der Austausch der politischen Kultur und auch der Aufbau einer gemeinsamen demokratischen Kultur zwischen Deutschland und Frankreich auf eine ganz neue Stufe gehoben werden. Ich freue mich sehr und bedanke mich auch bei allen, die daran mitgewirkt haben, dass wir aus Anlass des Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags im Januar des nächsten Jahres dann diesen Vertrag unterzeichnen können. Das ist ein weiterer Baustein zur deutsch-französischen Versöhnung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Gerade das sollte auch Anlass sein, noch einmal in Erinnerung zu rufen, was die Triebkräfte für den Ersten Weltkrieg waren. Ja, es war der Nationalismus. Deshalb gilt immer noch das politische Vermächtnis des großen französischen Staatspräsidenten Mitterrand, der gegen Ende seiner Amtszeit in Erinnerung gerufen hat: „Le nationalisme, c‘est la guerre“. Diese Gleichung vergessen manche dank der großartigen Nachkriegszeit, der Friedenszeit in Europa. Aber es gilt unverändert, meine sehr verehrten Damen und Herren: Nationalismus bedeutet Krieg. Deshalb gilt es, Nationalismus in seinen Anfängen entschieden entgegenzutreten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da wir ja heute den Gedenktag an die Ausrufung der Republik haben, erlaube ich mir, mit den Sätzen zu schließen: Es lebe die deutsche Republik! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Es lebe die Europäische Union!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Dr. Schmid. – Nächster Redner: Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7289799 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch-Französische Zusammenarbeit |