21.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 64 / Tagesordnungspunkt I.9

Alexander DobrindtCDU/CSU - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Fricke, ich glaube, Sie haben bei Ihrem Beitrag eines vollkommen übersehen:

(Otto Fricke [FDP]: Die CSU!)

Wir haben die längste Phase der Konsolidierung und der soliden Haushalte eingeläutet. So lange wie jetzt war diese Phase noch nie. Sechsmal in Folge einen Haushalt ohne neue Schulden hat es in der Vergangenheit noch nicht gegeben. Deswegen ist es ein Haushalt der Generationengerechtigkeit, den wir hier verabschieden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Bei den Steuereinnahmen!)

Solide Haushaltspolitik: In der Tat geht es natürlich darum. Ausgeglichene Haushalte und Generationengerechtigkeit sind ein Prädikat für gute Finanzpolitik. Wir können den nächsten Generationen, den jungen Generationen heute sagen: Wir leben nicht auf eure Kosten, wir verfrühstücken nicht die Chancen, und wir schaffen keine neuen Lasten für die nächste Generation.

(Christian Lindner [FDP]: Doch! – Christian Dürr [FDP]: Bei der Rente!)

Das ist das, was ich unter guter Finanzpolitik verstehe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diesen Anspruch müssen wir auch einhalten, wenn wir über die Zukunft Europas reden. Wir müssen darauf achten, dass der Haushalt in Europa keine neuen Lasten für die nächsten Generationen schafft. Wir begrüßen deswegen, dass Investitionen ein besonderes Augenmerk in den europäischen Finanzverhandlungen genießen. Wir begrüßen auch, dass es eine Debatte über ein Euro-Zonen-Budget gibt und dass dies innerhalb des EU-Haushaltes abgebildet wird. Wenn wir über Investitionen aus einem europäischen Haushalt, aus einem Haushalt der Euro-Zone reden, muss aber auch klar sein, dass es sich natürlich um zusätzliche Investitionen in den Ländern handeln muss. Es darf nicht nach dem Motto „Investiert wird das, was bisher geplant war, es soll nur ein anderer bezahlen“ gearbeitet werden. Das hilft nicht weiter, wenn es um Wachstum und Chancen in Europa geht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So wird es aber kommen!)

Der Kollege Lindner hat auf die Phase der Unsicherheiten hingewiesen, die wir auf der Welt, aber auch speziell in Europa erleben, und hat am Beispiel Italiens dargelegt, wie unsichere Haushalte, wie zusätzliche Schulden, wie ein Übermaß an sozialen Leistungen auch dazu führen, dass eine finanzielle Schieflage entstehen kann. Ja, wir machen uns alle große Sorgen darüber, wie andere Länder in Europa mit ihren Haushalten umgehen. Aber, Herr Lindner, Sie müssen dann auch die Frage beantworten: Wie halten Sie es denn eigentlich mit den Vorschlägen, die der französische Präsident Macron bezüglich der Zukunft der Haushalte, der Finanzen und der Verteilung in Europa gemacht hat?

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau! – Christian Lindner [FDP]: Ablehnen!)

Sie haben heute hier die Nähe betont,

(Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!)

die Sie gerade zu En Marche auf europäischer Ebene entwickeln.

(Christian Lindner [FDP]: Ich habe den Unterschied angesprochen!)

Dann sagen Sie: Wie halten Sie es mit den Vorschlägen eines gemeinsamen europäischen Finanzministers,

(Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!)

einer europäischen Einlagensicherung,

(Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!)

einem europäischen Sozialfonds,

(Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!)

einer europäischen Arbeitslosenversicherung,

(Christian Lindner [FDP]: Ablehnung!)

die dazu führen soll, dass die Beiträge der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

(Christian Lindner [FDP]: Das ist die Position von Friedrich Merz!)

für die Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten verwandt werden sollen?

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Das war die Position von Merz und Scholz! – Christian Lindner [FDP]: Das war gerade die Position von Friedrich Merz!)

