13.12.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 71 / Zusatzpunkt 1

Marco BuschmannFDP - Brexit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Großbritannien ist das Mutterland der Demokratie. Großbritannien ist das Mutterland des Parlamentarismus. Bedenkt man John Lockes großen Satz, dass Leben, Freiheit und Besitztümer zum Menschen gehören, ist Großbritannien auch das Mutterland der Grund- und der Menschenrechte. Wenn ein solches Land seine Zukunft nicht mehr im Kreise der EU sieht, sondern außerhalb, dann ist das ein Anlass, der mich nicht nur besorgt, er macht mich traurig. Ich möchte fast sagen: Es zerreißt einem das Herz.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann sollte man darüber nachdenken!)

Deshalb sollten wir trotzdem, auch wenn es einige schon mehrmals gesagt haben, klar zum Ausdruck bringen: Wenn das britische Volk nach seinen eigenen verfassungsmäßigen Regeln zu dem Ergebnis kommen sollte, dass es seine Entscheidung korrigieren möchte, dann sollte es kein Triumphgeheul geben, dann darf es keine Arroganz geben, sondern dann sollten wir uns freuen und es wie den verlorenen Sohn im Kreise der Familie willkommen heißen, und zwar ohne jegliche Überheblichkeit. Dieses Signal sollte von dieser Debatte ausgehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der AfD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das wollen die nicht!)

Es zerreißt einem nicht nur das Herz, wenn man die Entwicklung beobachtet, sondern der harte Brexit würde auch Lieferketten zerreißen. Alexander Graf Lambsdorff und andere Redner haben darauf hingewiesen: Es betrifft das Familienrecht, das Gesellschaftsrecht, Medizinproduktezulassung – unzählige Lebensbereiche sind betroffen. Und wir sind uns in Wahrheit doch einig: Angesichts dieses Ereignisses, das so tiefgreifende, einschneidende Veränderungen im Leben nicht nur der britischen Bürger, sondern auch unserer Bürger bedeuten könnte – wenn es beispielsweise bei Ford demnächst Produktionsdrosselungen gibt, wenn Zulieferer betroffen sind –, müssen wir alle gemeinsam von der Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung verlangen, aus der hervorgeht, wie sie die Lage beurteilt, was die Instrumente wären, um Schaden von uns abzuwenden, und wie sie diese Instrumente umsetzen würde.

Ich kann nicht verstehen, dass die Bundeskanzlerin bis heute angesichts dieser historischen Entwicklung – der Außenminister hat es selbst „historisch“ genannt – eine Regierungserklärung in diesem Haus verweigert. Das ist inakzeptabel.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hat doch gestern ausführlich Stellung genommen!)

Wir werden als Parlament hier trotz dieser historischen Entwicklung wie Bittsteller behandelt, als ob wir um eine Audienz bei einem Gutsherren bitten; und es wird in Gutsherrenmanier darüber entschieden. Das ist angesichts einer so bedeutenden Frage ein Modus im Umgang, den wir uns als selbstbewusstes Parlament nicht bieten lassen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn das so ist,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist nicht so!)

dann ist der Weg, darauf zu antworten, der, ein Gesetz zu machen: Wir wollen und schlagen deshalb dem Parlament vor, dass dieses Parlament bei solchen Entscheidungen, solchen Entwicklungen mit solcher Tragweite nicht mehr betteln muss um eine Regierungserklärung,

(Zuruf von der CDU/CSU: Dass man wegen jedem Dreck eine Regierungserklärung machen muss!)

sondern dass dieses Parlament einen Anspruch darauf hat, dass die Bundesregierung vor Räten und vor großen Entscheidungen mit internationalen Bezügen durch die Regierungschefin hier erklärt,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das findet doch statt!)

was sie vorhat, und sich anhören muss, was wir dazu zu sagen haben, und zwar als Vertreter des deutschen Volkes. Das ist angemessen für demokratischen Parlamentarismus.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte schließen mit einer Bemerkung, die nicht von einem Mitglied meiner Fraktion stammt. Mein Büronachbar Norbert Lammert hat stets gesagt – –

Herr Kollege Buschmann, der Kollege Grosse-Brömer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ich freue mich darauf.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und ich erst! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Man sieht es! Er ist noch nicht ganz so überzeugt!)

