Carl-Julius CronenbergFDP - Gesetz zu Übergangsregelungen nach dem Brexit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Springer, bevor Sie das nächste Mal über Schamgefühle fabulieren, empfehle ich, sich mit dem Unterschied zwischen dem Akzeptieren von demokratisch legitimierten Entscheidungen einerseits und persönlichem Bedauern andererseits zu beschäftigen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Freien Demokraten tun das jedenfalls. Wir akzeptieren das Ergebnis des Referendums und bedauern die Entscheidung.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und wir akzeptieren die AfD, bedauern aber ihre Präsenz!)
Wenn es in den vergangenen zwei Jahren während der traurigen Scheidungsverhandlungen irgendetwas Positives gegeben hat, etwas, das Mut macht, das in die Zukunft weisen könnte, dann war es die große Geschlossenheit, mit der die EU die Verhandlungen geführt hat. Davon wünsche ich mir mehr; das wünsche ich mir öfter.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Insofern folge ich Bundesminister Altmaier eben nicht, wenn er in der heutigen Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht verkündet, dass ein No-Deal-Brexit um jeden Preis verhindert werden müsse. Nein, Herr Altmaier, mit Verlaub, dass die EU nicht mehr geschlossen agiert, das muss um jeden Preis verhindert werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir Europäer können und werden weiter mit Premierministerin May sprechen. Das Austrittsabkommen aufschnüren dürfen wir nicht.
(Beifall des Abg. Torbjörn Kartes [CDU/CSU])
Frau May hat immer noch drei Alternativen: Sie findet doch noch eine Mehrheit für das Austrittsabkommen. Sie findet keine Mehrheit und scheidet ohne Abkommen aus. Und schließlich – mein Favorit –, sie zieht die Absichtserklärung zum Austritt nach Artikel 50 zurück, die Briten bleiben, und der ganze Quatsch wird abgeblasen.
Das Leben ist aber nun mal kein Wunschkonzert, und die Entscheidung liegt nicht in unserer Hand. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe, uns auf alle Szenarien vorzubereiten, auch auf den harten Brexit, den keiner will. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der für diesen Fall in wichtigen Lebensbereichen Regelungen vorsieht. Viele Menschen mit britischem Pass in Deutschland fragen sich: Bekomme ich weiter Rente? Darf ich weiter studieren? Was passiert, wenn ich mal krank werde? Und natürlich auch: Kann ich zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben?
Auf der einen Seite ist klar, dass 117 000 Briten in Deutschland kurzfristig Rechtssicherheit brauchen: Dürfen wir hier leben und arbeiten? Welche Sozialleistungen stehen uns zu? Andererseits steht auch fest: Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs sind britische Staatsbürger keine Unionsbürger mehr. Damit bekommen sie einen anderen Rechtsstatus.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen der AfD?
Ja.
Sie haben gerade gesagt, Sie würden sich wünschen, die britische Regierung zöge den Brexit zurück, und sich damit sozusagen gewünscht, dass sich eine Regierung eigenmächtig über ein Referendum des Volkes hinwegsetzt.
(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er nicht gesagt!)
Finden Sie das wirklich wünschenswert?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich mir wünsche, dass sie doch noch von ihrer Erklärung zurücktreten, weil sie keine Lösung haben. Es gibt keine Mehrheit im Parlament für einen No-Deal-Austritt. Es gibt eine klare Mehrheit dafür – das ist eine Recommendation, also eine Empfehlung, an die Regierung –, in jedem Fall ein Austrittsabkommen zu erwirken. Es gibt ein Austrittsabkommen, und wir schnüren das nicht mehr auf. Das ist aber bereits abgelehnt worden. Es bleibt die dritte Option, die Erklärung zurückzuziehen und sich damit Zeit zu verschaffen, neu zu verhandeln, oder auch, das Volk neu zu befragen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der vorliegende Entwurf für ein Begleitgesetz beantwortet aus unserer Sicht viele Fragen – das ist in Ordnung –, aber nicht alle. So haben beispielsweise knapp 4 000 Empfänger von Arbeitslosengeld II oder auch circa 1 000 Rentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung im Alter mit britischem Pass noch keine Rechtssicherheit. Der Leistungsbezug hängt in erster Linie vom Aufenthaltsrecht ab. Laut Plänen des Bundesinnenministeriums haben britische Staatsbürger nach dem Austritt drei Monate Zeit, einen Aufenthaltstitel zu beantragen. Eine Garantie gibt es aber erst einmal nur für Erwerbstätige. Bei nicht Erwerbstätigen kann es Härtefälle geben. Nehmen wir beispielsweise eine Rentnerin mit britischem Pass, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, vielleicht schon verwitwet ist. Bekommt sie einen Aufenthaltstitel ohne Weiteres zugesprochen? Das ist meiner Ansicht nach nicht sicher. Die Menschen brauchen Klarheit. Dafür muss die Bundesregierung sorgen.
Im Bereich der Wirtschaft gibt es auch noch ein paar Fragezeichen. Für die Unternehmen erwarte ich eine verlässliche Regelung für die Entsendung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in beide Richtungen. Wir werden diese Fragen, so hoffe ich jedenfalls, im Verlauf der parlamentarischen Beratung klären können.
In jedem Fall reichen Übergangsregelungen nicht. Wir brauchen neben einem umfassenden Freihandelsabkommen auch ein weitreichendes Sozialversicherungsabkommen. Das wird noch zu klären sein.
Zum Schluss bleibt mir zu sagen: Sollten sich die Briten, aus welchen Gründen auch immer, dazu durchringen, vorerst doch in der EU zu bleiben, so würde das, glaube ich, die überwältigende Mehrheit in diesem Hause sehr begrüßen. Wenn nicht, dann rufen wir unseren Freunden jenseits des Kanals zu: Ihr seid jederzeit willkommen. Europas Tür bleibt offen.
Schönen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Carl-Julius Cronenberg. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: Jutta Krellmann.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7322533 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 77 |
Tagesordnungspunkt | Gesetz zu Übergangsregelungen nach dem Brexit |