28.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 67 / Tagesordnungspunkt 1

Karl LauterbachSPD - Vereinbarte Debatte Organspende

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Worum geht es hier? Über 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ, und sie warten zum Teil im Angesicht des Todes. Es sind auch viele Kinder betroffen. Ich weiß, dass das heute noch oft gesagt wird, aber ich bin jemand, der damit tatsächlich Erfahrung hat. Ich habe über Jahre hinweg für das Kuratorium für Heimdialyse eine Studie mit über 15 000 Menschen, die dialysepflichtig waren, geleitet. Damals habe ich mit vielen Menschen gesprochen, die auf ein Organ warteten. Der Dialysepatient weiß, dass er sterben kann, während er auf der Warteliste steht. Jeder Fünfte, der in Deutschland auf der Warteliste steht, stirbt, während er wartet. Es sterben auch viele Kinder, während sie warten. Das ist unnötiges Leid.

Jeder, der die Dialyse bekommt, weiß, dass er darüber hinaus auch gesundheitliche Schäden davonträgt. Viele Jahre Dialyse bedeuten ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko. Viele Jahre Dialyse bedeuten, dass die Gefäße geschädigt werden. Das wissen Dialysepatienten. Somit geht es nicht nur darum, den Tod zu verhindern, der verhinderbar wäre, sondern es geht auch darum, verhinderbares Leid zu verhindern. Das können wir aus meiner Sicht mit der Widerspruchslösung tun – wie es die meisten europäischen Länder getan haben.

Selbstverständlich brauchen wir eine deutlich verbesserte Organisation der Organspende. Ich habe mich selbst bei den Koalitionsverhandlungen dafür eingesetzt. Ich habe dafür gekämpft, und ich bin dankbar, dass Minister Spahn das jetzt umsetzt. Das ist unbedingt notwendig, wird aber alleine nicht ausreichen. Länder wie Spanien, Frankreich, England und Italien haben drei- bis viermal so viele Organspender bezogen auf 1 Million Einwohner als wir. Wir werden die Situation mit einer besseren Logistik verbessern; das wird aber niemals reichen, um die Not in Deutschland, die zunimmt – die Wartelisten werden länger; es wird ja mehr ältere Menschen und weniger potenzielle Spender geben –, zu lindern. Daher müssen wir aus meiner Sicht das Optimum erreichen. Das sage ich als Arzt wie als Politiker.

Wir müssen uns mit dem, was wir schaffen können, auseinandersetzen. Die Widerspruchslösung ist auch ethisch richtig. Es geht nicht darum – Frau Maag, ich schätze Ihre Einlassungen sonst sehr –, dass hier jemand zur Organspende gezwungen werden soll. Vielmehr geht es darum, dafür zu sorgen, dass sich jeder damit beschäftigt. Das ist in der Tradition von Immanuel Kant, der, vereinfacht ausgedrückt, gesagt hat, dass die Maxime des eigenen Handelns die Grundlage eines allgemeinen Gesetzes werden könnte.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Unter Selbstbestimmung verstehe ich etwas anderes!)

Was ist denn die Maxime eines jeden, der ein Organ benötigt? Er erwartet, dass er dann auch ein Organ bekommen kann. Umgekehrt muss er zumindest auch bereit gewesen sein, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es geht nicht um die Zustimmung.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Schutz der Selbstbestimmung gibt es auch noch!)

– Genau, das ist ein Element der Selbstbestimmung.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Nein! Nicht das, was Sie sagen! – Christine Aschenberg-­Dugnus [FDP]: Nein! Überhaupt nicht!)

Jeder, der sich dann dagegen entschieden hat, ist trotzdem weiter Empfänger, hat keine Nachteile. Ich will nur, dass man sich damit beschäftigt. Das ist aus meiner Sicht, zugespitzt gesagt, nicht zu viel verlangt.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das muss doch jeder selbst entscheiden!)

Denn jeder, der erlebt, dass das eigene Kind ein Organ benötigt, der verlangt auch von anderen, dass sie sich damit beschäftigen, der wünscht sich zum Teil auch, dass er selbst sich mehr damit beschäftigt hätte. Die meisten, die ein Organ benötigen, bedauern es, dass sie sich selbst nie damit beschäftigt haben.

Wir wollen ja eine doppelte Sicherheit. Wenn die Angehörigen eines Menschen, der zur Spende ansteht, der Meinung sind, dass dieser Mensch nicht mehr bereit gewesen wäre, zu spenden, dann können sie immer noch sagen: Nein, wir wissen, dass er das zum Schluss nicht mehr wollte. – Dann wird das Ganze also sozusagen noch durch ein Sicherheitsnetz aufgefangen. Somit schaffen wir eine Regelung, die das Leid verhindert, den unnötigen Tod verhindert, aber gleichzeitig auch vor Fehlern und Missbrauch schützt. Das ist aus meiner Sicht eine Regelung, die gut in unsere Zeit passt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7295100
Wahlperiode 19
Sitzung 67
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Organspende
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