Nicola BeerFDP - Europäische Grundwerteinitiative
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gleich am Anfang des Vertrags von Lissabon niedergelegt: Die Grundpfeiler der Europäischen Union sind unverletzliche, unveräußerliche Grundrechte. Ihre wichtigsten Werte sind Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die Europäische Union ist also weit mehr als ein Binnenmarkt oder Personenfreizügigkeit. Sie ist eine Wertegemeinschaft. Sie ist der Sieg der Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren und so ein weltweites Vorbild für ein rechtebasiertes und demokratisches Miteinander.
(Beifall bei der FDP)
Leider aber sind Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Bürgerrechte weltweit in die Defensive geraten. Auf der ganzen Welt sehen wir das immer gleiche Drehbuch. Zuerst werden mit Populismus von links oder von rechts Wahlen gewonnen. Dann wird Schritt für Schritt das Staatswesen umgebaut und die eigene Macht konsolidiert. Die ersten Opfer sind meistens die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung. Dann folgt die Beschränkung der Pluralität, der Presse- oder der Forschungsfreiheit. Zum Schluss haben die Bürgerinnen und Bürger keine freie Wahl mehr. Demokratien sterben meistens langsam.
Leider macht dieses Phänomen auch vor der Europäischen Union nicht halt. Das zeigen die gegen Polen und Ungarn angestrengten Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Artikel 7 EUV und auch mehrere Resolutionen des Europäischen Parlaments, in denen die Sorge um den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der EU zum Ausdruck kommt, zuletzt die Sorge um die Lage in Rumänien. Auch die Berichte der Menschenrechtsbeauftragten und der Venedig-Kommission des Europarats sind alarmierend. Der Democracy Survey 2018 des „Economist“ bezeichnet knapp die Hälfte der EU-Staaten als sogenannte „unvollständige“ Demokratien. Erst gestern hat das Europäische Parlament über die Lage in Ungarn debattiert, aber die rumänische Ratspräsidentschaft kommt mit dem Artikel-7-Verfahren nicht vom Fleck. Diese Entwicklungen gefährden nicht nur die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in den betreffenden Mitgliedstaaten. Sie gefährden auch die Glaubwürdigkeit und die Funktionsfähigkeit der gesamten Europäischen Union.
(Beifall bei der FDP)
Genau deswegen dürfen wir nicht tatenlos zusehen, wenn etwa die parteiische Besetzung des Verfassungsgerichts in Warschau, die Vertreibung wichtiger Teile der CEU aus Budapest oder die Absetzung der Leiterin der Antikorruptionsbehörde in Bukarest die Rechte aus Artikel 2 EUV infrage stellen. In solchen Fällen müssen wir als Europäerinnen und Europäer schneller und wirksamer eingreifen, als wir das bisher tun. Hier muss zügig in einem unabhängigen rechtsstaatlichen Verfahren geklärt werden, was gegen unsere gemeinsamen europäischen Regeln von Rechtsstaat, Demokratie und Bürgerrechte verstößt, um es dann auch unverzüglich abzustellen.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen wollen wir Freie Demokraten eine europäische Grundwerteinitiative anstoßen und damit die Instrumente der Europäischen Union im Umgang mit Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit stärken und verbessern.
Ich sage ausdrücklich mit Blick auf die Initiative der Grünen, dass ich mich darüber freue, dass wir hier als Oppositionsfraktionen ein gemeinsames Anliegen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir schlagen Ihnen vor, dass das, was es im Fiskalbereich oder in der Wirtschaftspolitik schon längst gibt, nämlich die regelmäßige und unabhängige, objektive Evaluierung der Standards in den EU-Mitgliedstaaten, endlich auch im Rechtsstaatsbereich erfolgen soll. Das Mandat hierzu soll die unabhängige Europäische Grundrechteagentur erhalten, auch um dem immer wieder gern erhobenen Vorwurf der Politisierung der Rechtsstaatsmechanismen der EU ein für alle Mal den Boden zu entziehen. Damit die Berichte entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, dürfen wir auch vor schmerzhaften Maßnahmen wie etwa der Kürzung der EU-Mittel nicht zurückschrecken.
Schließlich müssen wir in Zukunft Mittel und Wege finden, wie wir verhindern, dass Mitgliedstaaten, die es selbst mit der Rechtsstaatlichkeit nicht allzu genau nehmen, immer wieder Verfahren gegen andere Staaten blockieren. Wenn wir dazu das Primärrecht ändern müssen, dann müssen wir das eben langfristig verfolgen.
(Beifall bei der FDP)
Lassen Sie mich zum Schluss feststellen, dass es sich hier um eine Frage von unschätzbarer Bedeutung für die Europäische Union handelt. Nur wenn die Europäische Union, nur wenn wir als Europäerinnen und Europäer selbst unsere Werte nach innen glaubhaft leben, können wir sie auch nach außen glaubwürdig vertreten. Wir alle sollten das Interesse haben, weltweit als starke Stimme für Menschenrechte und Freiheit aufzutreten. Dann kann die Europäische Union in der internationalen Diskussion auch einen Unterschied machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Nicola Beer. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Philipp Amthor.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 77 |
Agenda Item | Europäische Grundwerteinitiative |