Rolf MützenichSPD - Russlandpolitik
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die uns bekannte internationale Ordnung steht seit Jahren unter Druck, nicht alleine wegen der Entscheidungen und des Verhaltens der russischen Regierung. Gleichwohl ist die gewaltsame Aneignung der Krim und die einseitige Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg ein tiefer Einschnitt, und darüber werden wir nicht hinwegsehen können. Das Verhalten Russlands im Hinblick auf diese beiden Ereignisse der letzten zwei Jahre wird weiterhin zu Belastungen zwischen Deutschland und Russland führen.
Die Frage muss lauten: Was folgt daraus? Entweder absolute Konfrontation oder zumindest der Versuch, die Belastungen abzubauen und die Spannungen so gut wie möglich einzuhegen. Wir Sozialdemokraten entscheiden uns für Letzteres. Das ist keine Prinzipienlosigkeit, sondern es ist kluge Politik:
(Beifall bei der SPD)
Einsicht in das Machbare und insbesondere die Einsicht, dass Druck allein keine Verhaltensänderungen bewirken kann. Es ist die Einsicht in die Erfahrungen aus der deutsch-russischen Geschichte, und es ist für uns insbesondere die Einsicht in die Notwendigkeit der Entspannungspolitik, die geholfen hat, auf der einen Seite die deutsche Teilung zu überwinden und auf der anderen Seite Europa ein Gesicht als Friedensmacht zu geben.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!)
Und schließlich, angesichts der Europawahl: Wenn wir über Europa nachdenken, müssen wir, finde ich, Russland mitdenken. Deswegen sind die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der festen Überzeugung: Wir müssen immer wieder, tagtäglich versuchen, Spannungen abzubauen und Bereitschaft zur Kooperation zeigen. Das haben insbesondere die Reisen des deutschen Außenministers im Zusammenhang mit der Krise um den INF-Vertrag deutlich gemacht.
(Beifall bei der SPD)
Einen weiteren Aspekt, den ich nennen möchte, richte ich insbesondere an die Antragsteller. Es ist ein sozialdemokratisches Prinzip, dass Wandel durch Annäherung immer eine zweifache Aufgabe war und ist. Darin unterscheiden wir uns fundamental. Wer nämlich zu Unfrieden und Hass im Innern anstiftet, kann keinen Frieden nach außen gründen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist doch die Essenz, die gerade Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969 gezogen hat:
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Inneren und nach außen.
Deswegen ist das Prinzip der Sozialdemokratischen Partei und Kern einer sozialdemokratischen Entspannungspolitik, durch soziale Gerechtigkeit, die Anerkennung der Menschenrechte sowie die Achtung des Einzelnen Respekt einzufordern; denn nur so können wir Friedenspolitik nach außen, insbesondere auch gegenüber Russland, realistisch formulieren und umsetzen.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch machen wir uns keine Illusionen über die russische Politik. Repressionen und Intoleranz im Innern auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Handeln nach dem Prinzip „Verunsicherung“ außerhalb der russischen Grenzen, weil sie glauben, den russischen Staat dadurch sicherer zu machen – das wird auf lange Sicht nicht funktionieren. Ich glaube, das muss man den russischen Gesprächspartnern letztlich auch sagen, wenn sie denn zum Gespräch bereit sind.
Wir verkennen auch nicht: Die Zustimmungsraten für Präsident Putin sind hoch. Dennoch müssen wir feststellen: Es gibt Proteste und insbesondere eine Skepsis – ich denke zum Beispiel an die Rentenpolitik und vieles andere – gegenüber russischer Politik. Das eröffnet uns, glaube ich, Wege, hier in Richtung der Zivilgesellschaft das ein oder andere zu versuchen, was zu einer Modernisierung beiträgt.
Deswegen, meine Damen und Herren: Die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion liegen auf dem Tisch, und wir wollen sie innerhalb unserer Regierungsbeteiligung auch verwirklichen. Auf der einen Seite glaube ich schon, dass es notwendig ist, erneut zu versuchen, gemeinsame Sicherheit wie während des kalten Krieges durch eine gesamteuropäische Konferenz herzustellen. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Aber zumindest die Idee in die Diskussion einzubringen, ist schon lohnenswert.
Auf der anderen Seite ist es notwendig, vielleicht auch regionale Kooperationen stärker zu denken; denn wir sind innerhalb der Europäischen Union stark verankert, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion aber sind in eine andere regionale Kooperation eingebunden. Es lohnt sich, auch das zu diskutieren.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Hampel zulassen?
Ja, bitte.
