13.12.2018 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 71 / Zusatzpunkt 14

Roderich KiesewetterCDU/CSU - USA und INF-Vertrag

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kameramann und liebe Journalisten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich, dass um diese Zeit, bei diesem für unsere Sicherheit so wichtigen Thema die Besetzung überdurchschnittlich ist. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen am frühen 14. Dezember, an dem die letzte Sitzung in diesem Jahr stattfindet.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Im Übrigen ist der 13. Dezember auch ein historischer Tag – ich will meine acht Minuten nutzen, um es anzusprechen –: Heute vor genau 116 Jahren fand die längste Rede in diesem Gebäude statt, die längste überhaupt in einem deutschen Parlament: acht Stunden.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss heute nicht sein!)

Ich versuche, meine Punkte in acht Minuten rüberzubringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben hier einen sehr einseitigen Antrag. Mir geht es hier nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, sehr nüchtern zu analysieren. Ich möchte aus dem Antrag der Linken drei Punkte herausgreifen, an denen er erhebliche Schwächen hat.

Erstens. Gemäß Antrag sollen die USA dazu aufgefordert werden, zum INF-Vertrag zurückzukehren; die Ankündigung, ihn möglicherweise aufzukündigen, sei sicherheitspolitisch kontraproduktiv. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, verkennt Ursache und Wirkung. Warum haben denn die USA die Aufkündigung vorgenommen? Sie haben sie vorgenommen, weil die USA seit 2014 über 30-mal versucht haben, mit den Russen in ein strategisches Gespräch über den Erhalt des INF zu kommen, und die Russen jedes Mal, 30-mal, das Gespräch abgelehnt haben.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Waren Sie dabei?)

Seit dem Jahr 2007 – mit der Erklärung von Putin und Lawrow bei der Münchner Sicherheitskonferenz – ist klar, dass die Amerikaner den INF-Vertrag – Entschuldigung! –, die Russen den INF-Vertrag

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ah, Freud’scher Versprecher!)

als ausgehöhlt betrachten. Sie haben seinerzeit klargemacht, dass die Art und Weise, wie der INF-Vertrag verfasst ist, in einer Zeit der multilateralen Bedrohungen nicht mehr passt. Aber die Zeit haben sie eben nicht genutzt, um Gespräche zu führen und um zu versuchen, den Vertrag zu erhalten, sondern die Russen haben, wie sie im Frühjahr dieses Jahres eingeräumt haben – zumindest haben sie im Februar nicht widersprochen –, die Zeit genutzt, um ein neues System mit einer Reichweite über 2 000 Kilometern zu entwickeln, das bereits getestet ist und sich in der Einführung befindet. Meine Damen und Herren, die Russen haben den Vertrag gebrochen, und die Amerikaner haben es offengelegt – nicht umgekehrt. Das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist nicht belegt!)

Die zweite Schwäche Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist eine noch viel schwierigere: Sie fordern, einfach den Verifikationsmechanismus des INF-Vertrags fortzusetzen. Wie Sie eigentlich wissen müssten, ist in den Jahren 1988 bis 2001, über 13 Jahre hinweg, in zehn Staaten eine Abrüstung der Mittelstreckenraketen erfolgt, und das mit Transparenz und Überprüfung. Nach Abschluss, 2001, wurden auch die Überprüfungs- und Verifikationsmechanismen abgeschafft, weil man sich vertraut hat und weil man diese Systeme abgelöst hat. Seit 2001 sind diese Waffensysteme quasi aus Europa verschwunden. Erst mit der Aufklärung, die in diesem Jahr stattfand, hat man festgestellt, dass Russland diesen Vertrag in den letzten Jahren gebrochen hat.

Der dritte Schwachpunkt Ihres Antrags ist etwas, wo die AfD Ihnen auf den Leim gegangen ist: Es ist die Hoffnung auf einen europäischen Sonderweg gemeinsam mit Russland. Sie fordern nämlich, die nukleare Teilhabe aufzugeben.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Habe ich doch gar nicht gesagt!)

Mit der nuklearen Teilhabe erreichen wir aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Länder wie Polen nicht wollen, dass die NATO-Russland-Grundakte gebrochen wird, und dass Länder wie Polen nicht verlangen, Nuklearwaffen auf ihrem Territorium zu stationieren. Wir erreichen mit der nuklearen Teilhabe, die in Europa von den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Italien und der Türkei geleistet wird, dass die Proliferation von Nuklearwaffen in Europa verhindert wird. Das ist ein Mehrwert, den wir nicht vergessen dürfen.

