Helge LindhSPD - Erhalt der Buchpreisbindung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Nicht nur in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ brannten schon einmal die Bücher, sondern auch hier in Deutschland. Insofern tragen wir alle eine besondere Verantwortung für den Schutz des Buches. Leider scheint ausgerechnet die AfD-Fraktion das anders zu sehen. Aber auch Taktik entlässt nicht aus Verantwortung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Hartmut Ebbing [FDP] und Simone Barrientos [DIE LINKE])
Der taktische Winkelzug, den wir vorhin von Ihnen erlebt haben, war im Effekt ein versuchter Anschlag auf das Kulturgut Buch und nicht gut.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört!)
Wir diskutieren hier so viel und so häufig über Grenzen und Abschottung. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass wir heute über Entgrenzung und Befreiung diskutieren, und das ist genau das, was das Buch leistet: Entgrenzung und Befreiung des Geistes. Das ist etwas sehr Wichtiges, und deshalb kann darüber auch keine Monopolkommission entscheiden; denn es ist eine zutiefst politische Aufgabe.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU] und Simone Barrientos [DIE LINKE])
Hier kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Primat der Politik zum Zug und eben nicht der Primat des Sachzwangs und nicht der Primat des Marktes. Das ist es, was zählt. Wenn der Vorwurf erhoben wird, das sei ja ein Markteingriff und Protektionismus, dann muss ich sagen: Um uns grassiert ein Protektionismus im Namen von Nationalismus und Chauvinismus. Was kann es Besseres geben, als heute hier ein Bekenntnis zu einem Protektionismus im Namen des Wortes und des Geistes und der Freiheit und der Demokratie abzulegen? Ich kenne nichts.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE])
Wir sollten aber, glaube ich, auch die Situation konkret und näher betrachten. Die meisten hier kennen sicher das berühmte Gedicht von Bertolt Brecht. Es beginnt so:
Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Die Antwort können Sie sich alle denken. Sie verweist darauf, dass ebendieses siebentorige Theben der Kulturnation Deutschland von ganz vielen Buchhandlungen – kleinen Buchhandlungen – gebaut wird und von vielen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die täglich arbeiten und die kein Mensch kennt, und von vielen kleinen Verlagen, die es tun, ohne damit reich zu werden oder große Erfolge zu erleben. Diese Menschen verdienen, in Form der Buchpreisbindung ein Denkmal gesetzt zu bekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner Heimatstadt, der Stadt von Engels, Else Lasker-Schüler, ist da beispielsweise ein Schriftsteller namens Michael Zeller. Er verbringt sein Leben damit, anspruchsvolle, herausfordernde Literatur zu schreiben, ohne damit hervorragend verdienen zu können. An ihn zu denken, ist heute unsere Aufgabe.
In meiner Heimatstadt lebt auch ein Hermann Schulz, der den Peter Hammer Verlag aufgebaut hat,
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
der Literatur für Kinder, über Afrika und Südamerika vertreibt. Peter Hammer, Pierre Marteau auf Französisch, war im 17. Jahrhundert ein Pseudonym für kritische Geister, die sich schützten vor den Übergriffen der Obrigkeit. Genau darum geht es heute. Wie ist das Gedicht von Brecht, das ich zitiert habe, denn überschrieben? „ Fragen eines lesenden Arbeiters“, nicht eines denkenden, nicht eines wütenden, sondern eines lesenden Arbeiters. Bibliotheken sind doch keine Verwahr- und Verteilstationen für Literatur, sondern sie sind ganz buchstäblich Schulen der Demokratie, und Buchhandlungen sind doch keine analogen Verteilstationen und Verkaufsstationen von Büchern nach dem Vorbild von Amazon, sondern sie sind wenigstens auf den zweiten Blick Kathedralen der Freiheit. Das Lesen, diese Buchhandlungen, diese Verlage sind mit allem Ernst Oasen des Menschseins in einer Welt der Instrumentalisierung, des Nützlichkeitsdenkens und des Sachzwangs, in der wir lauter Verwüstung erleben.
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
Politische Aufgabe ist aber nicht, für die Ausbreitung der Wüste zu sorgen, sondern für den Schutz und die Expansion der Oasen. Das ist unsere Aufgabe.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Deshalb können wir, glaube ich, stolz sein, hier an diesem Ort das „sapere aude“ zu verteidigen, zu verteidigen, dass Politik zu sich selbst kommt. Das heißt, den Menschen zu stärken und seine Selbstermächtigung. Das ist etwas Gutes. Tun wir gemeinsam dieses Gute, sprechen wir laut darüber. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen gesegnete Weihnacht und wunderbare Feiertage.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Kollege Lindh. – Brecht hat dann, glaube ich, am Schluss noch gefragt: „Wer kochte den Siegesschmaus?“
(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist eines meiner Lieblingsgedichte.
Damit schließe ich die Aussprache.
Vor der Abstimmung hat Kollegin von Storch nach § 30 der Geschäftsordnung – Erklärung zur Aussprache – das Wort.
(Unruhe)
– Frau von Storch hat jetzt das Wort zu einer Erklärung. Das steht ihr zu. Nach § 30 der Geschäftsordnung wird sie sich zu einer persönlichen Frage äußern.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307836 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Erhalt der Buchpreisbindung |