Ingmar JungCDU/CSU - Strafschärfung bei Rückfall
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eben habe ich ganz kurz bedauert, dass wir beim Hammelsprung doch eine Mehrheit hatten.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Dann wäre uns diese Debatte, wie wir sie eben erlebt haben, erspart geblieben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die halten wir aus!)
Ich habe mir vorgenommen, vielleicht als erster Redner mal zur Sache zu sprechen,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Idee!)
und zwar zu diesem Gesetzentwurf, den wir vor uns haben. Eben, eine Minute vor dem Ende, haben wir etwas dazu gehört; vorher handelte es sich um irgendetwas Gesamtgesellschaftliches.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sperrmüll!)
– Ja, „Sperrmüll“ habe ich auch gehört; das habe ich nicht verstanden.
(Jürgen Braun [AfD]: Sagen Sie doch mal was zu Straßburg! Sagen Sie doch konkret etwas zu Straßburg! Schreckliches Verbrechen!)
– Nein, ich sage nichts zu Straßburg, Herr Kollege; denn es geht hier um etwas ganz anderes. Ich rede einfach mal zur Sache und mache es nicht so wie Sie,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
nämlich jede Vorlage zu nutzen, um immer dasselbe daherzureden.
(Jürgen Braun [AfD]: Kommen Sie doch mal in der Realität an, Herr Jung! – Gegenruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Darum geht es doch nicht in Ihrem Gesetzentwurf!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir diskutieren heute über die Frage: Wie kommen wir zu einer angemessenen Strafe im Strafprozessrecht, zu einer Strafe, die schuld- und tatangemessen ist und im Einzelfall auch gerecht? Da hätte ich einen Formulierungsvorschlag:
Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.
Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab.
So steht es in § 46 StGB, und damit leben wir bisher ganz gut, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für den Einzelfall gibt es natürlich die Abwägungsmöglichkeiten des Gerichtes. Wir haben eben gehört: Die AfD will das Ermessen des Gerichtes einschränken. Das ist nicht meine Vorstellung von Gewaltenteilung, das sage ich Ihnen ganz ehrlich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das hat doch gar nichts mit Gewaltenteilung zu tun!)
Wir wollen im Einzelfall tat- und schuldangemessene Strafen finden.
Damit eines klar ist: Ein Wiederholungstäter, ein Rückfalltäter ist – außer in besonderen Ausnahmefällen – selbstverständlich härter zu bestrafen als ein anderer Täter. Deswegen besagt § 46 ja auch, dass das Vorleben des Täters zu berücksichtigen ist. Das ist geltende Rechtslage, meine Damen und Herren; das sollten wir an der Stelle auch nicht ignorieren. Übrigens: Jeder, der ein Rechtsreferendariat gemacht hat
(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er nicht gemacht! Referendariat hat er nicht gemacht! Kennt er nicht, der Mann!)
und in der Strafstation war, weiß: Das Erste, was man in die Ermittlungsakte einheftet, ist das Zentralregister, damit die Vorstrafen sowohl im Ermittlungsverfahren als auch später beim Finden der gerechten Strafe berücksichtigt werden. Das ist alles aktuelle Rechtslage. Tun Sie doch nicht immer so, als seien das völlig neue Ideen, die Sie hier haben!
Jetzt haben wir in diesem Gesetzentwurf als Paradebeispiel das schneidige Österreich; in Österreich gibt es diese Schärfungsvorschrift. Da stellen wir uns doch die Frage: Warum können wir Deutschen das nicht auch? Tatsächlich, in Österreich gibt es die Vorschrift, dass der Richter in bestimmten Fällen – bei Rückfalltätern – den Strafrahmen, also die Höchststrafe, um die Hälfte erhöhen kann. Aber wenn wir Österreich als Paradebeispiel des starken Rechtsstaates und der harten Strafe sehen, dann müssen wir ja auch mal schauen, welche Höchststrafen im österreichischen StGB festgelegt sind. Ich habe ein paar Beispiele mitgebracht: Totschlag: in Österreich 10 Jahre, in Deutschland 15. Körperverletzung: in Österreich 1 Jahr, in Deutschland 5 Jahre. Körperverletzung mit Todesfolge: in Österreich 10 Jahre, in Deutschland 15 Jahre.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tja, schon wieder nicht vorbereitet!)