Darüber hinaus bedeutet es, dass wir die Amerikaner dazu verpflichten, auf europäischem Boden nukleare Schutzgarantien zu übernehmen; denn es handelt sich um US-Nuklearwaffen. Deshalb ist ein Sonderweg Europas mit Russland schlichtweg falsch,

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Begrüßenswert!)

weil er Zonen unterschiedlicher Sicherheit schafft und die Amerikaner von Europa abkoppelt. Wir als CDU/CSU stehen nicht hinter solch einem Vorschlag.

(Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Mittelstreckenraketenfreies Europa! Das wäre doch was!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die letzten Minuten meiner Redezeit darauf verwenden, Wege aufzuzeigen, wie man diesem Dilemma entkommen kann. Zunächst einmal brauchen wir mehr Transparenz und Verhandlungen. Es ist ein Verdienst der Bundesrepublik Deutschland, dass erreicht wurde, dass die Amerikaner den Vertrag eben nicht aufgekündigt haben, sondern dass wir jetzt ein 60-tägiges Moratorium haben. Diese zwei Monate müssen wir nutzen, um zu verhandeln, um auf Augenhöhe, wie es mein Vorredner sagte, mit Russland ins Benehmen zu kommen.

Das bedeutet aber auch – das ist die vierte Schwäche Ihres Antrags –, dass wir nichts von vornherein ausschließen sollten.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha, aha!)

Ich bin kein Befürworter einer Nachrüstungsdebatte; aber ich bin dafür, dass wir alles erwägen und überlegen. Wenn Russland nicht bereit ist, diese Systeme abzuschaffen, sollten wir Russland dazu bringen, diese Systeme jenseits des Urals zu stationieren, um seiner Sicherheitsperzeption an der Süd- und Südostflanke nachzukommen. Wenn wir das aber erreichen wollen, müssen wir das aushandeln. Wir brauchen ein vertrauensbildendes System, mit dem auch die russischen Systeme beobachtet und verifiziert werden können. Umgekehrt sollten wir zulassen, dass hinsichtlich der Systeme der Raketenabwehr, die die USA in Rumänien stationiert haben, geprüft wird, inwieweit Transparenzmaßnahmen zulässig sind.

Ein weiterer Schritt, der erforderlich ist, ist die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rats, um auf dieser Ebene in den unmittelbaren militärischen Dialog zu treten.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!)

Denn nach Abfeuern einer Rakete – darüber müssen wir uns im Klaren sein – kann man in der knappen Zeit nicht feststellen, ob es ein Test oder ein Abschuss ist. Ferner kann man nicht feststellen, ob es sich um eine nukleare oder konventionelle Rakete handelt. Deswegen ist es so wichtig, nicht nur das rote Telefon auf höchster politischer Ebene zu haben, sondern auf militärischer Ebene vertrauensbildende Maßnahmen, Kontakte und ständige Kommunikation zu ermöglichen.

(Beifall des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/CSU])

Ein Letztes. Die Lage ist ernst. Wir sollten uns auch darauf einstellen, dass dieser Vertrag nicht fortgesetzt wird. Wenn er scheitert, müssen wir dafür sorgen,

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ein neuer Vertrag!)

dass an seine Stelle vertrauensbildende Maßnahmen und Sicherheitsgarantien treten, und unserer Öffentlichkeit deutlich machen, was denn das Interesse der USA und Russlands an einer möglichen Aufhebung dieses Vertrages ist: Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich Staaten wie China, Pakistan, Indien und Iran Mittelstreckenraketen nuklearer Art zugelegt, die nicht unter das INF-System fallen. Die Ausverhandlung eines globalen Vertrages, der von anderen mitgetragen wird, dauert viele Jahre. Um solche Verhandlungen zu ermöglichen, brauchen wir in der Zwischenzeit vertrauensbildende Maßnahmen, einen Dialog. Es ist auch die Aufgabe der Bundesrepublik und der Europäischen Union, zu erreichen, dass andere Staaten die sicherheitspolitischen Bedenken nicht nur teilen, sondern auch bereit sind, daran mitzuwirken, dass wir ein globales Regime der Rüstungskontrolle bekommen.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das können wir doch machen im UN-Sicherheitsrat!)

Wenn uns das gelingt – da haben sich Deutschland und Frankreich, die im März und im April 2019 den Vorsitz im Sicherheitsrat haben, einiges vorgenommen –, haben wir den Frieden sicherer gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD])

Das gelingt aber nicht mit einem Antrag der Linken, die die Schuld einseitig den Amerikanern zuweist und gar unsere nukleare Teilhabe aufgeben will.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der AfD und der FDP)

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Electoral Period 19
Session 71
Agenda Item USA und INF-Vertrag
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