29.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 68 / Zusatzpunkt 14

Helge LindhSPD - Abschiebestopp für Geflüchtete aus Afghanistan

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Herrmann, ich weiß nicht nur, was das Wort „Kausalität“ bedeutet. Ich kenne auch die Bedeutung der Wörter „Infamie“ und „Limitiertheit“; und beides beschreibt ziemlich genau Ihre Argumentation.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich finde es keineswegs verwerflich, es ist auch völlig legitim, dass Sie sich mit Verbrechen oder mutmaßlichen Verbrechen von mutmaßlich geflüchteten Tätern auseinandersetzen. Ich würde mir nur wünschen, einmal zu erleben, dass Sie sich annähernd so viel mit Straftaten von deutschen Tätern aus dem Nah- oder Fernfeld auseinandersetzen würden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie lenken vom Thema ab! Das ist nicht das Thema! Es geht um Abschiebungen nach Afghanistan!)

Und zum Zweiten würde ich mich fast noch mehr freuen, wenn Sie sich mit gewissen Laxheiten in Bezug auf das Recht in Ihren eigenen Reihen so intensiv befassen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie sollten diese Logik, die Sie in der ernsten Frage des Abschiebestopps anwenden, auf sich selbst anwenden.

(Jürgen Braun [AfD]: Sie haben es ja nicht so mit den Fakten!)

Wenn wir uns ein Beispiel an Ihnen nehmen würden, dann dürften wir gar keinen Parlamentarismus praktizieren. Zum Glück tun wir das nicht.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das hat keiner vor!)

Kommen wir aber zum Thema: Wir sind uneins. Gestern sprach Boris Pistorius als Sprecher der A-Länder im Rahmen der Innenministerkonferenz einen Satz, den ich eigentlich nicht schätze, aber es gibt Situationen, in denen ich mich freue, ihn nicht mit Genugtuung, aber doch mit Beruhigung zu hören.

Kollege Lindh, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Curio?

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist aber nicht Curio! Das ist der Spangenberg! Die sind zwar beide kurios, es ist aber der Spangenberg!)

Ach, eigentlich habe ich heute Lust, zu gestatten. Deshalb werde ich gestatten, auch wenn das sozusagen das Gesamtkunstwerk der Rede unterbricht. Er schenkt mir jetzt noch mehr Redezeit, also soll er sich ruhig melden.

Entschuldigung, das war nicht Herr Curio, aber trotz alledem gibt es das Begehr einer Frage. – Herr Spangenberg.

Sehr verehrter Herr Kollege Lindh, ist Ihnen bekannt, dass wir deutsche Straftäter nicht abschieben können, weil wir unsere deutschen Kriminellen nicht anderen Bürgern aufs Auge drücken können? Mit denen müssen wir alleine klarkommen hier in Deutschland.

(Zuruf von der SPD: Sollen wir die AfD abschieben?)

Es geht darum, dass wir nicht zusätzlich zu unseren eigenen deutschen Kriminellen noch Fremde ins Land holen und behalten. Vielleicht denken wir noch einmal darüber nach, wenn Sie das nächste Mal einmal selbst Opfer sind, was ich nicht hoffe. Vielleicht bekommen Sie dann eine andere Meinung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Bei der Qualität und Menschenfeindlichkeit von einzelnen Vorträgen der AfD bedauere ich es manchmal, dass wir nicht die Möglichkeit haben, deutsche Staatsbürger abzuschieben, die sich in solcher Weise gegen Menschen vergehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der AfD: Pfui!)

Denn wir sprechen hier im Übrigen, auch wenn wir von geflüchteten Gefährdern und Straftätern sprechen, von Menschen. Wenn Sie das nicht begriffen haben, haben Sie in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das war eine blöde Antwort! – Zurufe von der AfD)

Ich war aber dabei, auszuführen, dass ich mit Freude festgestellt habe, dass Boris Pistorius deutlich gemacht hat, dass die A-Länder, also die sozialdemokratisch geführten Bundesländer, einer Ausweitung der Abschiebung von Afghanen nicht zustimmen, sondern die Beschränkung nach bisherigem Stand, nämlich auf Straftäter und terroristische Gefährder, präferieren. Das ist – das sage ich auch deutlich, deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen – kein genereller Abschiebestopp, sondern es ist eine Beschränkung, die ich aber für richtig und notwendig halte. Das – ich denke, das zu sagen, gebietet die Ehrlichkeit – sehen nicht alle so. Das sehen auch die B-Länder nicht so, wie wir gestern und heute feststellen konnten. Dort weist die Tendenz in die Richtung, alle Afghanen prinzipiell für eine Abschiebung vorzusehen. Unsere Position ist an diesem Punkt ganz klar: Wir halten das nicht für vernünftig, nicht für verantwortbar und einfach nicht für richtig, zum jetzigen Zeitpunkt schon gar nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir können aus unserer Sicht nämlich nicht ernsthaft begründen, warum beispielsweise Menschen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, oder auch Familien mit Kindern in der jetzigen Situation, unter den gegebenen Bedingungen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen; denn dieses Land ist kein sicheres Land. Da nützen uns auch keine Quoten und Berechnungen oder Vergleiche mit Syrien.