Wir lehnen das ab, weil wir genau wissen, dass damit das Grundprinzip der Generationengerechtigkeit infrage gestellt wird.

Wir werden darauf achten müssen, dass wir bei allen Sozialdebatten, die zurzeit geführt werden, nicht genau dieses Grundprinzip der Generationengerechtigkeit gefährden. Es ist spannend, zu sehen, wie unterschiedlich inzwischen die Agenda 2010 bezüglich der Frage Hartz IV diskutiert wird. Es gibt Vorschläge aus der vergangenen Woche, dass man statt Hartz IV, das man abschaffen könnte, vielleicht ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt. Robert Habeck als Vorsitzender der Grünen hat davon gesprochen, dass die Arbeitslosenversicherung in Deutschland ein System der Demütigung sei – meine Damen und Herren: ein System der Demütigung –, weil er der Meinung ist, dass man von Arbeitslosen nicht einfordern kann, sich Arbeit zu suchen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht seine Begründung! Blödsinn! Sie zitieren falsch! Wieder! Absichtlich!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Arbeitslosensystem, das von Qualifizierung für Arbeitsuchende spricht, das Hilfe und Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bietet, das Teilhabechancengesetz, das wir jetzt mit 4 Milliarden Euro zusätzlich für Langzeitarbeitslose beschlossen haben, um in einem regulären Job auch wieder Chancen auf Teilhabe in einem Arbeitsprozess zu haben und dabei auch noch Unterstützung zu bekommen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Betroffenen!)

damit man wieder in dieses Arbeitsleben eintreten kann, als ein System der Demütigung zu bezeichnen, ist an Ignoranz kaum zu überbieten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten seine Rede noch mal lesen!)