Bleiben Sie entspannt, Herr Mützenich. – Ich folge Ihnen aufmerksam und frage deshalb: Haben Sie gerade – vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass Europa und Russland ein INF-Abkommen, eine mittelstreckenwaffenfreie Zone in Europa anstreben sollten – einen Vorschlag zu einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz gemacht?
Wir sind durchaus der festen Überzeugung, dass wir zurzeit – selbst wenn die USA am Wochenende den INF-Vertrag endgültig kündigen – alles dafür tun müssen, den INF-Vertrag zu retten; denn es bleiben noch sechs Monate Zeit, den INF-Vertrag zu retten. Ansonsten, glaube ich, ist es klug, auch vonseiten Deutschlands – wir sind zurzeit für zwei Jahre im Sicherheitsrat – über ein weltweites Verbot nachzudenken. Ja, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen ein von Atomwaffen freies Europa verwirklichen.
(Beifall bei der SPD)
Genau das ist die Politik, die wir auch in die Bundesregierung eingebracht haben.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ihr Minister denkt da anders!)
– Ich bin noch nicht fertig. – Deswegen bin ich auch der festen Überzeugung, dass Rüstungskontrolle der dritte Ansatz gerade auch in einer europäisch-russischen Politik ist. Wir Sozialdemokraten wollen eben keine Nachrüstung in Europa – weder atomar noch konventionell.
(Beifall bei der SPD)
Insbesondere über defensive Rüstungspolitik nachzudenken, finde ich, ist lohnenswert.
Sie wissen ja genauso wie ich, dass gerade die Frage der Raketenabwehr das Sicherheitsinteresse Russlands tief und vielleicht sogar viel mehr als der Beitritt osteuropäischer Staaten zur NATO verletzt hat. Wenn Sie mit russischen Gesprächspartnern darüber sprechen, stellen Sie fest, dass gerade die Raketenabwehr eine elementare Herausforderung für die Zweitschlagskapazität ist. Genau deswegen treten wir Sozialdemokraten dafür ein, die Raketenabwehr wieder für Rüstungskontrolle zu öffnen. Die Kündigung des ABM-Vertrages durch Präsident Bush ist damals eine falsche Entscheidung gewesen, die wir nicht mittragen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So, das ist jetzt ausreichend beantwortet.
Ja, der Kollege kann sich in der Tat wieder setzen. Das hat mir aber durchaus die Möglichkeit gegeben, noch einmal das eine oder andere in dieser kurzen Redezeit anzumerken.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Es hat uns sehr gefreut! Ihr Minister denkt da anders!)
Ich würde gerne noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam machen. Ich bin der deutschen Delegation im Europarat doch sehr dankbar; denn die deutsche Delegation versucht zurzeit, Russland wieder an den Europarat heranzuführen, weil es dort um Menschenrechte, um Demokratie und um Akzeptanz von Standards innerhalb des Europarats geht. Das muss gleichzeitig aber auch mit konkreten Forderungen an Russland verbunden sein, nämlich ebendiese Prinzipien im Innern zu achten. Ich glaube, es ist ein guter Weg der deutschen Delegation, zusammen mit der finnischen Präsidentschaft oder in Zukunft mit Frankreich genau über diese Fragen zu reden.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zum anderen lohnt es sich, das Prinzip der Modernisierungspartnerschaft, das Frank-Walter Steinmeier, der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident, in die Debatte eingeführt hat, zu stärken. Das ist kein Ansatz, den wir sozusagen allein aus wirtschaftlichen Gründen gewählt haben. Das wäre eine Verkennung der Erfahrungen der Entspannungspolitik. Vielmehr bedeutet Modernisierungspartnerschaft, dass wir die Anbindung gerade auch in der wirtschaftlichen Verflechtung am Ende für politische Kooperationsformen suchen. Deswegen ist die Modernisierungspartnerschaft letztlich ein Friedensangebot an die russische Gesellschaft und insbesondere an die russische Zivilgesellschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, zum Schluss sage ich: Ich glaube, wir in Deutschland täten gut daran, wieder viel stärker zu versuchen, Russlandexpertinnen und -experten so zu fördern, dass sie die Politik, aber auch die Zivilgesellschaft beraten können. Ich vermisse das. Früher, in den 1960er- und 1970er-Jahren, gab es eine große Zahl dieser Expertinnen und Experten aus Universitäten und Nichtregierungsorganisationen, die genau das versucht haben. Das, glaube ich, sollte die Bundesregierung mit Forschungsmitteln, aber auch mit Mitteln aus dem Auswärtigen Amt unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, diese Politik bleibt mühevoll und ist eine ständige Aufgabe. Sie kann die Kluft vielleicht nicht überwinden; aber es lohnt sich, jeden Tag dafür zu arbeiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Dietmar Bartsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7322368 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 77 |
Tagesordnungspunkt | Russlandpolitik |