Wenn wir uns die Lageberichte und andere Berichte ansehen, ist die Wahrheit, dass die Lage äußerst volatil ist, sehr unterschiedlich nach Regionen; aber nicht nur nach Regionen, sondern man müsste im Grunde immer individuell insbesondere nach Ethnie und Konfession schauen. Daher ist das Ergebnis, das der Lagebericht, den wir alle – wie auch andere Berichte – mehr oder weniger präzise kennen, liefert, nicht eindeutig.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Den kann man im Menschenrechtsausschuss einsehen! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Den muss man nur lesen!)

Dieser Bericht begründet aus unserer Sicht eben nicht die Möglichkeiten, generell abzuschieben.

Ich habe diesen Montag mit Herrn Wolfgang Grenz,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guter Mann!)

dem ehemaligen Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, auf einem Podium sitzen dürfen. Er ist einer der Pioniere der Flüchtlingsbewegung und der Menschenrechte in Deutschland. Er hat sehr konstruktiv auch die sozialdemokratische Haltung in Bezug auf ein Einwanderungsgesetz, in Bezug auf unabhängige Verfahrensberatung unterstützt, und gleichzeitig unterstützt er in dem Fall nicht unsere Position, sondern die der Linken. Das halte ich auch nicht für ein großes Problem;

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Doch!)

denn ein Parlament lebt davon, dass es auch durch andere Meinungen herausgefordert wird. Jedenfalls wir können in unserer Souveränität gut damit leben, ohne uns dem anzuschließen.

Es ist meines Erachtens auch notwendig, sich ganz deutlich den Ernst und das bewusst zu machen, was für eine fundamentale Entscheidung wir treffen. Es ist nicht ein Moment der Genugtuung, sondern eher ein Moment der Bescheidenheit, Sachlichkeit und Demut, wenn wir feststellen, dass wir aus gegebenen Gründen – weil wir das Recht umsetzen – abschieben. Darüber braucht man sich nicht zu freuen, weder an Geburtstagen noch außerhalb von Geburtstagen. Es ist schlicht und einfach die Konsequenz des Asylrechts, so wie wir es praktizieren.

Dass wir vonseiten der SPD uns entschieden haben, bei Gefährdern und bei Straftätern Abschiebungen zu unterstützen und für akzeptabel zu halten, ist Ergebnis einer Güterabwägung – zwischen dem Abschiebeinteresse des Staates einerseits und dem Bleibeinteresse der Person andererseits. Diese Abwägung muss man in einer bestimmten Situation treffen, und wir treffen sie gegenwärtig so und nicht anders.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir von Afghanistan sprechen, bewegen wir uns in einer Situation der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Ich glaube, diese Komplexität müssen wir uns zumuten. Wir haben nämlich einerseits – das werden auch andere beschreiben – eine in den letzten Monaten – ich sage das ganz deutlich – unsicherer gewordene Lage in Afghanistan und andererseits womöglich so viel Hoffnung auf Frieden wie noch nie zuvor. Heiko Maas hat das gestern zu Recht im Rahmen der Afghanistan-Konferenz erwähnt. Wir erleben so viele Frauen in Afghanistan wie noch nie, die sich glücklicherweise zivilgesellschaftlich engagieren, die zu Wahlen antreten. Beides müssen wir zusammendenken und ertragen, und wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen.

Deshalb gebührt auch all denjenigen Organisationen, die dort Friedens- und Aufbauarbeit leisten und die ermöglichen wollen, dass künftig Menschen – auch viele, die momentan vielleicht in Deutschland leben – wieder sicher und mit Perspektive in Afghanistan leben können, unsere Unterstützung. Das gilt im Übrigen auch für die bis zu 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die dort gegenwärtig im Einsatz sind, um Friedensarbeit zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Ich wollte aber noch im Rahmen dessen, weil – –

Kollege Lindh, das wird jetzt nichts mehr. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dann komme ich jetzt, wie geplant, zum Schluss. Frau Präsidentin, ich schätze Ihre Strenge. Es ist auch richtig so; sonst würde ich gar nicht mehr aufhören.

Abschließend möchte ich noch feststellen, dass die Fragen, die auch in diesem Antrag genannt sind, etwa Fragen von Kontingenten, auch Fragen des Bleiberechts, aus unserer Sicht nicht solche sind, die wir jetzt entlang der Afghanistan-Frage diskutieren können; es sind aber sehr wohl sinnvoll zu diskutierende Fragen im Rahmen eines europäischen Asylsystems, so auch die Frage nach Aufnahmen auf Grundlage von § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere konstruktive Diskussionen im Namen der Menschlichkeit und nicht der Menschenfeindlichkeit.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7296563
Wahlperiode 19
Sitzung 68
Tagesordnungspunkt Abschiebestopp für Geflüchtete aus Afghanistan
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