Jimmy SchulzFDP - Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Raum
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Ich begrüße ganz besonders auf der Tribüne meinen Sohn: Herzlich willkommen!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich begrüße auch diejenigen, die vergeblich versuchen, an Bewegtbildempfängern, Tablets, Computern, Smartphones mit der ständig abstürzenden Bundestags-App diese Debatte zu verfolgen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Jetzt legen mal alle die Federhalter und Hefte beiseite und hören mir gerne zu!
Dass wir hier die Möglichkeit haben, diese Flure, diese Hallen entlangzulaufen, uns frei in diesem Haus zu bewegen, Teil der Demokratie zu sein – wofür jahrhundertelang Menschen gekämpft und ihr Leben gelassen haben, um für diese Kleinigkeiten, Grundrechte, Privatsphäre, zu kämpfen –, ist ein ungeheures Privileg für uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal Hand aufs Herz: Wer von Ihnen würde seinem besten Freund oder seiner besten Freundin Intima, Geschäftsgeheimnisse an einen Arbeitskollegen, Klatsch und Tratsch an einen Parteifreund per Postkarte verschicken, die im Zweifelsfall jeder lesen kann? Niemand würde das tun. Das ist ja schon mal sehr erfreulich. Aber trotzdem tun die meisten dies, wenn auch häufig nicht bewusst. Denn wir versenden unverschlüsselte E‑Mails wie Postkarten, die im Zweifel jeder mitlesen kann, aus dem Privat-, aus dem Arbeitsleben. Und das gilt auch für die hier beliebten Messenger-Systeme.
In der analogen Welt lässt sich das ganz einfach durch einen Briefumschlag verhindern, in der digitalen Welt durch Verschlüsselungstechnologien. Sie stellen sicher, dass nur Sie und Ihr Gesprächspartner den Inhalt einer Nachricht lesen können. Sie fungieren damit quasi wie ein zugeklebter Briefumschlag mit Siegel. In der analogen wie in der digitalen Welt brauchen wir die gleichen Rechte und Möglichkeiten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Privatsphäre im digitalen Raum zu schützen, ist seit 30 Jahren eine Herzensangelegenheit von mir. Meine Diplomarbeit habe ich vor 20 Jahren als Politikwissenschaftler über das Thema „Kryptografie im Internet“ geschrieben.
Das Thema hat mich mein Leben lang verfolgt; denn ich habe noch dieses Klicken im Ohr, dieses Klicken, wenn sie mitgehört haben. Meine Mutter war Republikflüchtling, sie ist kurz vorm Mauerbau aus der damaligen DDR geflohen und hat einen Großteil ihrer Familie zurückgelassen. Und jedes Mal, wenn wir angerufen haben, waren wir uns sicher, dass sie mithören. Jedes Mal wenn wir meine Cousins, Tanten, Onkel, meinen Urgroßvater besucht haben, waren wir uns sicher, dass sie mithören. Wir mussten in die Waschküche oder Küche gehen und den Wasserhahn aufdrehen, damit wir uns sicher waren, dass sie nicht mithören. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der jedes Telefonat von uns abgehört wurde. Was macht dieses Abgehörtwerden? Es macht Angst; es macht Angst, frei und offen zu sprechen, seine Meinung zu äußern, und man hat Angst vor den Folgen von dem, was man gesagt hat. So etwas darf nie wieder passieren.
