29.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 68 / Tagesordnungspunkt 16

René RöspelSPD - Neue Verfahren in der Gentherapie

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „ Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen“. Als ich diesen Titel las, war ich zugegebenermaßen sehr gespannt, was da kommt und in welche Richtung das geht. Aber als ich dann den Antrag gelesen habe, war ich eher enttäuscht oder verwirrt, weil Sie nicht wirklich Position beziehen und eine Menge Dinge durcheinanderbringen, die eigentlich sortiert gehören. Am Ende wusste ich nicht wirklich, wofür die FDP in dieser Frage steht und was sie mit dem Antrag will. Ich muss daher zu dem Schluss kommen: Offenbar geht es Ihnen erst mal darum, zu unterscheiden zwischen der fortschrittsorientierten FDP und den anderen, die Fortschritt irgendwie behindern. Ich versuche, zu belegen, dass das falsch ist, um Ihre Position zu widerlegen.

Ich habe mir Ihre unterschiedlichen Forderungen angeschaut. Was Gentherapie aus Ihrer Sicht ist, ist nicht so richtig klar geworden. Es geht um die drei Bereiche Agrogentechnik oder grüne Gentechnik, Keimbahnintervention und somatische Gentherapie. Sie sprechen die Agrogentechnik bzw. grüne Gentechnik an und stellen die Forderung auf, dass die Bundesregierung Position beziehen möge zu dem jüngst ergangenen Urteil des EuGH, also des Europäischen Gerichtshofs, über die Einordnung der neuen Technologie CRISPR/Cas mit Blick auf die Frage: Ist das jetzt Gentechnologie oder nicht? Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Es ist Gentechnologie. – Die Europäische Richtlinie 2001/18 gilt und ebenso das Gentechnikgesetz. Ich kann zwar nicht für die Bundesregierung sprechen. Aber da ich nichts anderes gehört habe, ist offenbar die Position der Bundesregierung, dass es Gentechnologie ist.

(Carina Konrad [FDP]: Das ist falsch!)

Es gibt auch keinen Widerspruch gegen dieses Urteil.

Eine Erfahrung, die ich mit der FDP gemacht habe, ist, dass etwas aufgebaut wird, wo eigentlich die letzte Konsequenz fehlt. Ich habe das im Frühjahr 2009 schon mal erlebt. Da hat nämlich die damalige CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner die Aussaat von MON 810, einem gentechnisch veränderten Mais, verboten. Das gab heftige Proteste bei der FDP, eine Kleine Anfrage und all das Gedöns.

(Carina Konrad [FDP]: Das ist doch kein Gedöns!)

Sechs Monate später waren Sie in der Regierung und aus dem lauten Rufen wurde Stille im Saal. Sie hätten es damals wenigstens auf die Tagesordnung setzen können.

Das zeigt: Wenn Sie Opposition sind, stellen Sie scharfe Forderungen auf. Wenn Sie an der Regierung sind, ist die Sache damit vergessen.

(Marianne Schieder [SPD]: Darum wollen sie wahrscheinlich nicht mehr regieren! – Zuruf der Abg. Carina Konrad [FDP])

Das kann ich Ihnen, Herr Brandenburg, nicht vorwerfen. Aber es gäbe eine Möglichkeit: Machen Sie in Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Gentechnikgesetzes. Dann können wir hier wirklich diskutieren. Das wäre mal konsequent.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Albani [CDU/CSU] – Zuruf von der FDP: Okay, das lässt sich machen!)

Der zweite Bereich ist die Keimbahnintervention. Das ist genau das, was wir jetzt in China erleben – wenn es denn wirklich zutrifft. Das heißt, es gibt Eingriffe in die Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, um die Genetik an einigen Stellen so zu verändern, dass bestimmte Eigenschaften gefördert und andere verhindert werden. Die Begründung aus China war, dass man das Kind resistent gegen Aids machen wollte. Das ist aus meiner Sicht nicht nur hanebüchen – man rasiert da sozusagen eines der entscheidenden Membranproteine heraus –, sondern kann auch zu Konsequenzen für das betroffene Kind führen, die überhaupt noch nicht vorhersehbar sind, weil das Protein, das dort verändert worden ist, letztlich aus Entzündungsreaktionen bekannt ist. Die beiden Kinder, die geboren wurden, werden wahrscheinlich Einschränkungen im Hinblick auf Entzündungsreaktionen haben. Ich weiß nicht, ob das im Sinne des Erfinders ist. Das werden wir sehen. Aber es ist ein Experiment, das ich nicht für verantwortbar halte, auf Kosten zweier Menschen, die das nicht beeinflussen können und die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen selbst tragen müssen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus dem Antrag ist nicht herauslesbar, was Sie eigentlich wollen. Sie sprechen an zwei Stellen davon, dass Sie § 5 des Stammzellengesetzes ändern wollen. Darin sind die Anforderungen festgelegt, die es ermöglichen, embryonale Stammzellen oder Stammzelllinien nach Deutschland zu importieren. Was wollen Sie dort ändern? Wollen Sie mehr mit embryonalen Stammzellen arbeiten, oder wie soll das aussehen? Keine Ahnung. Ich bin mal gespannt, welche Antworten noch kommen.

