Thomas SattelbergerFDP - Gewinnung von Spitzenforschern
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sind wahrscheinlich noch ganz berauscht: Im neuesten Wettbewerbsranking des World Economic Forum landet Deutschland auf Platz drei.
(Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU])
Aber wie das mit Statistiken so ist: In drei mindestens ebenso renommierten Studien steht Deutschland hinten: im Global Innovation Index von INSEAD auf Platz 9, im IMD World Competitiveness Ranking auf Platz 15, im IMD World Digital Competitiveness Ranking auf Platz 18
(Christian Dürr [FDP]: Oh!)
Wie kommt’s? Das WEF beurteilt die Stabilität der Gegenwart, die anderen die Fitness für die Zukunft. Beispiel: Wir sind bei Patentanmeldungen führend; bei den Hightechpatenten reicht es aber gerade mal für Platz neun. Nicht in der Breite hapert es, jedoch an der Spitze.
(Beifall bei der FDP)
Dabei ist klar: Nicht Strukturen und Geld schaffen Innovation, sondern die Menschen. Thomas Kuhn hat gesagt: Wissenschaft entwickelt sich von Beerdigung zu Beerdigung weiter. – Kommen dann die neuen Generationen zu uns? Wenn mehr kommen als gehen, nennt man das Braingain. Umgekehrt spricht man von Braindrain. Und wer nicht rechnen will, redet über Braincirculation. Dazu zählen leider die Bundesregierung und die Grünen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Über was reden Sie?)
Deutschland navigiert in dieser Frage ohne Kompass. Damit meine ich nicht unsere Attraktivität für fast 60 000 internationale Wissenschaftler in der Breite und über 32 000 Gastforscher.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Na, das ist ja ein Erfolg!)
Mit denen beschäftigen sich die Anträge der Grünen, der Linken und der AfD. Sie tun sich alle schwer mit Spitze statt Breite.
Uns geht es heute, bei diesem Antrag, um die Ausnahmetalente, um die Musterbrecher, die Nobelpreisverdächtigen.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede wird keinen Nobelpreis gewinnen!)
Die letzte einigermaßen zuverlässige Messung hat die Expertenkommission Forschung und Innovation 2014 vorgelegt. Das Ergebnis war schmerzlich: ein Nettoverlust von 4 000 Spitzenforscherinnen und Spitzenforschern. Die damalige Forschungsministerin Wanka hat einen Schluss gezogen: Sie ließ nicht mehr messen. Die Bundesregierung tappt bei dieser Frage lieber im Dunkeln.
(Beifall bei der FDP)
Und dann findet Fraunhofer in diesem Jahr plötzlich heraus, dass uns nicht nur 100 KI-Koryphäen fehlen, sondern auch 10 000 Top Data Scientists, außerdem mindestens 85 000 Ingenieure, Ärzte, Biologen und Manager mit Big-Data-Know-how. Rechnen Sie bitte selbst aus, wann die ersten Absolventen die 100 neuen KI-Lehrstühle im Rahmen der KI-Strategie frühestens werden verlassen können: im Jahr 2028.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Es ist ja nicht so, dass es das nicht schon gäbe!)
Dabei hat die neue Zeitrechnung längst begonnen. Geoffrey Hinton hat 2011 die symbolische KI mit der neuronalen KI in den Schatten gestellt. Eine echte Weggabelung für das Machine Learning! Die USA und China haben damals aufgepasst und ihre Talentpolitik auf neue KI ausgerichtet, im Gegensatz zu Deutschland, zum BMBF und zum Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Spitzenforschung ist doch mehr als KI!)
Ja, ich weiß, Frau Karliczek und Herr Altmaier, Sie haben eine KI-Strategie zu Papier gebracht, in der Sie die wundersamen Versäumnisse der letzten Jahre einigermaßen treffend aufgelistet haben. Aber seitdem reden Sie vor allem über Milchkannen.
(Beifall bei der FDP)
Uns läuft die Zeit davon. Erfolg besteht zu 10 Prozent aus Strategie und zu 90 Prozent aus Umsetzung.
Wir Freie Demokraten fordern dreierlei: Erstens. Deutschland braucht ein nationales Frühwarnradar, damit die Bundesregierung künftig nichts mehr verschläft, und zwar ein Frühwarnradar mit Antennen für Gründungen, für Patente und Trends sowie für Wanderungsbewegungen von Wissenschaftlern in die sogenannten Emerging Fields. Wissenschaftsverlage wie Elsevier schaffen das mit Big Data schon heute.
Wir brauchen zweitens so schnell wie möglich eine National Agency for Scientific Talent, ein Headhunting für Nobelpreisträger in spe.
(Beifall bei der FDP – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Alexander von Humboldt!)
Dabei geht es nicht um die Arrivierten, die die Wahrheit schon gepachtet haben, sondern um die heranwachsenden Stars, die noch suchen. Wie sonst wollen wir 100 KI-Koryphäen, 10 000 Data-Scientists und viele Dutzende Programmmanagerinnen und Programmanager für die Agentur für Sprunginnovationen gewinnen, wenn wir nicht systematisch an dieses Thema herangehen?
(Beifall bei der FDP)
Drittens brauchen wir einen Quantensprung an Stipendien beim DAAD wie bei Alexander von Humboldt und Initiativen, mit denen wir solche Talente scouten können, wie das Programm „Frontiers of Science“ in den USA, die Schweizer Transferinitiative swissnex und unsere GAIN-Konferenzen, diese aber reformiert.
Viele kluge Köpfe machen sich jetzt angesichts des Brexit-Chaos und des wallenden Wüterichs im Weißen Haus auf den Weg. Nutzen wir diese Chance, nicht nur indem wir Spitzentalente großzügig vergüten – so wie die Dänen, die Wissenschaftlern erlauben, ihr Gehalt bis zu 84 Monate lang nur zu einem Drittel zu versteuern –, sondern auch, indem wir sie offen und herzlich willkommen heißen, statt ihnen mit „German Angst“ das Leben schwer zu machen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD])
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat eine besondere Vorliebe für das Mittelmaß. Damit wir uns dies weiter leisten können, muss Deutschland auf den Feldern von Spitzenforschung in Zukunft wieder Avantgarde werden. Ran an den Speck, Frau Karliczek!
(Beifall bei der FDP)
Dr. Stefan Kaufmann, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307798 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Gewinnung von Spitzenforschern |