Michael TheurerFDP - Arbeit und Soziales
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Tagen habe ich viel mit Betriebsräten, insbesondere der Automobilindustrie und der energieintensiven Industrie, gesprochen,
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Auch in Stuttgart?)
unter anderem in Bonn bei der Betriebsrätekonferenz; manche Kollegen waren dabei. Herr Minister Heil, ich kann Ihre Meinung an dieser Stelle bestätigen: Da ist die Sorge groß, weil zum Beispiel für die Chemieindustrie die Energiekosten der entscheidende Standortfaktor sind und die Energiepolitik dieser Bundesregierung diese Firmen eher aus dem Land treibt, als dass sie hier am Standort gesichert werden. Wir sagen: Innovation und günstige Rahmenbedingungen für Unternehmen, vor allen Dingen auch für kleine und mittlere Unternehmen, schaffen Arbeit, und was Arbeit schafft, ist sozial.
Wir haben den Eindruck, dass die Bundesregierung hier an vielen Punkten die falschen Weichenstellungen vornimmt. Wir haben eine Eintrübung der Konjunktur, und wir haben im dritten Quartal zum ersten Mal eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Wir haben einen internationalen Standort- und Steuerwettbewerb. Deutschland hat die höchsten Steuern und hat mittlerweile die höchsten Unternehmenssteuersätze. Andere Länder wie Frankreich und die USA senken die Steuersätze. Wir haben den Eindruck, hier muss dringend etwas gemacht werden. Denn nur wenn wir in Zukunft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze haben, können auch die Sozialleistungen finanziert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Vor zwei Wochen hätte ich noch gesagt, das größte Haushaltsrisiko sind die stark ansteigenden Sozialausgabenzuschüsse, die aufgrund des demografischen Wandels in die Rentenversicherung hineingegeben werden müssen, auch deshalb, weil Sie den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitern und weil Sie auch die Anspruchsgrundlage ausweiten. Heute sage ich, das größte Haushaltsrisiko, meine Damen und Herren, sind die unsoliden, nicht gegenfinanzierten Vorschläge zur Grundsicherung von Andrea Nahles und Robert Habeck.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, liebe Kollegin Nahles, Sie sollten stolz darauf sein, welche gigantischen Erfolge mit den Agenda-Reformen in Deutschland erreicht wurden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um mehr als 5 Millionen Menschen gestiegen, und die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich mehr als halbiert. Die Agenda-Reformen, die wir als FDP über die Länder mitgetragen haben, waren der Startschuss für den größten Wirtschaftsaufschwung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach dem Wirtschaftswunder.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Heilmann [CDU/CSU])
Eigentlich müssten Sie als Arbeiterpartei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Gerhard Schröder auf Händen tragen und für ihn ein Denkmal errichten.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Sie werden verstehen, dass ich das an dieser Stelle nicht beantrage.
Schon heute geben wir ein Drittel der Wirtschaftsleistung für Sozialtransfers aus.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Machen wir schon immer!)
Das ist nicht nichts. Normalverdiener ächzen unter der zweithöchsten Steuer- und Abgabenlast aller Industrieländer
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was sind bei Ihnen Normalverdiener?)
und Unternehmen unter der bald höchsten Steuerlast; ich habe es ausgeführt.
Dann kommt Robert Habeck mit seinem Vorschlag zur Grundsicherung. Ich bin mal gespannt, wie die Grünen das gegenfinanzieren wollen: 30 Milliarden Euro für eine Grundsicherung, die bedingungslos sein soll, aber doch bedarfsgeprüft?
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sieht man, wie groß die Armut in Deutschland ist!)
Das ist nicht der richtige Weg. Wir, die Freien Demokraten, sagen: Ja, es gibt Schwächen bei der Grundsicherung. Ja, es gibt die hohen Abzüge für diejenigen, die in der Grundsicherung sind, aber eine Arbeit aufnehmen wollen; denn von jedem hinzuverdienten Euro werden manchmal 100 Prozent abgezogen, manchmal 90 Prozent. Das heißt, ich verdiene 1 Euro, aber es bleiben mir nicht einmal 10 Cent in der Tasche.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Part, um den es geht!)
Das ist ein Problem, das angegangen werden muss, aber nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern durch ein liberales Bürgergeld.
(Beifall bei der FDP)
Und ja, wir lassen mit uns auch über das Schonvermögen reden. Wenn jemand über Jahrzehnte hinweg gearbeitet und in die Sozialkassen einbezahlt hat, sollte er am Ende nicht alles verlieren müssen, also praktisch in die Armut gestoßen werden, bevor er die Leistung der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen kann. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, dem soll es auch besser gehen als demjenigen, der noch nie in die Solidargemeinschaft einbezahlt hat.
(Beifall bei der FDP)
Aber hören Sie bitte auf, von einem bedingungslosen Grundeinkommen oder anstrengungslosem Wohlstand zu träumen. Es bleibt weiter richtig, als Gesellschaft die Mitwirkungspflichten einzufordern; denn Solidarität ist keine Einbahnstraße. Es geht nicht um anonyme Staatsknete. Es geht darum, dass die Beitragszahler, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und die Steuerzahler einbezahlen, damit diejenigen, die Arbeit nicht leisten können, und einige wenige, die nicht wollen, unterstützt werden.
Dazu gehört für uns auch die Frage, ob es zumutbar ist, dass jemand aus einem Gebiet mit hoher Arbeitslosigkeit wie in Duisburg oder in anderen Teilen Deutschlands in Gebiete umzieht, in denen Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel herrschen, wie zum Beispiel auf der Schwäbischen Alb.
Wir glauben, das Prinzip „Fordern und fördern“ ist richtig. Es aufzugeben, täte niemandem einen Gefallen. Frau Nahles, Ihre Vorschläge dienen vor allem dazu, sich wie ein Reptil den Begriff Hartz IV durch Häutung abzustreifen. Das ist eine innerparteiliche Diskussion. Wir plädieren für eine echte Reform der Grundsicherung, die leistungsgerecht ist. Das ist das liberale Bürgergeld.
(Beifall bei der FDP – Kerstin Tack [SPD]: Was heißt das denn?)
Nächster Redner ist Axel Fischer, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7294120 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |