Heribert HirteCDU/CSU - Multilateraler Gerichtshof
Frau Präsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer!
Oh, das ist eine Premiere.
Ja, das muss auch mal sein; denn sie arbeiten bis tief in die Nacht, wie wir ja auch.
(Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir reden heute zum x‑ten Mal über Freihandel und die damit verbundenen und dies absichernden internationalen Schiedsgerichte. Ich erinnere daran, dass dieses Thema in der letzten Legislaturperiode fast wöchentlich auf der Tagesordnung stand, vor allen Dingen im Zusammenhang mit TTIP und CETA. Einer der Hauptkritikpunkte – ich werde gleich noch etwas dazu sagen – waren die Schiedsverfahren, über die wir jetzt schon einiges gehört haben. Lassen Sie mich zunächst sagen: Wir haben vor allen Dingen bei CETA durch Diskussionen, die wir hier im Haus geführt haben, sehr viel erreicht. Ich bin gespannt, was das Bundesverfassungsgericht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einigen Wochen oder Monaten zu diesem Thema sagen wird. Ich freue mich auf die Diskussion hier im Haus, wenn wir CETA endgültig verabschieden werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich nicht!)
Wir haben gesehen, dass das Verfahren der Schiedsgerichte nicht ideal ist. Ich plädiere dafür, ein stehendes Gericht zu schaffen. Ich habe gesagt, wir müssen die Richterbestellung an dieses Haus rückbinden – ein Punkt, der möglicherweise bei der Umsetzung von CETA eine Rolle spielen wird. Und ich habe gesagt: Wir brauchen besondere Regeln für kleine und mittlere Unternehmen. All das haben wir in CETA nachträglich erreicht.
(Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD])
In der Frage zu einem Berufungsgericht war ich anderer Meinung; aber auch darüber kann man trefflich streiten.
In dem Grünenantrag loben Sie zunächst einmal den Schritt nach vorne, den wir gemacht haben; das finde ich richtig. Ich weise darauf hin, dass wir das Mandat für den multilateralen Gerichtshof, über den wir jetzt reden, verabschiedet haben. Sie gehen mit Ihrem Antrag einen deutlichen Schritt weiter und sagen, es gehe bislang nur um Investitionsschutz und andere Punkte wie die Abwägung mit Menschenrechten, Umweltschutz und Sozialstandards fehlten. So wie Sie den Antrag formulieren – das muss ich sagen –, geht das nicht. Letztlich geht es Ihnen darum, weltweit einheitliche Standards und ein einheitliches Abwägungsprozedere durchzusetzen.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mindeststandards!)
– Ja, die Mindeststandards. – Sie wollen die Mindeststandards ähnlich dem Völkerrecht, das für die gesamte Welt gilt, festschreiben. Das wollen wir sozusagen mit unseren Mitteln erreichen.
Ich kann nur sagen: Bei uns ist schon die Frage, wie weit Völkerrecht gilt, nämlich über Ratifikation oder indirekt – wir haben das beim Pakt für Migration in den letzten Wochen intensiv diskutiert –, eine heillos umstrittene Frage. Das, was Sie hier machen wollen, ist – ich sage es vorsichtig – mutig. Denn ich kann mir kaum einen Staat – und das ist in der Debatte schon angeklungen – vorstellen, der sagt: Deutsche Standards akzeptieren wir eins zu eins in der ganzen Welt, und wir akzeptieren auch deutsche NGOs und andere Kläger, die in anderen Ländern dieser Welt diese Standards durchsetzen. – Das ist eine abenteuerliche Vorstellung
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie echt falsch verstanden! So war es gar nicht gemeint! Es war andersrum gemeint!)
– Das gilt dann ja in beide Richtungen. – Wenn Sie diese sozusagen Geltungsentleerung vornehmen, stellt sich die Frage, wie das mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sein soll, die besagt, dass wir selbst definieren, welche Regeln bei uns gelten. Meines Erachtens geht das so nicht.
Sie sagen: Wir wollen an die Investitionsschutzabkommen andocken. – Meines Erachtens sind nicht die Vereinten Nationen der richtige Regelungsort, sondern die Welthandelsorganisation. Es müsste dann in die WTO gebracht werden, und genau in diese Richtung denken wir ja auch.
Es gilt Folgendes: Die Standards, die Sie normieren wollen, sind geltendes Recht, soweit sie in den entsprechenden Ländern umgesetzt werden. Sie dürfen nur nicht diskriminierend und enteignend angewandt werden. Die entscheidende Frage ist, wer sie auslegt. Darüber kann man natürlich trefflich streiten. Ob das nationale Gerichte tun, supranationale Gerichte, stehende Gerichte oder Schiedsgerichte, wie auch immer zusammengesetzt, das ist doch eine Frage der Verhandlung zwischen souveränen Staaten, die darüber entscheiden können, dürfen und müssen und dies in eigener Verantwortung auch tun. Und daran sind wir als Parlament in jedem Einzelfall beteiligt.
(Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Sie sagen – auch das wurde schon angesprochen –, dass Sie die Durchsetzung dieser Rechte in die Hände – ich zitiere – lokaler Gemeinschaften, Gewerkschaften oder anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen legen wollen. Ehrlich gesagt, auch das ist abenteuerlich. Es ist aus meiner Sicht mit dem Demokratieprinzip nicht im Ansatz vereinbar, irgendwelchen Institutionen die Durchsetzung von Recht zu ermöglichen, die in keiner überprüfbaren Weise demokratisch legitimiert sind. Die Deutsche Umwelthilfe wurde schon angesprochen. Ich glaube, auch dieses Beispiel zeigt, dass diesbezüglich die Sensibilität erhöht werden muss. Im Übrigen sage ich zu diesem Parteitagsbeschluss – weil wir darüber zum Teil auch schon öffentlich diskutiert haben –: Der Ansatzpunkt ist aus meiner Sicht nicht die möglicherweise oder angeblich fehlende Gemeinnützigkeit, sondern die Zusammensetzung des Verbandes – über diese Frage haben wir auch bei der Musterfeststellungsklage diskutiert – bzw. die Finanzierung des Verbandes.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber demokratisch ist das so nicht.
Damit bin ich beim letzten Punkt; das ist vielleicht der entscheidende Punkt. Sie von den Grünen und den Linken sagen, wir könnten Konzernen keine Klageprivilegien einräumen, wir müssten diese Privilegien beenden. Nein, es geht nicht um Privilegien, sondern es geht darum, dass im Sinne gelebter Subsidiarität denen, die aus einem Investitionsschutzabkommen Rechte ableiten, auf einem verkürzten Weg die Wahrnehmung dieser Rechte gestattet wird. Das wird demokratisch legitimiert. Das ist demokratisch legitimiert, weil wir darüber entschieden haben.
Wenn Sie sagen, solche Schiedsgerichte könnten entsprechende Schadenssummen auswerfen, dann sage ich: Ja, aber die Alternative ist, dass Gesetze rückabgewickelt werden. Ich muss sagen: Ich möchte nicht, dass durch Schiedsgerichte Gesetze abgewickelt werden; dann lieber Schadenersatz.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4,3 Milliarden Euro!)
Ihr Verhalten ist im Übrigen widersprüchlich, weil Sie im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage fordern – möglicherweise zu Recht –, dass Schadenersatz in Geld geleistet wird, und zwar in viel größerem Umfang. Warum soll das in die eine Richtung nicht möglich sein, in die andere aber doch? Das passt nicht zusammen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Schließlich haben Sie gesagt, Investitionsgerichte seien mit der deutschen Tradition nicht vereinbar. Der Deutsche Richterbund hätte dies gesagt. Nein, es geht um die Frage, ob die Richter unabhängig sind und ob sie unabhängig bestellt sind. Das heißt, das Verfahren ist entscheidend. Es ist nicht so, dass es in Deutschland nicht auch Kritikpunkte gibt. Ich nenne den Richter Reuschle aus Stuttgart oder den Insolvenzrichter Frind aus Hamburg. Es ist nicht so, dass aus dem Ausland nicht auch auf solche Fälle geguckt wird. Deshalb kann ich durchaus verstehen, dass an der einen oder anderen Stelle Fragezeichen gesetzt werden.
In diesem Sinne sage ich: Lassen Sie uns über die Sache weiterdiskutieren. Das ist ein Ansatz für die Diskussion; aber über Weihnachten machen wir Pause. Gesegnete Weihnachten und eine neue Debattenkultur im nächsten Jahr!
Vielen Dank. Alles Gute!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Dr. Hirte. – Nächster Redner: Falko Mohrs für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307855 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Multilateraler Gerichtshof |