Ulla SchmidtSPD - Vereinbarte Debatte Organspende
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beteilige mich an den Debatten über die Frage „Organspende“ seit mehr als einem Vierteljahrhundert hier in diesem Parlament. Und immer hat das Parlament mit all seinen Mitgliedern darum gerungen, was eigentlich die beste Lösung ist, wie wir die Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden, mit der tatsächlichen Zahl an Organspenden zusammenbringen – und die gleichen Vorschläge wie heute sind immer wieder gekommen. Es hat immer wieder auch Fortschritte gegeben, aber es hat auch Eingriffe und Rückschritte gegeben, die oft vom Äußeren her bedingt waren. Ich sage mal: Die Menschen sind es auch wert, dass wir diese Diskussion führen; denn auf ein Spenderorgan zu warten und keines zu bekommen, ist in der Regel mit einem Todesurteil gleichzusetzen. Trotzdem glaube ich, dass wir uns genau ansehen müssen, was welche Wirkung hat.
Immer wieder kam die Widerspruchslösung zur Sprache. Ich bin nach vielen Diskussionen gegen die Widerspruchslösung, weil ich die Befürchtung habe, dass uns die Einführung der Widerspruchslösung in dem Glauben wiegen würde, damit wäre alles geregelt. Das ist es nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Hebner [AfD])
Es gibt Erfahrungen mit der Widerspruchslösung in anderen Ländern. Die Organspenderzahlen in Mecklenburg-Vorpommern waren zu meiner Zeit als Gesundheitsministerin höher als in Österreich, das eine Widerspruchslösung hatte. Es gab auch andere Länder, die die Widerspruchslösung hatten – und trotzdem waren die Organspenderzahlen gering.
Es trifft zu, was hier heute gesagt wurde: Entscheidend ist die Organisation im Krankenhaus.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Entscheidend ist, ob es Transplantationsbeauftragte gibt, die freigestellt sind, die nicht am Versorgungsprozess beteiligt sind, die die Zeit haben, mit Menschen zu reden. Denn es ist schwierig, als behandelnder Arzt oder Krankenpfleger zu fragen: Ist Ihr Angehöriger eigentlich Organspender? – Wir brauchen dafür Menschen, die gelernt haben, mit den Angehörigen zu reden. Ich war auf vielen Veranstaltungen, wo mir Angehörige gesagt haben: Wir waren eine Woche auf der Intensivstation; aber, wissen Sie, niemand hat uns angesprochen. Wir hätten doch Ja gesagt. – Deshalb ist das, was im Kabinettsentwurf vom Gesundheitsminister vorgesehen ist, richtig. Wir müssen darüber sprechen, wie wir die Organisation verbessern, wie wir mit den Transplantationsbeauftragten umgehen und wie wir die Entnahmekrankenhäuser stabil finanzieren. Und wir sollten darüber diskutieren, wie wir das noch besser machen können, als es im jetzigen Entwurf vorgesehen ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Ich teile die Meinung all derer, die sagen: Es ist in unserer Rechtsordnung nicht vorgesehen, dass Nichtssagen Zustimmung ist. Ich kenne solche Fälle nicht. Wir haben gehört – das ist hier und auch vom Vorsitzenden des Ethikrats zu Recht gesagt worden –, dass es nicht sein kann, bei der Weitergabe unserer Daten die Zustimmung, und zwar die aktive Zustimmung, zur gesetzlichen Voraussetzung zu machen, aber da, wo es um eine Organspende geht, zu sagen: Wenn du schweigst, bedeutet das Ja. – Das kann es nicht geben – und ich glaube auch nicht, dass wir damit weiterkommen werden.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich spreche hier auch in meiner Funktion als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Was ist denn mit den Menschen, die schwere psychische Beeinträchtigungen haben? Was ist mit den Menschen mit geistigen Behinderungen oder anderen Beeinträchtigungen? Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung: Diese Menschen sind oft emotional nicht in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen. Sind die automatisch Organspender oder -spenderinnen? Was machen wir dann? Auch diese Fragen müssen wir in diesem Parlament beraten; denn auch Menschen mit Behinderungen, Menschen, die sich nicht entscheiden wollen, Menschen, die psychisch sehr schwer krank sind, haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Lassen Sie uns darüber reden! Dann finden wir am Ende vielleicht eine bessere Lösung, als wir sie jetzt haben.
Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Ulla Schmidt. – Nächster Redner: Wolfgang Kubicki.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296330 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte Organspende |