Ich freue mich auch, dass Sie, Herr Kollege, diese Frage zulassen. – Sind Sie mit mir einer Auffassung, dass das deutsche Parlament zu den Parlamenten zählt, das klare Regeln hat zur Beteiligung in Angelegenheiten der Europäischen Union – ja, dass man fast sagen kann: Kein Parlament ist eigentlich so intensiv beteiligt an der Einflussnahme auf die Regierung, wenn es um Entscheidungen in Europa geht? Würden Sie bestätigen, dass die Bundeskanzlerin hier regelmäßig Stellung nimmt vor großen Gipfeln, dass sie das zu G 20 getan hat,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir erstritten vor dem Bundesverfassungsgericht! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon lange nicht mehr!)

dass sie das natürlich nicht zu jedem Gipfel macht, weil mancher Gipfel natürlich auch eine gewisse Routine ist, und dass es möglicherweise auch Sinn macht, dass die Bundesregierung in ihrer eigenen Kompetenz entscheidet, ob sie gewisse Sachen für so bedeutsam hält, dass sie dazu eine Regierungserklärung abgibt?

(Manuel Höferlin [FDP]: Das ist der entscheidende Punkt!)

Wenn das alles zutrifft, würden Sie dann vielleicht mit mir der Auffassung sein, dass eine gesetzliche Regelung – zumal es auch schwierig ist, zu sagen, wann es wichtig und wann es unwichtig ist;

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das glaube ich! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke an unsere Klage und das Urteil vom Bundesverfassungsgericht!)

wahrscheinlich gibt es dazu sehr unterschiedliche Auffassungen – in diesem Fall wirklich unsinnig wäre?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin sehr dankbar für diese Frage; sie war nämlich zu erwarten, und sie gibt mir Gelegenheit, einen Teil meiner Argumentation vorzutragen, die ich sonst in vier Minuten nicht hätte unterbringen können.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb bin ich Ihnen erstens sehr dankbar und komme jetzt zweitens zur materiellen Beantwortung dieser Frage. Lieber Michael, das Bundesverfassungsgericht hat uns als Parlament aufgegeben, dass wir hier aufgrund unserer Verfassung eine Integrationsverantwortung haben

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch klar!)

und dass deshalb der alte Modus, europäische Angelegenheiten wie Außenpolitik zu betrachten, verfassungsrechtlich inakzeptabel ist. Und deshalb haben wir hier das EUZBBG durchgesetzt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das hat bis jetzt keiner bestritten!)

Und deshalb ist es auch richtig, dass der Deutsche Bundestag eingebunden ist in Angelegenheiten der Europäischen Union,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da geben Sie mir also schon einmal recht!)

dass diese Regelung jedoch zu einer Lücke führt: Die Informationspolitik ist intransparent, Große Anfragen werden so beantwortet, dass sich dieses Parlament verhöhnt fühlen muss, und eine Regierungserklärung wird verweigert, obwohl es um einen historischen Vorgang geht. Das führt dazu, dass eine Lücke an Aufklärung entsteht, in die dann die Fake News der Freunde vom rechten Rand Einzug halten.

Und deshalb wäre es klug – in Anbetracht der Integrationsverantwortung, der Transparenz und des Selbstbewusstseins dieses Parlaments –, eine gesetzliche Regelung zu treffen. Und jetzt sage ich dir, Michael – ich bin noch nicht zu Ende –: Die Frau Bundeskanzlerin hat verweigert, hier eine Regierungserklärung abzugeben, obwohl wir am 1. Dezember 2016 die G‑20-Präsidentschaft übernommen haben – eine ganz außergewöhnliche Entwicklung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )

Die Frau Bundeskanzlerin hat verweigert, hier eine Regierungserklärung vor dem ersten NATO-Gipfel mit Donald Trump abzugeben, der die Existenz des Nordatlantischen Bündnisses infrage gestellt hat.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hat gestern dazu Stellung genommen!)

Ja wenn man selbst bei solchen Dingen hier die Regierungserklärung verweigert, dann ist es Zeit, eine gesetzliche Verpflichtung einzuführen; daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!)

Und deshalb möchte ich mit den Worten des ehemaligen Präsidenten dieses Hauses schließen – Michael, der deiner Fraktion angehört –: „Nicht die Regierung hält sich ein Parlament“, sondern ein Parlament hält sich eine Regierung. – Und dieses Selbstbewusstsein fordern wir über unseren Gesetzentwurf ein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das haben wir auch! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig!)

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7307140
Wahlperiode 19
Sitzung 71
Tagesordnungspunkt Brexit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta