17.01.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 74 / Tagesordnungspunkt 5

Markus TönsSPD - Brexit-Übergangsgesetz

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Unterhaus hat das Austrittsabkommen leider abgelehnt. Wir hoffen zwar immer noch, dass sie es in den nächsten Wochen schaffen, das Abkommen anzunehmen. Aber ich muss ganz offen sagen: Mir fehlt im Moment ein bisschen die Fantasie, wie man eine Zweidrittelgegnerschaft in ein positives Votum wenden kann.

Aber wir müssen auch sagen: Wir müssen vorbereitet sein. Wir haben mit dem Brexit-Übergangsgesetz ein Gesetz für den Fall geschaffen, dass dieses Abkommen doch noch angenommen wird. Wir bereiten uns im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lambsdorff, auf einen No-Deal vor, auch mit Gesetzen. Sie werden es in der nächsten Sitzungswoche erleben, dass wir uns damit intensiv werden beschäftigen müssen, wenn es denn nicht doch noch zu diesem Deal kommt.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wird auch langsam Zeit! Das gibt dann das Hauruckverfahren!)

Die Anhörung im Europaausschuss zum Brexit-Übergangsgesetz am Montag – darauf will ich zurückkommen – hat deutlich gemacht: Das Gesetz hat zwar einen deklaratorischen Charakter, schafft aber Rechtssicherheit, und zwar in Großbritannien. Großbritannien wird damit in der Übergangszeit den EU-Mitgliedstaaten gleichgestellt. Das ist fair. Die Menschen hatten vor dem Brexit eine andere Lebensplanung. Das bedeutet aus unserer Sicht auch Rechtssicherheit; das müssen wir zunächst einmal garantieren. Dieses Gesetz garantiert auch den Deutschen in Großbritannien, dass sie ihren Pass nicht verlieren, dass sie auch britische Staatsbürger werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will an dieser Stelle einmal auf den Antrag der AfD zu sprechen kommen. Er ist erstens kaltherzig, zweitens inkompetent und drittens rückwärtsgewandt. Er ist kaltherzig, weil er diejenigen, die ihr Leben in einem gemeinsamen Europa geplant haben, jetzt im Regen stehen lässt, indem er ihnen Hilfe verweigert. Er ist inkompetent unter anderem deshalb, weil er die Deutschen in Großbritannien, die zu Briten werden wollen, im Regen stehen lässt. Drittens ist er rückwärtsgewandt, weil die im Hinblick auf eine doppelte Staatsbürgerschaft vorgebrachten Loyalitätskonflikte schlichtweg falsch sind.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Herr Kollege Töns, gestatten Sie eine Zwischenfrage der AfD?

Ja.

Vielen Dank. – Vielen Dank, Herr Vorsitzender.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: „Herr Präsident“!)

Sehr geehrter Herr Töns, das Brexit-Übergangsgesetz, über das wir heute beraten – Herr Lambsdorff hat es angesprochen –, bezieht sich erstens auf den Übergangszeitraum im Austrittsabkommen. Zweitens hat das Gesetz genau vier Paragrafen. In dem dritten Paragrafen dreht es sich ausschließlich um die doppelte Staatsbürgerschaft, die Sie ohne Verlust der jeweils anderen Staatsbürgerschaft auch noch im Übergangszeitraum nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ermöglichen wollen.

Es ist so, dass das Brexit-Referendum bereits 2016 stattfand. Glauben Sie nicht, dass die Briten, die wirklich ein Interesse hatten, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, oder die Deutschen daran, die britische Staatsbürgerschaft zu erhalten, nicht schon genügend Zeit hatten, diese zu beantragen? Glauben Sie, dass gewisse Konflikte bezüglich des Wohnsitzes oder des Aufenthaltsrechts über das Verschenken einer Staatsbürgerschaft gelöst werden können? Finden Sie das kompetent?

(Christian Petry [SPD]: Er hat ja überhaupt keine Ahnung, der Kleinwächter! Das ist ja ganz schlimm!)

Also, um das noch mal klarzustellen: Ich glaube, dass das richtig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin auch tief davon überzeugt, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht falsch ist, nicht einmal angesichts der ideologisch verbrämten Äußerungen, die Sie immer vorbringen.

(Beifall bei der SPD)

Sie leben nicht im 21. Jahrhundert, sondern höchstens im 19. Jahrhundert. Auch im 20. Jahrhundert sind Sie nicht angekommen.

Ich will Ihnen etwas sagen: Die Hetze gegen diese doppelte Staatsbürgerschaft entspricht überhaupt nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Jahrhundert. Was Sie tun, ist: Sie streuen den Menschen mit diesen Äußerungen Sand in die Augen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist durch die Abstimmung im britischen Unterhaus ungewiss geworden, ob wir das Gesetz wirklich benötigen; das ist heute schon bemerkt worden. Dennoch sollte man auf alles vorbereitet sein. Es geht jetzt darum, mit unseren Freunden in Großbritannien zu klären, wie es weitergeht. Der Ball liegt in ihrem Spielfeld. Die Briten müssen uns jetzt endlich mal sagen, was sie wollen. Wir stehen weiterhin zu diesem europäischen Vertrag. Wir stehen weiterhin dazu, dass nicht nachverhandelt wird. Dafür gibt es keinen Spielraum. Es gibt keine Rosinenpickerei.

(Beifall des Abg. Christian Petry [SPD])

Die Situation in Großbritannien sollte uns eine Lehre sein. Aber was lernen wir daraus? Eine Volksabstimmung basierte auf falschen Argumenten.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Oh!)

Erstens. Das Versprochene kann niemals eingehalten werden. Zweitens. Der Wert der europäischen Mitgliedschaft wurde komplett ignoriert. Das führte dann dazu, dass die Menschen eine Abstimmung durchführten und einem Brexit zustimmten, ohne wirklich zu wissen, worüber sie abgestimmt haben.

Großbritannien ist tief gespalten und befindet sich in seiner schwersten Regierungskrise. Das kommt davon, wenn Rechtspopulisten und Nationalisten Lügen verbreiten. Meine Damen und Herren, es scheint ja so zu sein, dass die AfD für Deutschland Gleiches plant. Sie wollen erstens den Euro abschaffen

(Beifall bei der AfD)

und zweitens das Europaparlament abschaffen. Aber den Bürgern erzählen Sie, es ginge ihnen hinterher besser.

(Zurufe von der AfD: Ja!)

Das ist schlichtweg gelogen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie bezeichnen sich als Demokraten und wollen ein Parlament abschaffen? Sie sind es mitnichten, meine Damen und Herren.

Der Vertrag von Lissabon – ich habe ihn hier in der Hand – ist unsere Verfassung für Europa. Er umfasst viele, viele Regelungen. Aber er umfasst unter anderem auch – das ist wichtig – die Charta der Menschenrechte, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Ich will mit Erlaubnis daraus einen Satz zitieren. In der Präambel dieser Charta steht:

Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden.

Genau das ist der Punkt, meine Damen und Herren, um den es geht. Auch wenn die Briten uns verlassen: Wir werden weiter dafür stehen, dieses Europa demokratischer, sozialer und gerechter zu machen. Das ist unsere Aufgabe für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der AfD ist der Abgeordnete Dr. Harald Weyel.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7317742
Wahlperiode 19
Sitzung 74
Tagesordnungspunkt Brexit-Übergangsgesetz
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