28.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 67 / Tagesordnungspunkt 1

Wolfgang KubickiFDP - Vereinbarte Debatte Organspende

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss ich sagen: Das ist eine wirklich bemerkenswerte Debatte, die wir hier führen. Denn ich stelle fest, dass es, und zwar quer durch alle Fraktionen, zu dem Thema, um das wir uns gerade bemühen, unterschiedliche Auffassungen gibt. Das gilt auch für meine Fraktion. Die Behauptung, wir seien für eine eindeutige, verpflichtende Entscheidungslösung, ist unzutreffend. Nahezu die Hälfte meiner Fraktion hat eine andere Auffassung. Aber das ist auch gut so; denn das Thema berührt – Frau Keul hat es gesagt – die Würde des Menschen unmittelbar. Es geht um eine höchst persönliche Entscheidung. Ich komme noch dazu, warum das auch für die weitere Debatte wichtig ist.

Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich Ihnen, Frau Schmidt, einmal zustimmen würde. Aber die Suggestion, die aufgebaut wird, mit der Widerspruchslösung würde man die Zahl der Organentnahmen erhöhen, ist falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Ich könnte jetzt auch sagen: Wir haben einfach zu wenig Gehirntote; denn das Transplantationsgesetz schreibt vor, dass Organe zum Zweck einer Transplantation nur entnommen werden dürfen, wenn der Hirntod festgestellt wurde. Ein solcher Fall – das sagen Mediziner – tritt aber nur ein, wenn der Körper mittels maschineller Beatmung mit Sauerstoff versorgt wird, da ohne eine solche Maßnahme in kurzer Zeit alle Organfunktionen erlöschen würden.

Da beginnt ein dramatisches juristisches Problem. Jeder ärztliche Eingriff ist rechtswidrig, es sei denn, er wird durch die Zustimmung des Patienten legitimiert. Wenn man sich aber nun die Frage stellt, was eigentlich in der Phase passiert, in der der Mediziner entscheiden muss, ob eine Maßnahme noch der Wiederherstellung des Patienten dient oder eine organprotektive Maßnahme ist, die dazu dient, die Organe zu erhalten, die man für die Transplantation braucht, dann stellt man fest, dass man für diese Phase auch eine positive Zustimmung des Patienten braucht, solange er lebt; denn diese Phase ist durch das Recht nicht mehr gedeckt.

(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage allen Beteiligten: Dem deutschen Recht ist es fremd, Schweigen als Zustimmung zu werten; das kennen wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das geht tatsächlich auch nur mit Freiwilligkeit, mit Zustimmung der jeweils Betroffenen zu ihren Lebzeiten bei vollem Bewusstsein ihrer Kräfte.

Es gibt übrigens ein weiteres Problem, das noch gar nicht angesprochen worden ist: Was machen wir mit denjenigen, die Organe spenden wollen, aber eine Patientenverfügung verfasst haben, in der festgehalten ist, dass lebensverlängernde Maßnahmen nicht mehr eingesetzt werden dürfen, wenn die Therapie aussichtlos ist?

(Hilde Mattheis [SPD]: Genau!)

Was gilt dann, die protektive Maßnahme oder die Patientenverfügung? Ich will nur sagen: Diese Probleme bewältigen wir durch die Widerspruchslösung in keiner Weise.

(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zur verpflichtenden Entscheidungslösung. In diesem Fall widerspreche ich, dass der Staat das Recht hat, die Menschen zu bitten oder zu verpflichten, überhaupt eine Erklärung abzugeben. Was machen wir denn mit denjenigen, die sagen: „Ich gebe gar keine Erklärung ab“, nicht im Sinne von: „Ja, Nein, Enthaltung“, sondern von: „Ich gebe keine Erklärung ab. Ich will mich gegenüber niemandem in dieser Frage offenbaren, weil der Legitimationsdruck sonst so stark wird, dass ich mich moralisch dafür rechtfertigen muss, dass ich nicht bereit bin, meinen Körper oder Teile meines Körpers zu opfern, um andere Leben zu retten“? Unter diesen Legitimationsdruck darf der Staat die Menschen nicht setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb widerspreche ich auch vehement der verpflichtenden Entscheidungslösung.

Werben wir dafür, dass Menschen sich bereitfinden, Organe zu spenden! Klären wir auf! Dann ist viel mehr dafür getan, als wenn wir eine Diskussion über die Widerspruchslösung führen oder über die Frage, ob wir Menschen verpflichten können, sich zu offenbaren. Ich glaube, wir sind bei der Diskussion auf einem guten Weg, und wir werden auch eine vernünftige Lösung finden. Ich selbst werde weder einer Widerspruchslösung noch einer verpflichtenden Entscheidungslösung zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Wolfgang Kubicki. – Nächste Rednerin: Kathrin Vogler.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7296331
Wahlperiode 19
Sitzung 67
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Organspende
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