Karl-Heinz BrunnerSPD - Strafschärfung bei Rückfall
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Heute, könnte man sagen, haben wir in der Rubrik „Dinge, die die Welt nicht braucht“ es mit der Strafverschärfung bei Rückfall zu tun. Und ausnahmsweise, so habe ich festgestellt, wird als Begründung mal nicht die Migration, sondern eine Untersuchung des Justizministeriums für die Jahre 2004 bis 2013 herangezogen.
Doch aus der Untersuchung werden nicht die Schlüsse gezogen, die erforderlich wären, sondern es wird ein Gesetzesvorhaben gestrickt, das mehr an die Erkenntnisse einer amerikanischen Krimisoap der Privatsender anknüpft, in der der Rachegedanke für die spannende Handlung sorgt. Das ist viel, viel netter als das mühsame Erkenntnisverfahren, in dem die unterschiedliche Schwere der Schuld bzw. der Unwertgehalt der Strafhandlung für die Zumessung der Strafe maßgeblich sind und das den Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten viel, viel Fleiß und Arbeit abverlangt.
Doch schauen wir uns den Entwurf mal genauer an. Eigentlich ist er nichts anderes als die Wiedereinführung des schon zitierten alten § 48 StGB, allerdings in einer deutlich schärferen Form. Ich sage: eine rechtsstaatliche Zumutung. Das zeigt die Wortwahl, der braune Geist, der da drinsteckt. So erhalten längst überwundene Begriffe Einzug in das, was uns eigentlich schützen soll: in unser Strafrecht, und zwar Begriffe wie der „sozialschädliche Gewohnheitsverbrecher“ – man erinnere sich: einst erfunden, um Sinti und Roma anlasslos aus der Gesellschaft zu entfernen –, die Verwirkung des Rechts auf Freiheit oder sozialschädliche Neigungen, die wir lange Zeit im Jugendstrafrecht hatten.
(Marianne Schieder [SPD], an die AfD gewandt: Schämen Sie sich!)
Wer stellt sie fest? Wer stellt den Charaktermangel fest? Ich könnte hier auch gewisse Charaktermängel feststellen, aber ich wage es nicht zu tun.
Hinzu kommt das Wiederaufleben des alten § 19 JGG, der über 40 Jahre Jugendstrafe sogar auf unbestimmte Dauer ermöglichte und Naziideologie in Reinform war. Doch das Beispiel des § 19 JGG zeigt, wohin die Reise gehen soll, nämlich direkt in die 30er- und 40er-Jahre, in das dunkelste Kapitel unserer Nation, als Juristen, Staatsanwälte und Richter, wenn sie nicht selbst Hand anlegten, sich zumindest zu willfährigen Helfershelfern und Henkern machten, und zwar genau deshalb, weil sie eben nicht unabhängig waren und nicht selbstständig das Strafmaß feststellen konnten, wie es heute der Fall ist.
Heute jedoch, so hoffe ich, sind wir in der Zivilisation angekommen. Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen und Heranwachsenden entgegenwirken. Zum Erreichen dieses Ziels sind die Rechtsfolgen und das Verfahren, soweit es möglich ist, am Erziehungsgedanken auszurichten.
Und bei Erwachsenen ist das Ziel die Resozialisierung – dies gerade deshalb, weil die Erfahrung gezeigt hat – das belegen die Statistiken aus den Vereinigten Staaten von Amerika, die schon zitiert worden sind, ganz deutlich –, dass härtere Sanktionen nicht zu einer geringeren Rückfallwahrscheinlichkeit führen, sondern dass im Gegenteil die Resozialisierung das fördert. Freiheitsentzug ist dafür weder sinnvoll noch erfolgversprechend. Die Streichung des § 19 JGG im Jahr 1989 ist aus gutem Grunde erfolgt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Kürze der Zeit, als letzter Redner und kurz vor Weihnachten noch ein paar weihnachtliche Gedanken: Wir brauchen keine Verschärfung des Strafrechts, aber wir können einiges tun. Wir können auch in der Vorweihnachtszeit etwas tun, nämlich unsere Justizvollzugsanstalten personell so ausstatten, dass sie ihrem Auftrag zur Resozialisierung nachkommen können;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Gerichts- und Bewährungshilfe so ausstatten, dass die Anzahl der zu betreuenden Probanden eine Hilfe tatsächlich ermöglicht; die Sozialdienste in den Justizvollzugsanstalten befähigen, auch mit Geldmitteln Strafentlassenen in prekären Wohnlagen, wie hier in Berlin, Wohnraum zu verschaffen, damit sie nicht erneut in die Kriminalität fallen, und zuletzt auch die Begleiter der Straffälligen bei der Arbeitsplatzsuche unterstützen. Dafür sollten wir etwas tun; denn wegsperren war schon immer die schlechteste aller Lösungen. Das möchte ich auch in der Vorweihnachtszeit nicht.
Ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesegnetes Weihnachtsfest, einen ruhigen Advent und ein gutes 2019.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7307878 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Strafschärfung bei Rückfall |