Andrea NahlesSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lindner, Sie haben ja in einem Punkt absolut recht:
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Otto Fricke hat Geburtstag! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese Haushaltsdebatte findet tatsächlich im Zeichen einer sehr, sehr großen Zäsur statt. Großbritannien wird die Europäische Union verlassen – ob mit oder ohne Brexit-Deal –; das ist tatsächlich eine echte, große Zäsur.
Deswegen muss heute von diesem Parlament, von diesem Ort aus auch ein Signal ausgehen, nämlich dass die Vertiefung der europäischen Einigung, die Zusammenarbeit in Europa durch den Brexit nicht ins Stocken geraten wird. Dafür müssen wir zusammen mit Frankreich und unseren europäischen Partnern sorgen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wir sagen: Für uns ist die europäische Zusammenarbeit nicht ein Problem. Die Vertiefung der Europäischen Union ist für uns vielmehr die Antwort.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir konkret werden. Das heißt nämlich zum Beispiel, dass es uns nie wieder passieren darf, Herr Lindner, dass uns eine Finanzkrise wie 2008 so kalt erwischt. Insofern ist Ihr Befund in Bezug auf Italien komplett richtig. Leider ist Ihre Antwort nicht richtig. Denn es geht nicht darum, dass wir in einer Phase, wo einzelne Länder ins Straucheln zu geraten drohen, die Währungsunion infrage stellen, sondern es geht darum, dass wir mehr Einfluss nehmen, dass wir die Zügel in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass wir diese Krise gemeinsam abwenden können.
(Beifall bei der SPD)
Und deswegen brauchen wir auch die Europäische Währungsunion sowie eine Bankenunion. Wir müssen an dieser Stelle mehr Zusammenarbeit wagen und unsere eigene Währung stabilisieren. Ihre Antwort ist grundfalsch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Europa muss auch konkret werden, wenn es um Investitionen geht. Es geht um die soziale Dimension Europas, also zum Beispiel um eine europäische Arbeitslosenrückversicherung. Und es geht natürlich ganz konkret auch darum, dass Europa die Zukunft gestaltet. Dazu gehört für mich nun einmal eine klare Antwort Europas auf die Frage, wie sich die große Plattformökonomie auf diesem Planeten bewegt. Da muss Deutschland für die soziale Marktwirtschaft eintreten. Deswegen brauchen wir eine Besteuerung von digitalen Unternehmen – international. Wir brauchen eine Mindestbesteuerung überall auf der Welt. Für den Fall, dass das nicht kurzfristig erreichbar ist, wollen wir noch im Dezember zusammen mit den Franzosen – das hat Olaf Scholz hier gestern angekündigt – einen gemeinsamen Vorschlag machen, wie wir eine Digitalsteuer auf europäischer Ebene umsetzen wollen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist die Antwort. Mehr Europa ist die Antwort, nicht weniger Europa.
Ich glaube, dass wir mit unserem Haushalt in diesen Zeiten, wo wir sehr gut dastehen, wo es aber, wie wir sehen, auch Risiken gibt, sehr genau überlegen müssen: Wo setzen wir die Prioritäten? Es ist nun einmal so, dass der Brexit verunsichert. Es sorgt für Unruhe, wenn China und die USA sich in einen Handelskrieg bewegen. Es ist so, dass wir hier im dritten Quartal eine leicht zurückgehende Wirtschaftsleistung haben. Deswegen muss man einen Investitionshaushalt vorlegen. Das tun wir mit diesem Haushalt. Die 155 Milliarden Euro, die wir hier investieren, sind eine Rekordsumme, alleine 39 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist ein klares Signal, dass wir die Zeichen der Zeit richtig erkannt haben.
(Beifall bei der SPD)
Ich will auf die Digitalisierung eingehen; Frau Bundeskanzlerin hat es auch gemacht. Die Digitalisierung ist ein Schwerpunkt. Es gibt einen Bereich in Deutschland, wo die Digitalisierung wirklich dringend wird: an den Schulen. Ich möchte deswegen sehr klar sagen: Wir haben das Geld. Das Geld ist da, um an dieser Stelle ein Upgrading, um es einmal so auszudrücken, hinzukriegen. Um den Weg dahin gehen zu können, brauchen wir aber noch eine Grundgesetzänderung. Wir sind mit den Grünen, mit der FDP – dafür möchte ich mich bedanken – in intensiven Beratungen, um den Weg dafür freizumachen. Wir brauchen eine Modernisierung der Schulen. Wir müssen an dieser Stelle endlich das Kooperationsverbot aufbrechen, damit das möglich wird. Der Bund muss sich hier engagieren. Er will sich engagieren. Das Geld dafür ist da, und das müssen wir jetzt auch ermöglichen.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass es tatsächlich sehr wichtig ist, dass wir in diesem Parlament die richtigen Fragen stellen. Da geht es beim Thema Digitalisierung nicht immer nur um Geld, da geht es sehr wohl auch um Regulierung. Wir müssen die Frage stellen: Wer darf eigentlich die Daten nutzen, die überall gesammelt werden? Sind es nur die Monopole, die sich herausbilden, die diese Daten sammeln, verwerten, verkaufen und daraus Innovation ableiten dürfen? Wir müssen persönliche Daten schützen, aber auch Daten dem Markt zur Verfügung stellen: Start-ups, deutschen Unternehmen. Deswegen schlagen wir von der SPD vor, an dieser Stelle einen Schritt weiter zu gehen. Ein Datensharinggesetz, ein Daten-für-alle-Gesetz ist der Weg der Wahl, um an dieser Stelle tatsächlich Marktwirtschaft, Freiheit des Einzelnen und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Da müssen wir größer denken als nur in Geld. Es geht bei dieser Frage auch um Regulierung und neue Weichenstellungen.
