14.12.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 72 / Tagesordnungspunkt 23

Marcus WeinbergCDU/CSU - Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Müller, Sie haben ein wichtiges Thema angesprochen, nämlich den Fachkräftemangel in den Bereichen, in denen mit Kindern gearbeitet wird. Wir haben heute Morgen das Gute-Kita-Gesetz verabschiedet. Jetzt, am Ende des Debattentages, diskutieren wir über die Situation der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe.

Es ist tatsächlich so – da stimme ich Ihnen zu –: Eine ganz zentrale Aufgabe liegt beim ASD, beim Allgemeinen Sozialen Dienst, bei den Menschen, die darüber entscheiden, ob zum Beispiel Kinder aus einer Familie geholt werden oder ein Kind in eine Pflegefamilie, in eine Heimunterbringung kommt. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Kinder, auf die Familie.

Uns muss daran gelegen sein, diese Debatte zu führen, sowohl hier im Deutschen Bundestag – ich komme gleich zur Frage des föderativen Systems –, als auch in der Gesellschaft; denn es gibt viele einzelne Fälle. Diejenigen, die zum Beispiel aus Großstädten wie Hamburg kommen, können eine Reihe von Namen von Kindern nennen, die elendig zugrunde gegangen sind, verhungert sind, gestorben sind, weil möglicherweise auch gewisse systemische oder strukturelle Defizite in der Kinder- und Jugendhilfe vorliegen. Deswegen müssen wir darüber reden.

Herr Müller, ich habe Ihre Vorschläge insgesamt gelesen; die sind in Teilen sehr spannend, sehr interessant. Aber ich muss ganz offen sagen – jetzt bin ich wieder beim föderativen System und der Fragestellung, was wir ordnungspolitisch gerade anstellen –: Wir haben eine klare Aufteilung der Kompetenzen. Es gibt eine Bundeskompetenz, es gibt eine Richtlinienkompetenz – Reform des SGB VIII –, die liegt bei uns, aber die Ausführung obliegt den Ländern und den Kommunen.

Ich will nicht immer von dieser Stelle an die Länder diesen Appell richten, aber bei permanenter Mischfinanzierung wissen wir irgendwann nicht mehr: Wer hat welche Aufgaben, und wer hat welche Ansprüche zu erfüllen? Deswegen noch mal der ganz klare Hinweis: Es geht hier um Länderkompetenzen. Die Erledigung der meisten von Ihnen genannten Punkte obliegt den Ländern; da gehört sie auch hin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt komme ich inhaltlich auf drei Themen in Bezug auf die Fragestellung „Wie muss es im ASD weitergehen?“ zu sprechen – es gibt ja viele Studien, die man auch sehr kritisch betrachten kann, aber es gab auch sehr viele Termine und Gespräche mit den Allgemeinen Sozialen Diensten zum Thema: wohin muss es gehen? –: Erstens: gute Arbeitsbedingungen. Zweitens: gute und faire Löhne; denn die, die mit Menschen arbeiten, müssen besser bezahlt werden. Das Dritte ist eine qualitativ hochwertige Ausbildung und Weiterbildung von denjenigen, die mit Kindern arbeiten.

Richtig ist, dass wir im Bereich der Kindertagesbetreuung – wir haben heute Morgen darüber gesprochen – einen massiven Fachkräftemangel haben werden. Es fehlen möglicherweise bis zu 300 000 Erzieherinnen und Erzieher. Bei ASD haben wir jetzt schon ein Personaldefizit von ungefähr 4 000 Stellen. Dazu kommt eine höhere Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn sie tragische Fälle bearbeiten müssen, in denen Kindesmissbrauch, Vernachlässigung von Kindern oder Gewalt an Kindern eine Rolle spielt. Das ist eine besondere Situation für diejenigen, die dort arbeiten. Das auszuhalten und durchzuhalten, ist eine besondere Herausforderung. Deswegen ist es wichtig, dass diese Mitarbeiter dafür weiter qualifiziert werden.

Richtig ist, dass es in diesem Bereich im Moment zu wenig Bewerber gibt. Es gibt kaum Nachwuchsförderung und eine hohe Fluktuation. Das ist das größte Problem; denn die jungen Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, sind in großer Sorge angesichts der Dinge, die auf sie zukommen könnten, und weigern sich möglicherweise, in diesen so wichtigen Bereich zu gehen. Der Krankenstand ist enorm hoch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes, und die Mehrarbeit muss natürlich immer, wie überall, von Kolleginnen und Kollegen übernommen werden.