Menschenhandel mit Gewaltanwendung: in Österreich 5 Jahre, in Deutschland 10 Jahre. Diebstahl: in Österreich 6 Monate, in Deutschland 5 Jahre. Nötigung: in Österreich 1 Jahr, in Deutschland 3 Jahre. Betrug: in Österreich 6 Monate, in Deutschland 5 Jahre. Raub: in Österreich 10 Jahre, in Deutschland 15 Jahre. – Fällt Ihnen irgendetwas auf, meine Damen und Herren?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also uns ja! Wir haben es gemerkt!)
– Ja, ihr habt es gemerkt; da bin ich froh. – Österreich geht von völlig anderen Voraussetzungen aus. Es hat viel engere Strafrahmen und schafft aufgrund der Verengung des Strafrahmens bei Rückfalltätern dann eben die Möglichkeit, diesen ein Stück weit zu erhöhen, und der liegt dann übrigens in fast allen Fällen immer noch deutlich unter dem Deutschlands. Das ist eine völlig andere Situation. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Das ist nicht sachgerecht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt haben sie es vielleicht verstanden!)
– Herr Kollege Grosse-Brömer, daran habe ich Zweifel, aber ich will es nicht aufgeben.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, kommen wir mit dem Vorschlag, den wir hier vorliegen haben, zu erheblichen Wertungswidersprüchen im Einzelfall. Das können wir einfach nicht ausschließen. Ja, es gab einmal diesen § 48, und wir haben gerade gehört, dieser werde jetzt leicht verfeinert vorgelegt. Na ja, also in der alten Fassung, die einmal Gesetz war und aus guten Gründen abgeschafft wurde, war es so, dass unter ähnlichen Voraussetzungen wie nach diesem Vorschlag bei einer dreimonatigen Freiheitsstrafe im Vorfall mindestens eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten galt, aber nicht die Hälfte der Höchststrafe, im Zweifel also 5 oder 7,5 Jahre. Das ist eine völlig andere Rechtslage. Und die Sonderregel für Verbrechen – 5 Jahre, in besonderen Fällen 10 Jahre Mindeststrafe – war im alten § 48 gar nicht enthalten. Daraus also zu schließen, dass, wenn dieser Paragraf verfassungskonform war, dieser Vorschlag automatisch auch verfassungskonform ist, ist ziemlich irre, meine Damen und Herren; denn das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Es ist nicht nur eine Verfeinerung.
Ich will am Ende vielleicht noch sagen: Wir sollten hier nicht jedes Mal versuchen, unseren Rechtsstaat schlechtzureden. Ja, es gibt einzelne Urteile, die auch mir nicht passen – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, wo auch ich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Aber insgesamt fahren wir mit dem System, bei dem wir die Möglichkeit haben, in jedem Einzelfall schuld- und tatangemessen zu urteilen, sehr gut. Wir sollten uns nicht jedes Mal über die Justiz erheben und glauben, dass wir es besser wüssten als die Richter, die vor Ort die Urteile fällen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Außerdem: Wenn es hier Gruppen im Parlament geben sollte, die glauben, etwas für den Rechtsstaat tun zu wollen, dann kann ich Sie ganz herzlich einladen, uns zu unterstützen. Wir tun nämlich einiges. Wir sind gerade dabei, die Mittel- und Personalausstattung für die Gerichte, für die Staatsanwälte und für die Polizei zu erhöhen. Wir machen die Strafprozessordnung fit für die Zukunft. Das sind Mittel, die dazu führen, dass unser Rechtsstaat stark bleibt. Dafür müssen wir sorgen. Das hilft mehr als Vorlagen, die am Ende zu nichts führen.
Wir haben eben gehört, dass sich Ladeninhaber nicht mehr trauen, eine Anzeige zu machen. Wenn dem so wäre, wüsste ich gerne einmal, was eine Strafschärfungsvorschrift im Rückfall bei einer zweiten oder dritten Verurteilung bringen soll. Das sind hier doch alles Schaukämpfe.
Also, ich lade Sie herzlich ein: Pakt für den Rechtsstaat, unterstützen Sie uns dabei! Dann kommen wir weiter. Vielleicht kommen wir am Ende ja gemeinsam auf die Idee, bei diesem Gesetzentwurf nicht das gesamte Verfahren zu bestreiten. Das würde uns Raum für wichtige Debatten geben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Ingmar Jung. – Nächster Redner: Dr. Jürgen Martens für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307865 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Strafschärfung bei Rückfall |