Klaus ErnstDIE LINKE - Jahreswirtschaftsbericht 2019
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren haben wir in Deutschland stabile Wachstumsraten. Kollege Kemmerich, angesichts dessen von einer lahmenden Wirtschaft zu sprechen, ist ein wenig mutig.
(Sören Bartol [SPD]: Das ist unverantwortlich!)
Ich habe eher den Eindruck: Seit 14 Jahren höre ich in diesem Zusammenhang dieselben lahmen Argumente der FDP. Vielleicht sollten Sie ein bisschen genauer hinschauen. So schlecht ist die Lage nicht.
(Beifall des Abg. Bernd Westphal [SPD] – Thomas L. Kemmerich [FDP]: Ich höre seit 30 Jahren dieselben lahmen Argumente!)
Worauf ist das zurückzuführen? Das ist doch die spannende Frage. Herr Kemmerich und liebe Kolleginnen und Kollegen, die steigenden Löhne und die Inlandsnachfrage sind inzwischen zum Motor der Wirtschaft geworden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das ist Tatsache. Das hat unser Wirtschaftswachstum verursacht. Meine Damen und Herren, ich erinnere mich gerne an die Argumente, die immer gegen Lohnerhöhungen vorgebracht wurden. Es wurde gesagt, Lohnerhöhungen führten zu einer Lohn-Preis-Spirale, zu steigenden Preisen. Haben Sie sich mal überlegt, wie die Preise zurzeit sind? Die Preissteigerung liegt unter dem Niveau, das die EU als Inflationsrate vorsieht. Wir haben da also überhaupt kein Problem. Das nächste Argument war, durch Lohnerhöhungen würden die Exporte gefährdet, dann hätte man Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit. Haben Sie sich mal angeguckt, wie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aussieht, die im Ausland mit anderen Unternehmen in Konkurrenz stehen? Sie ist ausgezeichnet. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: Da haben wir kein Problem.
Wir haben allerdings ein anderes Problem, nämlich dass diese Lohnentwicklung nicht für alle sichtbar ist. Gerade bei den unteren Löhnen haben wir einen Riesennachholbedarf. Deshalb kann ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nur auffordern: Hören Sie auf Ihren Finanzminister! Machen Sie endlich einen Mindestlohn von 12 Euro!
(Beifall bei der LINKEN)
Das stabilisiert die Konjunktur in diesem Land und führt vielleicht auch dazu, dass wir über das 1 Prozent Wachstum, das im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert ist, wieder hinauskommen.
Im Übrigen, Herr Altmaier, gibt es ja auch ein Wirtschaftsforschungsinstitut, das sagt: Dieses 1 Prozent ist ein wenig nach unten gerechnet. – Vielleicht deshalb, weil Sie dann hinterher sagen können: Wir waren besser als prognostiziert. – Das ist vielleicht auch eine Methode, wenn auch keine schöne.
Meine Damen und Herren, wir haben tatsächlich das Problem, dass die unteren Löhne nach wie zu niedrig sind. Deshalb liegt hier auch ein Schlüssel für weiteres Wachstum.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweite Bemerkung. So leicht kann ich Sie da nicht rauslassen. Ihre Fraktion hat jetzt über weitere Steuersenkungen im Unternehmensbereich nachgedacht. Sie wollen tatsächlich für die Unternehmen die Steuern senken. Ja warum denn? Vorsorglich? Denen geht es doch blendend; sagen Sie ja selber.
Aber haben Sie sich eigentlich die Zahlen der letzten Jahre angesehen, meine Damen und Herren? Die Investitionsquote, also das, was die Unternehmen von ihrem Gewinn für Investitionen verwenden, lag im Jahre 1991 bei knapp 50 Prozent; 50 Prozent von dem, was die Unternehmen hatten, haben sie investiert. Im Jahre 2017 lag die Investitionsquote nur noch bei 9 Prozent. Das kann nicht daran liegen, dass die Unternehmen zu wenig Geld haben. Durch Steuersenkungen hätten sie noch mehr, investieren deshalb aber nicht mehr. Deshalb kann ich nur sagen: Da fehlt es wirklich nicht am Geld.
Herr Herrenknecht ist heute schon genannt worden. Herr Herrenknecht ist ein sehr erfolgreicher Baden-Württemberger Unternehmer, der die großen Maschinen für die Löcher in den Tunnels baut. Man kann sich das auch ansehen.
