29.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 68 / Zusatzpunkt 13

Metin HakverdiSPD - Aktuelle Stunde - Steuerbetrug in Deutschland durch Cum Fake Geschäfte

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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teile der Finanzindustrie, so müssen wir heute verbittert feststellen, haben nie die notwendigen Konsequenzen aus dem Beinahekollaps von vor knapp zehn Jahren gezogen. Man gewinnt fast den Eindruck, dass die Geschäftsmodelle einiger Akteure ausschließlich darin bestehen, sich auf Kosten der Allgemeinheit, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu bereichern. Vor 2008 wurden mit extrem spekulativen Geschäften riesige Boni eingestrichen, Gewinne wurden privatisiert, Verluste sozialisiert. Mit Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäften wurde direkt ins Portemonnaie des Steuerzahlers gegriffen.

Nun haben wir es mit Cum-Fake zu tun. Die Vermutung liegt nahe, dass auch diesmal durch Steuererstattungstricks der Fiskus geprellt wurde. Zur Vollständigkeit gehört hier auch, dass wir es bisher noch nicht sicher wissen. Mit sogenannten American Depositary Receipts, abgekürzt ADRs, könnte der Fiskus durch rechtswidrige Erstattung von Kapitalertragsteuer geprellt worden sein. ADRs selbst sind keine Aktien, ADRs sind so etwas Ähnliches wie Verbriefungen von Aktien. Man erwirbt lediglich die Rechte und Pflichten aus der Aktie, die Aktie selbst wird hinterlegt und lagert dann in Depots von sogenannten Verwahrern; das sind üblicherweise Banken.

ADRs können übrigens ganz sinnvoll sein: Deutsche Aktien können über den Umweg der ADRs auch auf dem amerikanischen Finanzmarkt gehandelt werden, ohne selbst dort gelistet sein zu müssen.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Vielen Dank!)

ADRs gelten in den USA als amerikanische Wertpapiere. Amerikanische Pensionsfonds können deshalb auf diese Weise ausländische Aktien kaufen, was sie direkt nicht dürften. Und: ADRs berechtigen, die Dividende einzustreichen,

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genau!)

die für die zugrundeliegende Aktie in Deutschland ausgeschüttet wird.

Und da beginnt das Problem: Dividendenzahlung in Deutschland und Doppelbesteuerung. Sobald die Dividende in Deutschland auf eine Aktie ausgeschüttet wird, gehen davon sofort 25 Prozent Kapitalertragsteuer an den deutschen Fiskus. Zwischen den USA und Deutschland besteht Gott sei Dank ein Doppelbesteuerungsabkommen. Genau deshalb kommt es in den USA hinsichtlich dieser Aktie nun zu einem Steuergestaltungswettbewerb in Form von ADRs. Gewonnen hat diesen Wettbewerb, wer ADRs emittiert, die es dem Inhaber ermöglichen, möglichst viel von den 25 Prozent zurückerstattet zu bekommen.

Diese Steuergestaltungen waren auch schon in der Vergangenheit zum Teil illegal. Aber diese Gestaltungen, also diese ADRs, die die Rückerstattung möglich machten, hatten wenigstens noch eine Aktie bei einem Verwahrer in Deutschland, und es wurden tatsächlich zunächst 25 Prozent der Dividende an den Fiskus abgeführt.

Was aber der neueste Clou ist – also, so neu ist der auch nicht, ist aber superdreist –: Es gibt gar keine Aktie, diese ADRs sind Phantompapiere. Es wurden auch nie 25 Prozent Kapitalertragsteuer gezahlt. Deshalb wird auch nichts zurück erstattet, es wird einfach direkt in die Steuerkasse gegriffen, ein Raubzug.

Diese Scheingeschäfte sind natürlich verboten. Banken in den USA haben diese Phantompapiere trotzdem ausgegeben, auch die US-Tochter der Deutschen Bank. Dafür wurden sie in den USA belangt. Mit solchen Schein-ADRs konnten sich die Inhaber online an die deutschen Steuerbehörden wenden und eine „Erstattung“ beantragen; das sogenannte Datenträgerverfahren.

Wir wissen noch nicht, ob tatsächlich mit solchen Scheinpapieren Steuererstattungen beantragt wurden. Bisher gibt es keinen bestätigten Fall. Können wir uns deshalb zurücklehnen? Ich denke, nein. Im globalisierten Finanzmarkt wird alles, alles was möglich ist, um Steuern zu hinterziehen oder erstattet zu bekommen, auch gemacht. Wozu sonst sollte man solche Phantompapiere überhaupt herausgeben, wenn man nicht anschließend rechtswidrige Erstattung betreiben will?

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Die Feststellung ist bitter: Wir können einem Teil unserer Finanzelite schlicht und einfach nicht vertrauen. Es reicht nicht, die Tür mit klaren Regeln zu schließen – man muss alle Türen und Fenster doppelt und dreifach verriegeln.

(Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])

Diese Leute agieren wie Einbrecher, die jedes Loch, jede noch so kleine Lücke nutzen, um unser Regelsystem zu unterlaufen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der globalisierten und digitalisierten Welt der Finanzmärkte gleichen einige Finanzakteure Hackern, die wir aus der IT-Welt kennen: Sie sind spezialisiert darauf, Schadsoftware zu erstellen und unser Finanzsystem mit einem Virus zu infizieren und zu fluten. Unsere Aufgabe wird sein, das Betriebssystem unserer Finanzwelt immer wieder zu aktualisieren. Deshalb halte ich wenig davon, sich jetzt nur auf die Finanzverwaltung zu stürzen. Das wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Geld der Steuerzahler stehlen. Noch im letzten Monat wurde hier im Deutschen Bundestag ein Antrag der FDP wie folgt begründet – Herr Präsident, ich zitiere –:

Nach der Finanzkrise hat die Politik die Finanzmärkte deutlich stärker reguliert. Das muss jetzt sinnvoll zurückgestutzt werden …

(Frank Schäffler [FDP]: Wo ist eigentlich der Finanzminister?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Zukunft sind wir gut beraten, die Fenster und Türen unseres Finanzsystems doppelt und dreifach zu sichern, zu regulieren, wo zu regulieren ist. Mit einer Entfesselung der Finanzmärkte ist unserem Land nicht gedient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE])

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Abgeordnete Jörg Cezanne.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7296464
Wahlperiode 19
Sitzung 68
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Steuerbetrug in Deutschland durch Cum Fake Geschäfte
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