Johannes VogelFDP - Qualifizierungschancengesetz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich inhaltlich auf das Gesetz eingehe, muss ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, schon noch etwas zum Verfahren sagen. Dass Sie Anliegen, die eilig oder nicht umfangreich sind, mal an Gesetze dranhängen, ist normaler parlamentarischer Alltag. Das werfen wir Ihnen nicht vor. Aber die Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils, wo es um Grundrechte geht – was ja nicht ganz kurzfristig kam, sondern was Sie seit anderthalb Jahren wissen –, hier jetzt so durch das Parlament zu peitschen, ohne zum Beispiel die Betroffenen auch nur seriös anhören zu können, das ist unparlamentarisch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das hätten wir als Opposition anders erwartet.
Dass wir Stellungnahmen von Experten zu schon fertigen Texten bekommen, bevor Sie das Parlament auch nur informiert haben, dass Sie überhaupt die Absicht haben, noch etwas an das Gesetz zu hängen, geht auch nicht. Es wurde auch nicht dadurch besser, dass Vertreter der Koalition im Ausschuss gesagt haben, sie hätten das als Abgeordnete ja auch erst vier Tage vor der Anhörung erfahren. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wo ist denn Ihr Parlamentarierstolz?
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament trägt die Regierung. So sollte niemand mit sich umgehen lassen, egal ob Koalitions- oder Oppositionsabgeordneter, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Aber zur Sache, zum Gesetzentwurf, möchte ich auch zwei Bemerkungen machen: Es ist richtig, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung endlich gesenkt wird. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ginge da nicht noch mehr? Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit hat uns im Ausschuss ja selber bestätigt, dass in den nächsten Jahren für alles Sinnvolle, inklusive der Möglichkeiten für mehr Weiterbildung Beschäftigter, genug Geld da sein wird; auch die Rücklage wird in ausreichender Höhe aufgebaut sein. Trotzdem wird die Bundesagentur für Arbeit in den nächsten Jahren voraussichtlich weitere Überschüsse erwirtschaften. Deshalb wäre es auch richtig, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kräftiger zu senken. Das können Sie heute tun.
(Beifall bei der FDP)
Sie könnten den Beitragssatz um 0,6 Prozentpunkte senken. Dann würden die Bürger auch wirklich entlastet; denn, lieber Kollege Peter Weiß, eine echte Entlastung ist das heute ja nicht. Sie senken den Arbeitslosenversicherungsbeitrag jetzt weniger stark, als Sie könnten, und um genau dieselbe Höhe haben Sie gestern den Pflegeversicherungsbeitrag erhöht. Das heißt, Sie nehmen aus der linken Tasche wieder heraus, was Sie in die rechte Tasche hineingesteckt haben. Das ist keine Entlastung, vor allem nicht für Geringverdiener. Diese bräuchten wir aber, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Zum zweiten Thema, zur Weiterbildung. In der Tat muss uns die Digitalisierung der Arbeitswelt keine Sorgen machen. Uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Im Gegenteil: Wir haben faszinierende Chancen für mehr Selbstbestimmung. Aber – da teilen wir das Anliegen – wir müssen jedem und jeder das Versprechen geben, an diesem Wandel auch gut teilhaben zu können. Dabei kann und muss die Bundesagentur für Arbeit in Zukunft eine stärkere Säule bei der Weiterbildung von Beschäftigten sein; das ist richtig.
Wir werden aber gemeinsam darauf achten müssen, dass in der Tat nur die Weiterbildungen möglich gemacht werden, die es sonst nicht geben würde, also dass es ohne Mitnahmeeffekte abläuft. Deshalb ist es richtig, dass wir da gemeinsam hinschauen. Und es ist umso wichtiger, dass das mit einer kräftigen Beitragssatzsenkung verbunden wird.
Aber auch klar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir können doch nicht bei der Bundesagentur für Arbeit stehen bleiben. Unser Arbeitsmarkt besteht übrigens auch nicht nur aus Angestellten, sondern auch aus Selbstständigen und Freelancern. Weiterbildung wird auch weiterhin in erster Linie eine individuelle Aufgabe sein, bei der jeder selber überlegen muss, wie sein Lebensweg verlaufen soll. Insofern warten wir auf eine echte nationale Weiterbildungsstrategie im digitalen Zeitalter immer noch vergeblich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Denn dazu müssten noch andere Elemente kommen. Die Bundesagentur für Arbeit ist ein Element. Aber was ist zum Beispiel mit Bildungssparen? Was ist mit einem Instrument für Geringverdiener, einer Art Midlife-BAföG, wie wir es vorgeschlagen haben? Wie schalten wir eigentlich andere Bildungseinrichtungen, die Universitätslandschaft, das ganze Land für dieses Thema frei? Wie schaffen wir also ein echtes zweites Bildungssystem für das ganze Leben? Das muss unser Anspruch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Also: Bei der Entlastung brauchen wir mehr Mut, und beim Thema Weiterbildung ist der Gesetzentwurf noch lange nicht der große Wurf, den wir brauchen. Aber auch ein kleiner und zu kurzer Schritt in die richtige Richtung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Deswegen werden wir als konstruktive Opposition diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Für die Fraktion Die Linke hat nun Sabine Zimmermann das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296649 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Qualifizierungschancengesetz |