(Beifall im ganzen Hause)
Es gibt bereits seit Jahrzehnten Technologien, die vertrauliche Kommunikation leisten können. Nur, nicht jeder kann sie nutzen. Sie sind teilweise kompliziert, teilweise schwer benutzbar, und das wollen wir mit diesem Antrag, mit diesem Vorschlag ändern. Denn wenn wir alle Anbieter dazu verpflichten, dass die Standardvariante einer Kommunikation verschlüsselt abläuft, Ende zu Ende, abhörsicher, dann können sich auch diejenigen sicher sein, vertraulich zu kommunizieren, die eben nicht die technischen Fertigkeiten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschlüsselung ist ein fundamentaler Pfeiler für die Gewährleistung unserer Grundrechte. Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes besagt, dass das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich sind. Dieser Grundsatz muss auch für die elektronische Kommunikation gelten. Das sagen nicht nur wir, sondern im Übrigen sagt das auch das Bundesverfassungsgericht. Wir haben ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen, also ein IT-Grundrecht, das insbesondere auch der Staat schützen muss. Deswegen fordern wir Freie Demokraten ein Recht auf Verschlüsselung und wollen, dass Telekommunikations- und Telemedienanbieter ihre Dienste standardmäßig verschlüsselt anbieten – von mir aus übrigens auch gerne anonym.
Verschlüsselung schützt nicht nur unsere Privatsphäre, sondern auch den Wirtschaftsstandort: In den letzten Jahren waren laut Studien sieben von zehn Unternehmen von Wirtschaftsspionage, Sabotage und Datendiebstahl betroffen. Laut einer Bitkom-Studie hat das in den letzten zwei Jahren einen Schaden von 43 Milliarden Euro angerichtet. Verschlüsselung kann helfen, diesen Schaden einzudämmen, da Datendiebe mit den verschlüsselten Daten nichts anfangen können. Verschlüsselungen zu knacken, ist schwer, und das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache. Seit Jahren gibt es immer wieder Forderungen, Verschlüsselung zu schwächen, insbesondere im Kontext der Strafverfolgung.
Einige Beispiele: Sicherheitsbehörden entdecken Sicherheitslücken in IT-Produkten, Software oder erfahren über andere Wege davon, geben diese aber nicht an die betroffenen Unternehmen weiter. Diese Sicherheitslücken können dann von allen möglichen Kriminellen ausgenutzt werden, und das ist das Problem. Das gilt übrigens auch für den sogenannten Staatstrojaner, mit dem Sicherheitslücken geheim gehalten werden und der damit eine Gefahr für alle darstellt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hersteller von IT-Produkten sollen Strafverfolgungsbehörden durch Hintertüren Zugang zu IT-Systemen und verschlüsselter Kommunikation gewähren. Das ist nicht nur ein Angriff auf unsere Privatsphäre und Bürgerrechte, sondern auch auf die IT-Sicherheit generell. Sogenannte Backdoors stehen im Zweifelsfall nicht nur dem Staat, sondern eben auch Kriminellen offen. Dies wollen wir durch ein Recht auf Verschlüsselung schließen. Sicherheitslücken wissentlich zurückzuhalten oder sogar aktiv einbauen zu lassen, hat gravierende Folgen für uns alle, unsere IT-Sicherheit und auch unsere Bürgerrechte.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, sich erstens gegen gesetzliche Beschränkungen oder Verbote kryptografischer Sicherungssysteme auszusprechen und sich für offene Verschlüsselungsstandards einzusetzen; zweitens den Einsatz von Backdoors zu verurteilen und sich nicht an digitalen Grau- oder Schwarzmärkten für Sicherheitslücken zu beteiligen und drittens Sicherheitslücken unverzüglich an das BSI zu melden, damit diese in Kooperation mit den betroffenen Unternehmen geschlossen werden können.
Die Geschichte der Grundrechte ist eine Geschichte der Einschränkung dieser Rechte. Das wollen wir jetzt ändern!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns nutzt Handy, Tablet, Laptop – wir organisieren unser Leben mithilfe von Apps und Programmen. Wir arbeiten digital, kommunizieren digital, und genau deswegen geht Verschlüsselung uns alle an. Lassen Sie uns Verschlüsselung stärken, lassen Sie uns unsere Sicherheit, unsere Privatsphäre und unsere Grundrechte stärken – durch ein Recht auf Verschlüsselung!
Vielen, vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])
Vielen Dank, Jimmy Schulz. – Der nächste Redner in der Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296268 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 68 |
Tagesordnungspunkt | Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Raum |