Jürgen MartensFDP - Strafschärfung bei Rückfall
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns hier befassen müssen, wurde schon mit einer nicht zutreffenden Behauptung eingeführt. § 48 StGB alter Fassung ist nicht von der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht worden, sondern mit einem Gesetz aus dem Juni 1969 von der Großen Koalition. Aber das kann Herr Peterka nicht wissen; der ist ja Jahrgang 82. Man hätte sich aber schlau machen können.
(Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hätte es trotzdem wissen können!)
Aber gut, das sind Kleinigkeiten, auf die es der AfD nicht ankommt; mit Zahlen und Fakten haben die es nicht so.
Jetzt soll eine Strafverschärfung für Rückfalltaten eingeführt werden, die es schon einmal gab und wieder abgeschafft wurde.
(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Einmütig!)
– Aus gutem Grund einmütig. – Nicht einmal die Opposition hat damals opponiert. Damals war die SPD in der Opposition; das war 1986. Diese Regelung hatte sich schlicht nicht bewährt. Die von ihr erhofften Wirkungen sind ausgeblieben. Aber das interessiert die AfD natürlich nicht. Zur Begründung verweisen Sie auf statistische Rückfallquoten; aber das belegt überhaupt nichts, meine Damen und Herren. Interessant wäre ein Vergleich der Rückfallquoten in der Zeit, als es den alten § 48 StGB gab, und den Zeiten danach. Das kann man machen; denn dazu gibt es in der Tat Studien. Die belegen: § 48 hat keine Wirkung gehabt. Ihre Regelung wird genauso wenig eine Wirkung haben; denn die Rückfallquoten sind vergleichbar. Sie ändern sich nicht durch eine Rückfallverschärfung. Das ist nachgewiesen durch Studien, nur weigern Sie sich offensichtlich, das zur Kenntnis zu nehmen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber es kommt noch besser. In der Gesetzesbegründung führen Sie an, als Faktoren für höhere Rückfallquoten gelten die Verbüßung von Haftstrafen, die Zahl von Vortaten und die Schwere der Sanktionen. In Ihrem Gesetzentwurf heißt es dazu:
Mit der Zahl der Vortaten und der Schwere der Sanktionen nimmt die Rückfallrate nicht etwa ab, sondern drastisch zu.
Und deshalb wollen Sie uns hier heute klarmachen, dass Sie die Rückfallquoten verringern, indem Sie die Sanktionen verschärfen? Sie haben Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht verstanden.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das hört sich nicht logisch an!)
Sie erklären uns hier, dass das, was Sie vorhaben, völlig wirkungslos, ja, sogar kontraproduktiv ist, und erhoffen sich dafür auch noch Beifall. Den gibt es mit Sicherheit nicht, meine Damen und Herren.
(Heiterkeit bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Genau!)
Stattdessen faseln Sie in der Begründung von einem „generalpräventiv erforderlichen Wegsperren“. Auch das ist bereits dogmatisch falsch. Generalprävention ist das Einwirken auf einen Ersttäter, indem man versucht, ihn von der Tat abzuhalten. Darum geht es Ihnen aber nicht. Es geht um die Behandlung von Wiederholungstätern. Das ist aber keine Generalprävention, sondern Spezialprävention.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein bisschen Fachkenntnis könnte Ihnen, glaube ich, wirklich guttun.
Die Strafverschärfung allein aufgrund der Anzahl von Vortaten wäre mit dem Schuldprinzip unseres Strafrechts schlicht unvereinbar. Aber auch das interessiert Sie nicht. Stattdessen verweisen Sie auf die Three-Strikes-Lehre der USA. Die Bundesstaaten, die diese eingeführt haben, wenden sie inzwischen zunehmend nicht mehr an. In den USA – das Land hat 5 Prozent der Weltbevölkerung – leben 25 Prozent aller Inhaftierten auf diesem Globus. Die Sicherheitslage in den USA ist deswegen nicht besser.
(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)
Auch dieses Argument zieht nicht.
Aus welcher Mottenkiste Ihr Gesetzentwurf kommt, zeigt sich auch bei der Wortwahl. Dort wird im besten NS-Jargon vom „Gewohnheitsverbrecher“ gesprochen oder vom „Verbrecher, der ein Recht auf Freiheit verwirkt“ habe, so als hätte der Bürger ein Recht auf Freiheit und nicht Freiheit als solche, die er verwirken könnte, indem man sie ihm wegnimmt.
(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, ein Indianersprichwort sagt: Steig ab, wenn das Pferd, auf dem du reitest, tot ist. – Lassen Sie mich mit einer etwas weihnachtlicheren Formulierung schließen: Sie fahren auf einem Schlitten, vor den Sie zwei Rentierskelette gespannt haben.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Dr. Jürgen Martens. – Nächster Redner: Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307866 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Strafschärfung bei Rückfall |