22.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 65 / Tagesordnungspunkt I.17

Marc JongenAfD - Bildung und Forschung

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Frau Präsidentin! Frau Ministerin Karliczek! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Wissenschaftsgemeinde, die vielleicht zu Hause an den Monitoren diese Debatte verfolgt! Mit einem Bundeshaushalt wird Politik gemacht, und zwar nicht nur durch die Höhe der Haushaltstitel, sondern ganz wesentlich auch dadurch, dass man die Zuwendungen an Bedingungen knüpft und damit dem Haushalt wie auch den betroffenen Institutionen eine politische Linie aufdrückt – im vorliegenden Fall eine fatale Linie, meine Damen und Herren.

Ich will wegen der Kürze der Zeit nur ein Beispiel aus dem Bildungshaushalt schlaglichtartig beleuchten. Die Zuwendungen an die Hochschulen werden an den Hochschulpakt 2020 gekoppelt, der eine Umstellung der Lehre auf die sogenannte Kompetenzorientierung zwingend vorsieht. Damit sei – ich zitiere aus einer Handreichung der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ – „eine so weitreichende Veränderung“ verbunden, „dass man von einem Kulturwandel sprechen kann“. Derselbe Text spricht dann noch davon, dass ein „gemeinsames Verständnis“ dieses Wandels an den Hochschulen „aktiv herzustellen“ sei.

Klar ist auch, dass keine Universität ihre Studiengänge noch akkreditiert bekommt, die es wagt, sich diesem politisch verordneten Wandel zu widersetzen. Wessen Verstand noch nicht durch Bologna, Modularisierung und ähnliche pädagogische Mühlen kleingemahlen wurde, der wird sofort erkennen, dass wir es hier nicht mit einem Kulturwandel, sondern mit einer planmäßigen Zerstörung von Lehr- und Lernkultur zu tun haben, meine Damen und Herren.

Zunächst klingt „Kompetenzorientierung“ ja ganz großartig – wer will sich denn schon für Inkompetenz einsetzen? Es ist auch völlig unstrittig, dass in einem Hochschulstudium nicht nur Wissen angeeignet wird, sondern auch unterschiedliche Kompetenzen erworben werden, wie die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Artikulation, soziale Kompetenzen, kritisches Denken, Kompetenzen im Umgang mit Kommilitonen und Kommilitoninnen und vieles mehr. Es ist aber ein fataler Denkfehler, der nur am Schreibtisch völlig praxisferner Theoretiker und Bürokraten und vielleicht auch Geschäftemacher ausgebrütet werden konnte, zu glauben, man könne das Erlernen dieser Kompetenzen fördern, indem man sie explizit zum Prüfungsgegenstand macht, und zwar auch noch auf Kosten der Abfrage und Prüfung von erlernten Inhalten. Diese Inhalte, neudeutsch Content, spielen in der neuen Kompetenz-Unkultur nur noch eine marginale Rolle – übrigens ganz ähnlich der Entwicklung im Journalismus, wo die „Content-Produzenten“ mittlerweile auch am untersten Ende der Nahrungskette stehen, hinter Marketingleuten, Online-Tool-Entwicklern und Ähnlichen.

Professor Stefan Kühl, Soziologe an der Universität Bielefeld, spricht von einer „Trivialisierung der Studierenden“ durch Kompetenzorientierung. Die Studenten würden zu „Kompetenzaneignungsmaschinen“ herabgewürdigt, die sich – alle im Gleichschritt Marsch – durch ein enges, standardisiertes „Kompetenzraster“ quälen müssten. Für individuelle Bildungswege ist in diesem System kein Platz mehr; die akademische Freiheit wird dem Wahnbild einer totalen Vergleichbarkeit der Studiengänge geopfert.

(Beifall bei der AfD)

Was die Studenten in diesem völlig weltfremden System am gründlichsten lernen, um nämlich mit möglichst wenig Aufwand durch das gerasterte Studium zu kommen, ist Kompetenzvortäuschungskompetenz. Auch die Hochschulleitungen müssen, wenn sie nicht ganz von Sinnen sind, in ihren Rechenschaftsberichten lediglich vortäuschen, auf die Kompetenzorientierung umgestellt zu haben, um weiterhin akkreditiert zu werden und sich kleine Freiräume zu erhalten.

Diese Bildungspolitik, die ihren Namen nicht verdient, züchtet systematisch eine Kultur des Sekundären heran, in der die Erinnerung an das, was Bildung einmal war, bald gänzlich verloren sein wird.

(Beifall bei der AfD)

Wenn wir dann noch lesen, dass auch „emotional-motivationale Anteile sowie Haltungen“ zum Prüfungsgegenstand werden sollen, dann erkennen wir, worauf das Ganze hinausläuft. Bald bekommen die Studierenden ECTS-Punkte für ihr besonders „mutiges“ Eintreten im „Kampf gegen rechts“, für ihr Einstehen für eine „weltoffene Hochschule“ und ähnliche ideologische Initiativen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Neben dem Akademisierungswahn – ich komme zum Schluss –, der die Absenkung des Niveaus und die Verschulung des Studiums folgerichtig nach sich zieht, ist diese Möglichkeit des ideologischen Zugriffs auf die Hochschulen vielleicht die tiefste Motivation hinter der „Kompetenzorientierung“. Mit pädagogischen Einsichten hat sie nichts zu tun.

Kommen Sie wirklich zum Schluss, bitte?

Deshalb, neben vielen anderen Gründen, lehnt die AfD-Fraktion diesen Bildungshaushalt ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. – Nächster Redner: Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7294047
Wahlperiode 19
Sitzung 65
Tagesordnungspunkt Bildung und Forschung
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