Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Deutsch-Französische Zusammenarbeit
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg mit bis zu 19 Millionen toten Soldaten und Zivilisten links und rechts des Rheins – in Europa, im Nahen Osten, in Afrika und Ostasien. Es war der erste Krieg, bei dem systematisch Gas und chemische Waffen zum Einsatz kamen. Eine der grausamsten Schlachten war der Angriff deutscher Truppen auf Verdun. Unsere Urgroßväter und Urgroßmütter, ob Franzosen oder Deutsche, wurden von diesem Krieg gezeichnet. Wir verneigen uns vor den Französinnen und Franzosen, die Deutschland nach zwei Weltkriegen die Hand reichten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Fraktion möchte sich ausdrücklich beim Bundespräsidenten bedanken, der heute früh ein weiteres wichtiges Ereignis, den Aufstand der Kieler Matrosen, würdigte, die sich ebenfalls vor 100 Jahren gegen eine kriegstrunkene Obrigkeit auflehnten und das Ende der Monarchie besiegelten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ihre Hoffnungen auf ein gerechtes und friedliches Deutschland wurden jedoch enttäuscht. Dies mündete im Faschismus und seinem Bündnis mit der deutschen Industrie, im Zweiten Weltkrieg mit über 60 Millionen Toten und dem Massenmord an Europas Jüdinnen und Juden. Diese Verbrechen waren nicht nur Verbrechen an der gesamten Menschheit, sondern sie waren auch Verbrechen an Deutschland, Verbrechen an dem Deutschland Manns, Rilkes, Schuberts, Zetkins und Brechts.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Daher ist es in diesem Haus unsere gemeinsame Pflicht, dafür zu sorgen, dass in diesem Land nie wieder jene ans Ruder kommen, die heute wieder vom nationalen Größenwahn besoffen sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Euro-Krise, die verheerende Kürzungspolitik, die Stellvertreterkriege im Nahen und Mittleren Osten, die Staatenzerfall, Terror und Flucht schaffen, haben die EU in eine tiefe Krise geführt. Die EU hat aber nur eine Zukunft, wenn sie sozialen Zusammenhalt, Abrüstung und Frieden stiftet und den Interessen einer Mehrheit der 500 Millionen EU-Bürger dient.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])
Eine EU mit noch 28 Mitgliedstaaten hat aber viele Vetospieler, die häufig Fortschritte blockieren. Eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit ist daher notwendig. Für Frankreich war es beim ersten Élysée-Vertrag wichtig, dass Europa unabhängiger von den USA wird. Ein neuer Élysée-Vertrag, der der Aufrüstung Europas dient, oder eine europäische Armee, die den Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen schwächt, wie es bereits in den EU-Verträgen angelegt ist, werden den Herausforderungen unserer Zeit jedoch nicht gerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine Lehre aus der Geschichte lautet: Europa muss abrüsten, nicht aufrüsten, und den Dialog mit Russland suchen.
Wir halten es für einen großen Fehler – ich sage das nicht aus billigem parteipolitischen Kalkül –, wenn der deutsche Finanzminister mit Emmanuel Macron zehn Jahre nach der Finanzkrise eine echte Finanztransaktionsteuer beerdigt. Eine Börsenumsatzsteuer, die Derivate, also Finanzwetten, ausnimmt, untergräbt die europäische Zusammenarbeit, weil sich kleinere Staaten an einer solchen Steuer gar nicht erst beteiligen werden, da der Aufwand sich für sie nicht lohnt.
Wir halten es ebenso für einen großen Fehler, wenn der deutsche Finanzminister eine gerechte Besteuerung von Internetgiganten wie Google blockiert und stattdessen auf die OECD verweist,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Thema zu tun?)
wo es um noch mehr Steueroasen geht als in der EU und wo auch die USA blockieren. Warum nutzen Deutschland und Frankreich die verstärkte Zusammenarbeit statt für Aufrüstung nicht einmal für Mindest- bzw. Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen? Dies hätte einen echten Nutzen für die Bürger in Europa.
(Beifall bei der LINKEN)
Warum nicht eine Abschöpfung hoher Vermögen in Deutschland und Frankreich nach dem Vorbild des deutschen Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es der französische Ökonom Thomas Piketty fordert? Damit ließen sich öffentliche Investitionen in die grenzüberschreitende Infrastruktur finanzieren oder die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich bekämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir halten es auch für einen großen Fehler, wenn die Bundeskanzlerin und Herr Macron trotz der Euro-Krise weiter die Kürzung von Löhnen, Renten und öffentlichen Investitionen betreiben.
Die chronischen Exportüberschüsse Deutschlands und mittlerweile auch der Euro-Zone münden in Handelskriegen und begünstigen neue Schuldenkrisen. Warum nicht öffentliche Investitionen vom Stabilitäts- und Wachstumspakt, von den Defizitkriterien von Maastricht ausnehmen, da sie auch Vermögen für zukünftige Generationen stiften? Bei den Rüstungsinvestitionen haben Deutschland und Frankreich dies diskutiert. Warum nicht bei Krankenhäusern, Universitäten oder Schulen?
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Fraktion begrüßt eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit – ich selbst war an den Verhandlungen über das Parlamentsabkommen beteiligt –, sie muss aber die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächste Rednerin: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7289800 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch-Französische Zusammenarbeit |