Der andere Punkt ist, dass Sie ausdrücklich erwähnen, dass Sie das Präimplantationsdiagnostik- und das Embryonenschutzgesetz den technologischen Veränderungen anpassen wollen. Sie schreiben an anderer Stelle noch, dass Sie wissenschaftliche Evidenz in die ethische Debatte einbringen wollen. Wenn ich das Ganze unter der Überschrift „Neue Verfahren in der Gentherapie“ sehe – CRISPR/Cas ist eine Genschere, mit der ich Gene oder DNA-Sequenzen verändern kann –, dann bleibt aus meiner Sicht nur der Schluss, dass Sie über das Embryonenschutz- und das Präimplantationsdiagnostikgesetz tatsächlich Keimbahninterventionen erlauben wollen, also das chinesische Modell irgendwie in Deutschland einführen wollen. Da hätte ich mir mal eine eindeutige Position der FDP gewünscht. Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie das, oder wollen Sie es nicht? Oder wollen Sie es über die Hintertür? Das finde ich eben auch nicht konsequent, und deswegen müssen wir das an anderer Stelle, vielleicht noch mal im Ausschuss, erörtern. Wir warten auf Ihre Einschätzung.

Der dritte Bereich ist die somatische Gentherapie, bei der es eigentlich darum geht, betroffenen Menschen durch die Infusion von veränderten Zellen zu helfen. Stephan Albani hat das ja schon ein bisschen angesprochen.

Ich habe jahrelang ein Kind, das an Muskeldystrophie Duchenne litt und mit 14 Jahren daran gestorben ist, und vor allen Dingen dessen Eltern begleitet. Der Tod ist eine sehr häufige Prognose bei dieser Erkrankung. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir in der Lage gewesen wären, eine Gentherapie anzuwenden, mit der das fehlende Protein – das war der Grund für die Dystrophie – stabil hätte verabreicht werden können, meinethalben auch durch ständige Impfungen oder so was. Ich sehe eigentlich niemanden in diesem Hause, der tatsächlich gegen eine solche Verfahrensweise – wenn nicht durch ein zugelassenes Medikament, so doch wenigstens als Heilversuch – wäre.

Unterschiedliche Erfahrungen mit der somatischen Gentherapie gibt es tatsächlich weltweit. Die so gepriesenen Amerikaner in den USA sind da sehr schnell vorgesprengt und haben die somatische Gentherapie mit Adenoviren durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass – ein Beispiel ist Jesse Gelsinger – eine ganze Reihe von Menschen gestorben ist. Das ist aus meiner Sicht eben auch unverantwortlich. Das kann man nicht machen.

Stephan Albani hat dankenswerterweise einen Artikel in „Nature Medicine“ von vorletzter Woche erwähnt. Man hat – es wird darauf hingewiesen, dass Cas9 in der Natur vorkommt, was dazu führt, dass wir das Bakterium kennenlernen – tatsächlich festgestellt, dass bei gesunden Probanden sowohl eine Antikörper- als auch eine zellvermittelte Immunität in dem Moment auftreten, indem man ihnen solche durch Genschere behandelten Zellen verabreicht. Es geht darum, bei solchen Verfahren sicherzustellen, dass sie nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen des Patienten wirken.

Wenn ich das alles bilanziere, muss ich sagen: Ihr Antrag ist bei den wesentlichen und zentralen ethischen Fragen völlig unpräzise und lässt große Fragezeichen stehen.

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An den anderen Stellen sind wir uns einig. Wir sagen: Für uns ist die Patientensicherheit viel wichtiger als der Glaube, man müsse den Fortschritt deutlich beschleunigen.

Deswegen, glaube ich, kann man schon jetzt sagen, dass Ihr Antrag in dieser Frage auch im Ausschuss keine gute Perspektive haben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Röspel. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7296606
Wahlperiode 19
Sitzung 68
Tagesordnungspunkt Neue Verfahren in der Gentherapie
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