Ich kann Ihnen sagen, ein funktionierender Arbeitsmarkt stärkt mehr den sozialen Zusammenhalt als eine ständige Ausweitung der Sozialsysteme. Deswegen sei der Hinweis erlaubt, dass die Agenda 2010 aus unserer Sicht eines der größten sozialpolitischen Projekte der letzten Jahrzehnte ist. Wir haben damit mehr Beschäftigung geschaffen als zuvor. Es sind Erfolge, Menschen aus der Arbeitslosigkeit durch „Fördern und Fordern“ in den Arbeitsmarkt hineinzubringen. Deswegen rate ich dazu, nicht die Erfolge der Vergangenheit schlechtzureden, sondern darüber zu reden, wie wir sie weiterentwickeln und optimieren können. Aber wir bleiben dabei, dass das Prinzip „Fördern und Fordern“ ein Prinzip unseres Sozialstaates ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich, wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, spielt die internationale Migration, die legale und auch illegale Migration, eine bedeutende Rolle. Man hatte langsam das Gefühl, zumindest wenn man Kommentierungen dieser Woche anschaut, und kommt zu der Idee, dass manche sich darüber richtig freuen, dass die Migrationsdebatte endlich wieder da ist. Ich kann Ihnen sagen, die Migrationsdebatte war nie weg. Die Migrationsdebatte hat in unserer Gesellschaft, in der Bevölkerung natürlich ständig stattgefunden, und zwar zu Recht, weil wir noch große Aufgaben haben, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Migration zu bewältigen. Wir haben eine ganze Menge von Fortschritten auf den Weg gebracht. Hier denke ich an die AnKER-Zentren, an die Vorbereitung für das Fachkräftezuwanderungsgesetz, an das Aussetzen und Abschaffen des Familiennachzugs bei den subsidiär Geschützten und die Beschleunigung der Rückführungen. All das und vieles mehr sind der Auftrag und die Aufgabe, die wir gemeinsam weiterentwickeln wollen. Ganz selbstverständlich müssen wir – auch in unserem ureigenen Interesse – auf internationaler Ebene die Debatte darüber führen, wie Migration in Zukunft gesteuert, gelenkt und begrenzt werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wo anders als auf internationaler Ebene können wir unsere Interessen bei der Migrationspolitik denn vertreten, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ja, wir beklagen, dass wir in der Vergangenheit eines der Hauptzielländer von illegaler Migration waren. Zu Recht beklagen wir das, weil wir wissen, dass unsere Möglichkeit zur Integration eine Grenze hat, dass unser Arbeitsmarkt, dass unsere Sozialsysteme, dass die kulturelle Identität nicht grenzenlos zur Verfügung stehen. Das ist ganz selbstverständlich. Deswegen müssen wir gerade auf internationaler Ebene darauf drängen, dass andere Länder sich dem Thema Migration stellen, so wie auch wir dies tun. Andere Länder sollen sehen, dass auch sie auf Dauer nicht darum herumkommen, dass sie für Migranten Gesundheitsleistungen zur Verfügung zu stellen haben, dass sie dafür sorgen müssen, dass Papiere zur Verfügung stehen, dass sie dafür sorgen müssen, dass es Registrierungen gibt, dass Grenzen geschützt werden müssen und dass Menschen von den Herkunftsländern zurückgenommen werden müssen. Ja, wenn wir das auf der Welt nicht verteidigen und formulieren, dann werden wir die Migrationsdebatte international nie zu einem Besseren wenden, als sie heute ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen bleibe ich dabei: Wir wollen diese Debatten und Gespräche international führen. Dafür ist die Ebene der Vereinten Nationen eine richtige. Ich kann nicht verstehen, dass kritisiert wird, dass man diese Gespräche international führt. Es ist nicht jeder Satz, der in einem Papier geschrieben wird, automatisch ein Satz, den wir uns selber zu 100 Prozent zu eigen machen würden. Aber dass die Dinge, die uns in besonderem Maße interessieren, auch im Global Compact adressiert sind, ist Teil der richtigen Beurteilung. Ich verstehe nicht, warum man diese Elemente – stärkerer Grenzschutz, Rückführungen, Zugang zu Gesundheitsleistungen, anderer Umgang mit Migranten in den Transitländern und vor allem die Verantwortung der Herkunftsländer, dafür zu sorgen, dass sich nicht so viele Menschen auf den Weg raus aus diesen Ländern machen – jetzt kritisiert. Das kann ich nicht verstehen. Glauben Sie denn, dass, wenn sich in diesen Ländern die Situation nicht verbessert, weniger Menschen zu uns kommen? Es werden mehr kommen, und deswegen haben wir Interesse daran, dass sich das verändert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben natürlich alle eine Verantwortung, diese Debatte zu führen. Jetzt kenne ich alle Argumente, die da vorgetragen werden. Ich kann nur dazu raten, dass man, wenn man über internationale Vereinbarungen redet, nicht einfach das Gefühl vermittelt, dass wir auf internationaler Ebene überhaupt kein Mitspracherecht haben

(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

und von den anderen auch so behandelt werden. Die Wahrheit auf internationaler Ebene war bisher immer eine andere. Deswegen ist auch die Panikmache davor, dass wir in Gesprächen sind, völlig falsch, und damit meine ich die Panikmachen von Rechtsaußen wie Linksaußen. Zu glauben, wenn wir uns auf internationaler Ebene unterhalten, es würden dann Millionen von Menschen auf den Weg geschickt werden und zu uns kommen, ist genauso falsch wie der Hinweis von der grünen Seite, der auch nichts anderes tut, als Menschen zu verunsichern, indem behauptet wird, wenn man einen Compact auf UN-Ebene hat, würde das in die nationale Gesetzgebung eingreifen. Hören Sie doch auf, diese Falschheiten zu erzählen! Wie wir Migrationspolitik gestalten, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag, nirgendwo anders. Hier werden die Gesetze dafür gemacht, und wir bleiben dabei, dass wir die Migration steuern und begrenzen wollen. Das ist die Wahrheit, und so setzen wir auch diesen Pakt um.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Nahles [SPD])

Nächste Rednerin ist die fraktionslose Abgeordnete Dr. Frauke Petry.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7293027
Wahlperiode 19
Sitzung 64
Tagesordnungspunkt Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
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