Ich komme gleich zu den Aufgaben, die der Bund meines Erachtens übernehmen muss. Vorher möchte ich aber noch eine Bemerkung zu Ihren Vorschlägen machen. Sie haben von einer Obergrenze bei den Fallzahlen gesprochen. Darüber kann man diskutieren. Die Zahl 35 steht im Raum. Ich will aber darauf hinweisen, dass kein Fall mit einem anderen Fall vergleichbar ist. Jeder Fall ist ein besonderer Fall. Deswegen, glaube ich, muss man sehr intensiv darüber nachdenken, ob und wo man diese Fallobergrenzen einzieht. Auch hierbei plädiere ich dafür, dass das die Kommunen und die Länder entscheiden; denn ein Jugendamt in Hamburg-Altona oder Hamburg-Wilhelmsburg ist zum Beispiel mit anderen soziokulturellen Herausforderungen konfrontiert als ein Jugendamt im Bergischen Land. Deswegen, glaube ich, sollte man die Frage einer Fallobergrenze weiterhin den Ländern und Kommunen überlassen. Diese Diskussion muss aber geführt werden.

Was kann nun der Bund machen? Heute Morgen haben wir lang und breit über das Gute-Kita-Gesetz diskutiert. Wir haben auch eine Fachkräfteoffensive im Bereich Kita im Umfang von 40 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Das wird natürlich nicht reichen. Ich weise aber noch einmal darauf hin: Das ist Aufgabe der Länder.

Wir haben aber als Koalition gesagt – darauf möchte ich noch einmal hinweisen –, dass diejenigen, die im weiteren Umfeld gemeinschaftlich mit dem ASD arbeiten, eine gemeinsame Aufgabenstruktur haben – also Familienrichter, Gutachter, Verfahrensbeistände – eine breite Qualifizierung brauchen. Das ist elementar; denn das sind diejenigen, die als Gutachter und als Familienrichter Entscheidungen treffen und das Jugendamt in einer wichtigen Funktion unterstützen.

Sie haben den SGB-VIII-Reformkurs angesprochen. Ja, wir haben ihn damals nicht zu Ende geführt. Dafür gab es auch – mit Verlaub – gute Gründe. Aber ich sage auch – ich kann das an dieser Stelle sehr positiv bewerten –, dass sich das Ministerium auf den Weg gemacht hat, diesen Reformkurs noch einmal aufzunehmen. Aufgrund meiner ersten Wahrnehmungen kann ich sagen: Es ist genau richtig, was dort momentan passiert. Wir werden aber – das ist klar – genau darauf achten, wo es hingeht, und im Übrigen darüber sprechen müssen, wie wir diejenigen mit aufnehmen können, die negative Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht haben. Die meisten Jugendämter arbeiten exzellent, aber es gibt natürlich hier und da auch einmal negative Wahrnehmungen. Als Politik muss es uns doch wichtig sein, zu fragen: Wo sind Eltern denn enttäuscht worden? Warum können Eltern oder sogar Großeltern ihre Kinder oder Enkelkinder nicht mehr sehen? Wir als Abgeordnete, als gewählte Volksvertreter, sind diejenigen, die das aufnehmen müssen.

Richtig und wichtig ist – das haben Sie angesprochen – der Bereich der Forschung und der wissenschaftlichen Begleitung. Es geht um die Anlaufstelle zum einen und die Frage der Auswertung zum anderen, um zu analysieren, wo im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe strukturelle oder systemische Defizite liegen. Der Einzelfall ist immer besonders und immer schwierig. Systemisches und Strukturelles müssen wir aber überprüfen; das werden wir auch machen. Da haben wir auch in der Frage der wissenschaftlichen Wahrnehmung unsere Aufgaben. Das heißt, der Bund wird hier seinen Teil beitragen.

Ein letzter Punkt. Bei den Kommunen und Ländern liegen die Hauptaufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe. Wir haben als Koalition in der letzten Legislaturperiode die Kommunen und die Länder um fast 100 Milliarden Euro – 100 Milliarden Euro! – entlastet. Damit ist auch etwas verbunden, was für uns wichtig ist: Die Kommunen müssen ihre originären Aufgaben wahrnehmen. Das können wir auch verlangen. Wir sagen: In den Bereichen, in denen wir euch nicht entlasten können, liegen eure originären Aufgaben. – Wenn wir das gemeinsam analysieren und besprechen, welche Wege wir gehen, finden wir den richtigen Weg. Das, was Sie fordern, ist allerdings eine deutliche Übernahme von Kompetenzen, die uns nicht zustehen. Deswegen ist Ihr Antrag abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich dem Abgeordneten Frank Pasemann, AfD, das Wort.

(Beifall bei der AfD – Tino Chrupalla [AfD]: Guter Mann!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7307882
Wahlperiode 19
Sitzung 72
Tagesordnungspunkt Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe
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