(Stephan Brandner [AfD]: Da sind Löcher in den Tunnels? Blödsinn! Ein Tunnel ist ein Loch! Ein Loch im Loch?)
Ich habe einmal die Ehre gehabt, sechs Stunden neben ihm im Flieger zu sitzen. Vielleicht hat das auch ein bisschen gewirkt. Denn das Zitat gefällt mir sehr gut. Er hat gesagt – Herr Altmaier, ich möchte Ihnen das ganze Zitat zum Besten geben, weil es, glaube ich, sehr spannend ist; ich zitiere wörtlich –:
Wir müssen dringend die unteren Lohngruppen entlasten … Stattdessen diskutiert die CDU über niedrigere Unternehmensteuern – in einer Phase, wo es der Wirtschaft so gut geht. Das ist die falsche Reihenfolge. Zuerst muss unten entlastet werden. Die unten denken, dass die oben spinnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Altmaier, hat Herr Herrenknecht recht? Spinnen die da oben?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sitzen Sie ja auch!)
Dann sollten Sie einmal mit Ihrer Fraktion reden.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Herr Herrenknecht fordert übrigens weiter:
Viel wichtiger wäre es, das Geld in die Schulen zu investieren. Schon wenn man die Gebäude anschaut, wird man verrückt … Wir brauchen Laptops für die Schüler und Lehrer in allen Schulen …
(Beifall bei der LINKEN)
Recht hat er. Er ist übrigens Mitglied der CDU, Herr Altmaier. Allerdings hat er jetzt, glaube ich, seine Mitgliedschaft ruhend gestellt. Vielleicht überlegen Sie einmal, warum.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es fehlt bei Bildung, bei öffentlicher Verwaltung, es fehlt bei Pflege, es fehlt im öffentlichen Wohnungsbau, bei öffentlicher Infrastruktur. 57 Milliarden Euro, schätzt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, fehlen allein bei der Bahn. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau sagt, 159 Milliarden Euro fehlen den Kommunen; der Investitionsrückstand hat diese Höhe.
Wir brauchen keine Steuergeschenke für Unternehmen, wir brauchen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, meine Damen und Herren,
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und zwar dringend und mehr, als Sie da vorhaben.
Dritte Bemerkung. Wo wollen wir eigentlich industriepolitisch hin? Nach wie vor, Herr Minister, bleiben Sie die angekündigte Strategie schuldig. Noch einmal Herr Herrenknecht – er ist einfach gigantisch –, er sagt:
Die Chinesen legen mit ihrer Seidenstraße eine wirtschaftliche Vision vor – und wir haben nicht mal eine Antwort darauf, geschweige denn ein eigenes Konzept.
Dringender Nachholbedarf, da muss was geschehen.
Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung: Im Jahreswirtschaftsbericht 2019 schreiben Sie – Zitat –:
Der Leistungsbilanzsaldo ist für die Bundesregierung keine wirtschaftspolitische Zielgröße.
Die weltweite Kritik, dass Deutschland seit Jahren bei weitem mehr exportiert als importiert, ist Ihnen also schnuppe. Haben Sie das eigentlich einmal mit Herrn Trump diskutiert? Sind die großen Überschüsse, die wir im Außenhandel erzielen, nicht gerade die Ursache dafür, dass Herr Trump jetzt Strafzölle erlässt? Ist es nicht der Hintergrund dessen, dass weltweite Probleme entstehen, wenn das ein oder andere Land – auch China – bei weitem mehr verkauft als importiert und damit andere in Schwierigkeiten bringt? Wenn Sie sagen, das ist Ihnen schnuppe, dann frage ich: Ist Ihnen übrigens auch die Gesetzgebung des Bundestages schnuppe? Wir haben nämlich ein Gesetz, das ausgeglichene Handelsbilanzen als Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik vorschreibt. Sie ignorieren das einfach. Ich muss sagen, Herr Altmaier, das finde ich schade. Mit einer solchen Politik und dem, was daraus folgt, gefährden Sie Wachstum und Wohlstand in Deutschland und in Europa.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Kerstin Andreae.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 77 |
Tagesordnungspunkt | Jahreswirtschaftsbericht 2019 |