Carsten LinnemannCDU/CSU - Wirtschaft und Energie
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berichterstatter aus dem Haushaltsausschuss! Ich wohne diesem Hohen Hause seit neun Jahren bei, und in diesen neun Jahren habe ich Haushaltsberatungen erlebt, die alle sowohl auf nationaler und in der Regel auch auf internationaler Ebene in einem konjunkturellen guten bis sehr guten Umfeld abliefen.
Wir haben uns nach 2007, 2008, 2009, nachdem wir die Finanzkrise einigermaßen verkraftet haben, in einer unglaublichen Geschwindigkeit wieder in die internationale Arbeitsteilung eingeklinkt und haben heute eine Situation, in der sich zeigt, dass die deutsche Wirtschaft sehr wohl wettbewerbsfähig ist. Ich finde, das gehört auf den Tisch und das darf man jetzt nicht schlechtmachen, sondern das muss man zum Ausdruck bringen. Wenn vor zehn Jahren, während der größten Rezession der Nachkriegsgeschichte, in Deutschland jemand erzählt hätte, dass Deutschland in Sachen Wirtschaft und Mittelstand heute so dasteht, hätte man ihm nicht geglaubt. Es ist aber so, und das ist auch gut so und richtig, und das ist zunächst einmal die Leistung der Wirtschaft und nicht der Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Thomas Jurk [SPD]: Die Politik hat die richtigen Weichen gestellt! – Bernd Westphal [SPD]: Ohne Politik wäre es nicht gegangen!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Dröge, Sie haben natürlich insofern recht – das gebe ich auch zu; das belegen auch die volkswirtschaftlichen Prognosen –, dass das Wachstum seinen Höhepunkt erreicht hat, dass wir zwar weiter wachsen, aber nicht mehr in dieser Dynamik wie in den letzten Jahren. In den letzten vier, fünf Jahren gab es durchschnittlich rund 2 Prozent Wachstum; das sind im Durchschnitt 0,5 Prozentpunkte mehr als in den Jahren zuvor. Aber das jetzt am deutschen Wirtschaftsminister festzumachen, ist vielleicht sogar naiv.
(Lachen bei der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Nein, das haben Sie nicht gesagt. –
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist das eine naive Überlegung, die Sie haben! Aber nicht wir!)
Natürlich hat das nationale Gründe; das gebe ich zu. Da ist zum einen die demografische Entwicklung, dass die Babyboomer jetzt in Rente gehen, gleichzeitig beschäftigt uns das Thema Fachkräftemangel mehr denn je.
Wenn Sie sich die internationale Gemengelage anschauen – nehmen Sie das Thema Handelspolitik –, dann sehen Sie: Das liegt in europäischer, nicht in nationaler Hand. Und zum ersten Mal seit Jahren gibt es einen Kommissionspräsidenten, der, unterstützt von Peter Altmaier, mit einer klaren Stimme in Amerika aufgetreten ist; und genau so muss es sein. Die Amerikaner haben uns in diesem Handelskonflikt als sehr wichtig akzeptiert. Ich finde, dass Herr Juncker – so sehr man über ihn streiten kann – in dieser Frage eine sehr gute Position eingenommen hat, und Peter Altmaier hat ihn dabei unterstützt. Aber natürlich tragen diese Handelskonflikte Sprengstoff in sich.
Natürlich ist auch die weltweite Situation zu berücksichtigen. Ich denke an die Schwellenländer, die sich massiv in Dollar verschuldet haben, weil der Dollar so schwach war, und jetzt unter den hohen Kreditzinsen leiden, weil der Dollar aufgrund der amerikanischen Notenbankpolitik an Fahrt gewinnt.
Auch die Situation in Europa spielt eine Rolle. Sie haben den Brexit angesprochen. Auch das Thema Italien ist nicht einfach. Da müssen wir aufpassen, dass es nicht zu einer neuen Euro-Krise kommt.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die politische Botschaft? Vorschläge!)
Interessant ist, was mir jenseits all der Probleme, die wir hier angesprochen haben, in dieser Woche passiert ist. Wie wir alle habe ich mir diese Haushaltsdebatte zwei Tage lang angehört. Wir haben hier viel über die Zukunft gesprochen. Fast alle Parteien haben übrigens darüber gesprochen, was wir heute machen müssen, damit es uns morgen noch gut geht. Da ging es um Digitalisierung, um Industrie 4.0, um Blockchain, um künstliche Intelligenz. Dann habe ich gestern 1 000 Mittelständler auf einer Veranstaltung getroffen. Fast alle von ihnen hatten weniger als zehn Mitarbeiter. Wenn ich da angefangen hätte, darüber zu sprechen, wie wir in Zukunft den Wettkampf mit China usw. um die künstliche Intelligenz gewinnen wollen, dann hätten sie gesagt: Das ist richtig und wichtig; das müsst ihr auch machen, aber vergesst bitte jenseits der großen Herausforderungen nicht die vermeintlich kleinen Themen. – Ich sage bewusst: vermeintlich kleine Themen. Ich finde, dass diese heute und in diesen Tagen hier zu kurz kommen. Drei Themen wurden angesprochen: zunächst das Thema Bürokratie, dann das Thema Steuern und das Thema Fachkräfte. Das sind die drei Themen, die im Moment – das ist zu beobachten – den kleinen Mittelstand umtreiben.