(Beifall bei der SPD)
Lassen Sie uns die 5G-Versteigerung nutzen, damit auch bei mir in der Eifel endlich das schnelle Internet ankommt.
(Beifall des Abg. Markus Herbrand [FDP])
Es ist nur eine kleine Randbemerkung. Aber Entschuldigung: Es wäre jetzt wirklich einmal an der Zeit. Wir reden die ganze Zeit über bezahlbares Wohnen in den Städten. Der eine oder andere würde es sich überlegen, auch weiter sehr schön und sehr gut auf dem Land zu leben, wenn wir überall schnelles Internet hätten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das wäre auch eine Maßnahme für den Bundesinnenminister, an dieser Stelle für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Deswegen hat die 5G-Versteigerung auch bei diesem Haushalt eine hohe Priorität.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte darüber hinaus sehr klar einen Akzent setzen: Dieser Haushalt legt an vielen Stellen die Grundlage für Chancengleichheit. Chancengleichheit ist ein Ziel, aber leider nicht die Realität. Ich möchte das am Beispiel der Kitas in Deutschland deutlich machen. Wir wollen ein Gute-Kita-Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir uns als Bund wie noch nie in Deutschland verpflichten, für die Qualitätsverbesserung in den Kitas mit Sorge zu tragen. Wir haben unter Rot-Grün auf Bundesebene für die Infrastruktur gesorgt. Aber jetzt brauchen wir eine Qualitätsoffensive; dazu haben wir uns entschlossen. Deswegen kann ich an dieser Stelle nur darum bitten, dass wir auch hier möglich machen, was bisher nicht möglich ist, nämlich dass der Bund auch da vor Ort hilft. Es geht um Qualität, aber es geht auch um die Entlastung von Familien.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist wichtig, dass über das Gute-Kita-Gesetz auch Gebührenfreiheit ermöglicht wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir werden dafür sorgen, dass es bundesweit gestaffelte Gebühren gibt bis hin zur Gebührenfreiheit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das ist aus meiner Sicht ein zentraler Punkt, weil es teilweise Hunderte Euro pro Monat sind, die auch Menschen, die nicht der gehobenen Mittelschicht angehören,
(Johannes Kahrs [SPD]: Und zwei Flugzeuge haben!)
aufbringen müssen. Davon sollten wir sie aus meiner Sicht ganz dringend entlasten.
(Beifall bei der SPD)
In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt zu nennen. Wir wollen auch bei der Bildung einen Schwerpunkt setzen, nämlich bei der Weiterbildung in den Betrieben. Auch die brauchen wir für den Transformationsprozess. Deswegen bin ich sehr froh, dass Hubertus Heil hier die Qualifizierungsoffensive wagt. Die Bundesagentur für Arbeit wird sich in Zukunft auch um Weiterbildungsberatung kümmern. Sie wird präventiv agieren können, nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und es Transfergesellschaften gibt, sondern bevor Menschen dequalifiziert werden. Bevor Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, wird präventiv in die Betriebe investiert, in die betriebliche Weiterbildung. Das machen wir möglich, dafür geben wir Geld. Das ist richtig investiertes Geld in diesem Bundeshaushalt.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte darüber hinaus eine Sache ansprechen. Mit diesem Haushalt wird in den richtigen Bereichen investiert, in Chancengleichheit, in Bildung; aber er sorgt natürlich auch für Sicherheit. Es gibt zwei Dimensionen von Sicherheit. Die eine Dimension ist die soziale Sicherheit. Das gehen wir ganz massiv bei der Altersvorsorge an. Ich sage an dieser Stelle: Es ist wirklich groß an dem Gesetz, dass wir die Renten endlich wieder an die Löhne koppeln,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dass in dem Moment, in dem die Löhne steigen, auch die Renten steigen. Das bedeutet, dass wir die Rentenformel ändern. Dafür stellt dieser Bundeshaushalt die Finanzierung zur Verfügung. Sonst wäre das gar nicht möglich. Es geht aber auch darum, die Sicherheit zu schaffen, dass man auch im Alter, wenn man nicht mehr arbeiten kann, gut leben kann. Deswegen ist das ein entscheidender Meilenstein.
