Andrew UllmannFDP - Vereinbarte Debatte Organspende
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über nichts Abstraktes, nichts Theoretisches; wir reden über Menschen, die schwer krank sind und Organe benötigen. Wir reden über Angehörige und Freunde, die auch betroffen sind. Wir reden über Ängste, Sorgen und den Tod. Wir reden von Menschen, die auch bereit sind, nach dem Tod Gewebe oder Organe für Schwerkranke zur Verfügung zu stellen und damit ein Leben zu retten.
Wir haben die Zahlen bereits gehört; aber es lohnt sich, sie zu wiederholen: 10 407 Menschen waren Ende 2017 auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Von dieser Liste sterben zwei bis drei Menschen pro Tag; das sind bis zu 21 Personen pro Woche. Reale Zahlen, brutale Wirklichkeit: zwei bis drei Personen pro Tag. Wir sind als Politiker problemorientiert und versuchen, diese Probleme zu lösen. Die klare Interpretation dieses Problems, dieser Daten: Wir brauchen mehr Spender.
Die Widerspruchslösung geht davon aus, dass Freiwilligkeit in diesem Bereich nicht funktioniert. Die Menschen sollen so entmündigt werden, wenn es darum geht, etwas Gutes zu tun.
Die Perspektiven bei dieser Diskussion sind aber vielfältig. Die scheinbar so einfache und nachvollziehbare Widerspruchslösung löst so manches Problem nicht und wirft weitere Probleme auf.
Gibt es weitere Fakten, die wir in die Waagschale legen sollten oder gar müssen? Die belegbaren Daten gehen weiter und in die Tiefe und sind schwerer zu verstehen.
Im „Deutschen Ärzteblatt“ vom Sommer dieses Jahres haben ärztliche Wissenschaftler um Dr. Kevin Schulte aus dem Universitätsklinikum in Kiel eine wichtige und interessante Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie sind, klar und einfach gesagt: Wir haben nach dieser Studie ganz klar eine Zunahme der Zahl von potenziellen Organspendern und im Gegenzug einen Abfall der Zahl von Organentnahmen. Die Studie zeigt weiter, dass es krasse Unterschiede zwischen Uniklinika bei der Kontaktaufnahme mit potenziellen Organspendern gegeben hat. Zusammenfassend zeigt die Studie also klare Erkennungs- bzw. Meldedefizite der Entnahmekrankenhäuser.
Die Studie zeigt klar, wo politischer Handlungsbedarf besteht. Die Strukturprobleme in den Krankenhäusern müssen angegangen werden, nicht nur monetär, sondern auch personell. Wenn die Stellung des Transplantationsbeauftragten aufgewertet wird, dieser Beauftragte freigestellt wird und die Bezahlung bei der Entnahme der Organe adäquat erfolgt, wird das zu einer höheren Rate von Organentnahmen führen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)
Für die heutige Diskussion gibt es eine bessere Möglichkeit als die Widerspruchslösung: eine obligatorische Abfrage zur Organspendebereitschaft, zum Beispiel durchgeführt bei der Ummeldung beim Einwohnermeldeamt oder bei der Beantragung eines Personalausweises. Das wäre eine Möglichkeit, die die Selbstbestimmung wahrt und die Organspendebereitschaft nachweisbar dokumentiert. Die möglichen Antworten würden die gleichen bleiben, wie sie bereits heute im Organspendeausweis stehen: „Ja“, „Nein“ oder „Angehörige entscheiden“. Auch ein „weiß nicht“ wäre legitim. Änderungen wären zu jedem Zeitpunkt möglich. Aber nur wer zustimmt, gilt als potenzieller Organspender. Kein gesetzlicher Entscheidungsdruck wie bei der Widerspruchslösung, auch kein moralischer Druck, nur eine obligatorische Frage beim Behördengang!
Obwohl ich als Arzt grundsätzlich auf ein Ja hoffe, sage ich als Politiker ganz klar: Zur Selbstbestimmung gehört auch, sich nicht entscheiden zu müssen; denn jede Entscheidung sollte gleichwertig sein.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Verfassungsrechtlich und orientiert an meiner freiheitlichen Lebensphilosophie habe ich massive Probleme damit, wenn wir eine Zustimmung ohne ausdrückliche Willenserklärung des Einzelnen annehmen. Das schürt Ängste, schreckt womöglich ab. Das menschliche Subjekt wird so zum Ersatzteillager degradiert. Das ist ein tiefer Einschnitt in die verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmung. So bitte nicht!
Danke sehr.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Andrew Ullmann. – Nächster Redner: Harald Weinberg.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296325 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte Organspende |