Beim Thema Bürokratie hat man mich dann mit Themen, zu denen übrigens auch auf Länderebene manches verabschiedet wurde, konfrontiert und aufgezählt, was in den letzten Monaten und ein, zwei Jahren alles verabschiedet wurde: neues Bundesmeldegesetz, neue Trinkwasserverordnung, Kassen-Nachschau, Datenschutz-Grundverordnung, verstärkte Zollkontrollen, Ausbildungsnachweis, Hygieneampel, neue Sonnenschutzregeln, verschärfte Arbeitsstättenverordnung, Arbeitszeitdokumentation, Allergenkennzeichnung. Ich könnte fortsetzen.
Ich sage das deshalb, weil diese kleinen Betriebe das Gefühl haben, dass sie hier nicht mehr ernst genommen werden.
(Tino Chrupalla [AfD]: Ist ja auch so!)
Ich finde, wir müssen diese Betriebe wieder ernst nehmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist auch ein Thema, das auf die Agenda muss.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier? Regieren!)
Denn jeder einzelne Punkt für sich ist nicht schlimm; aber die Aneinanderreihung von Punkten macht es aus. Dieser kleine Mittelstand kommt meines Erachtens zu kurz.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann machen Sie doch, Herr Linnemann! Machen Sie doch! Sie regieren doch! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie regieren doch! Das ist Ihr Minister! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen seit Jahren den Wirtschaftsminister!)
– Sie können nicht auf andere schimpfen. Auf meiner Liste habe ich 10, 15 Punkte, die auch aus Ländern kommen, wo die Grünen oder auch die FDP mitregieren.
(Abg. Tino Chrupalla [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Ich glaube, wir sollten endlich begreifen, dass es ein parteiübergreifendes Thema ist, diese Bürokratie abzubauen.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen seit zehn Jahren den Wirtschaftsminister! – Gegenruf des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Die SPD auch einmal!)
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Gleich kann man gerne eine Kurzintervention machen.
Wir werden jetzt Folgendes machen: Erstens werden wir das Thema „Stärkung des Normenkontrollrates“ im parlamentarischen Verfahren angehen. Zweitens wollen wir, dass einmal gemeldet wird – Stichwort „Once-only-Prinzip“. Das reicht. Dann müssen die Behörden mit den Daten umgehen. Drittens. Wir brauchen auf EU-Ebene eine One-in-one-out-Regel, damit nicht mehr Bürokratie aufgebaut wird. Damit muss endlich Schluss sein. Unser Berichterstatter Klaus-Peter Willsch wird sich dieses Themas annehmen – gemeinsam mit der SPD.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum zweiten Thema: Steuerreform. Hier unterstütze ich ausdrücklich den Wirtschaftsminister. Wir brauchen eine Unternehmensteuerreform und auch eine Einkommensteuerstrukturreform. Die wird es geben.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo gibt es die denn?)
Hier gibt es weltweit Druck. Darum müssen wir uns auch zu Hause darum kümmern.
Das dritte und letzte Thema: Fachkräfte. Die Regierung bringt ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg. Der Mittelstand ruft danach. Er braucht es. Das Verfahren muss vereinfacht werden. Auch die Visaverfahren müssen schneller abgeschlossen werden können. Das kommt jetzt.
(Beifall des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP] – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie auch schneller haben können!)
Es ist richtig und wichtig, sich all dieser Themen – „China-Strategie“, „künstliche Intelligenz“ – anzunehmen, damit wir in 10, 15 Jahren noch erfolgreich sind. Aber wir müssen uns genauso um den kleinen Mittelstand in Deutschland kümmern. Das sind 3 Millionen Betriebe, die weniger als zehn Mitarbeiter haben. Die gehören in einer Haushaltswoche auch auf die Agenda.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Theurer [FDP]: Wir hindern Sie nicht daran!)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Linnemann. Wenn Sie böse sind, dann bitte nicht mit mir. Ich muss Sie immer fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, auch wenn das Ihren Redefluss stört.
Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Gabriele Katzmarek, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7293988 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaft und Energie |