Wenn man im Alter pflegebedürftig wird, ist man darauf angewiesen, dass es genügend Pflegekräfte in diesem Land gibt, und diese müssen auch anständig bezahlt werden. Deswegen hat diese Bundesregierung die Kraft aufgebracht, die größte Pflegereform seit 15 Jahren zu machen. Das haben wir dadurch geschafft, dass wir uns einig waren und gesagt haben: Wir müssen wieder mehr Mittel für die Einstellung von Pflegekräften zur Verfügung stellen. – Die Pflegekosten in den Krankenhäusern werden wieder eins zu eins von den Krankenkassen übernommen.
(Beifall bei der SPD)
Was für ein epochaler Schritt! Das ist etwas, was die Menschen tatsächlich spüren werden. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir mit diesem Haushalt auch soziale Sicherheit schaffen.
Aber es geht nicht nur um soziale Sicherheit. Es geht auch um einen handlungsfähigen Staat. An dieser Stelle will ich auf etwas hinweisen, was viele vielleicht noch gar nicht in dem Maße würdigen. Es ist so, dass wir im Bereich „Bundespolizei und Bundeskriminalamt“ 3 120 Stellen zusätzlich schaffen. Ich glaube, wir haben an dieser Stelle viele Jahre zu wenig gemacht. Seit einigen Jahren haben wir – auch auf Länderebene; das muss man klar sagen – den Hebel herumgedreht. Wir legen jetzt da, wo es wirklich dringend nötig ist, die Messlatte richtig. 3 120 Stellen sind, für sich genommen, ein Riesenblock. Vor allem werden Tausende sachgrundlos befristete Stellen mit diesem Haushalt entfristet.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])
Wir haben da als Bund, mit Verlaub, auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir auf Bundesebene sachgrundlose Befristungen nicht beenden, dann können wir uns schlechterdings nicht an die Privatwirtschaft wenden und sagen: So, macht ihr mal! Wir kriegen das nicht hin. – Deswegen ist dieser Haushalt, wie auch schon der letzte Haushalt, ein Durchbruch in Richtung Entfristung. Das ist für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für die Privatwirtschaft ein wichtiges Signal, das von diesem Bundeshaushalt ausgeht.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])
Wenn ich von Sicherheit spreche, dann heißt das auch, dass ein Staat die Regeln, die er aufstellt, erst nimmt. Wir erhöhen den Mindestlohn ab Januar 2019 auf 9,19 Euro, dann auf 9,35 Euro. Wenn man aber einen Mindestlohn hat, dann sollte er auch überall gelten. Wir haben auch eine Behörde, die das sicherstellt; das ist der deutsche Zoll. Ich freue mich, dass wir auch an dieser Stelle konkret werden und 775 zusätzliche Zollstellen schaffen,
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
damit es nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität einen Mindestlohn gibt, damit Schwarzarbeit bekämpft wird und wir auch mehr für die Steuerfahndung machen können.
(Beifall bei der SPD)
Viele in unserem Land, die hart arbeiten und ihre Familien sehr gut durchbringen, merken oft am Ende des Monats, wie knapp es in der Kasse ist. Wir haben deswegen ein Familienentlastungsgesetz auf den Weg gebracht und auch finanziert. Es geht um 9,8 Milliarden Euro Entlastung. Mitte nächsten Jahres wird es 10 Euro mehr Kindergeld geben. Es wird im Übrigen auch eine Abflachung der Progression geben, damit das Geld in den Familien auch ankommt.
Wir reden oft über diejenigen, die Transferleistungen bekommen. Dieser Haushalt ist einer, der genau auf die guckt, die arbeiten, die Steuern und Beiträge zahlen. Wir haben hier ganz klare Akzente gesetzt. Mich freut besonders, dass wir es hingekriegt haben, dass die Menschen im unteren Einkommensbereich, die Geringverdiener – 3,5 Millionen Menschen verdienen nur 1 300 Euro; verdienen würden sie vielleicht mehr, aber sie bekommen nicht mehr –, ab Mitte 2019 einen reduzierten Rentenbeitragssatz zahlen – das ist sozusagen im großen Rentenpaket versteckt –,
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist ein Durchbruch!)
aber trotzdem volle Rentenansprüche haben. Das ist eine Maßnahme, die das Ziel verfolgt, dass der, der hart arbeitet und sich an die Regeln hält, bei Rente und Gehalt spürbar über der Grundsicherung liegt. Dafür haben wir diese Maßnahme miteinander verabredet und finanziert.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])
Das sind einige Hundert Millionen Euro, gut investiertes Geld für Geringverdiener.
Mit diesem Haushalt wird also nicht nur investiert. Er sorgt nicht nur für mehr Chancengleichheit, nicht nur für soziale und innere Sicherheit, sondern hat auch die Menschen im Blick, die hart arbeiten, die ihre Steuern zahlen und Entlastung brauchen. Das sind die Schwerpunkte dieses Haushaltes. Deswegen ist es ein sehr guter, ein sehr solider Haushalt, der im Übrigen ohne Schulden auskommt, was – das will ich auch noch einmal betonen – eine gemeinsame Leistung dieser Bundesregierung ist. Vielen Dank dafür!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Sahra Wagenknecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7293014 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 64 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |