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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Kollege Korte hat es ja nur gut gemeint mit dem Bundesfinanzminister. Er war nämlich in großer Sorge darüber, dass der Finanzminister meine Rede hier verpasst.

Wir sprechen heute über den Mittelstand.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So geht das nicht! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie müssen für Ruhe sorgen!)

Herr Kollege De Masi, warten Sie noch einen Moment. Sie können gleich noch einmal beginnen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Wiedersehensfeiern zu beenden und entweder Platz zu nehmen oder den Plenarsaal zu verlassen,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil der Redner Anspruch darauf hat, gehört zu werden und gehört werden zu können. – Herr Kollege Dehm, dazu hätte es Ihrer Ermahnung nicht bedurft.

Ich bitte noch einmal darum, dass diejenigen, die nicht zuhören wollen, den Plenarsaal verlassen.

Herr Kollege De Masi, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, ich habe gerade ein Déjà-vu. Wir sprechen heute über den Mittelstandsbauch bei Steuern. Klar ist: Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen in diesem Land müssen gestärkt werden. Aber die große Mehrheit der Bevölkerung ist oft schlauer, als es die FDP erlaubt;

(Christian Dürr [FDP]: Wir erlauben alles!)

Sie wissen: Billig ist das neue Teuer. Wenn ich allen verspreche, die Steuern zu senken, aber nicht sage, wer den Abwasch erledigt, dann haben wir hinterher ein Problem.

(Christian Dürr [FDP]: Wir haben Haushaltsanträge gestellt, die Sie abgelehnt haben!)

Das heißt nämlich, dass wir noch weniger in Brücken, Universitäten und Schulen investieren oder übermorgen die Mehrwertsteuer erhöhen, die die kleinen Leute zahlen. Meine Steuern brauchen Sie nicht zu senken, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Problem ist doch: Es gibt zu viele Menschen, die so wenig verdienen, dass sie kaum Einkommensteuer zahlen. Die Spitzenverdiener wurden in den letzten Jahren entlastet. Dadurch wird die Mitte geschröpft. Wer die Mitte entlasten will, muss die wirklich Reichen in diesem Land zur Kasse bitten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Gesetzentwurf der FDP und die Anträge der AfD gehen daher am Problem vorbei. Der AfD ist ja selten irgendetwas wirklich peinlich; aber in diesem Fall mussten Sie Ihren Antrag zur kalten Progression beerdigen. Und das ist auch gut so. Er strotzt nämlich vor Fehlern. Sie schreiben etwa, alle Steuersenkungen der Vergangenheit seien schwächer ausgefallen als die heimlichen Steuererhöhungen. Da müsste die Steuerquote über die Jahre geradezu explodiert sein. Das ist sie aber nicht; sie entwickelt sich im Rahmen der Konjunktur.

Nun zur FDP. Ich hatte mich auf diese Debatte gefreut und dachte: Jetzt kommen endlich Bierdeckelsteuer, Flat Tax oder irgendein anderer Hit aus dem Steuerkaraoke. Den Unterschied zum GroKo-Tarif muss man aber mit der Lupe suchen. Die maximale Entlastung von 140 Euro im Jahr – das sind 38 Cent pro Tag – greift im Antrag der FDP bei einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro. Der Anstieg bei den mittleren Einkommen ist auch nicht weniger steil als bei der GroKo. Was ist los, Sportsfreunde? Früher war wirklich mehr los mit euch.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Worum geht es eigentlich überhaupt beim Mittelstandsbauch? Es geht darum, dass man mit steigendem Einkommen in einen höheren Steuertarif rutscht. Man hat bei steigendem Einkommen also mehr Geld als vorher, darf aber vom zusätzlichen Einkommen weniger behalten.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der AfD-Fraktion?

Ja, sehr gerne.

Bitte, Herr Kollege.

Herr De Masi, Sie führten aus, dass die Steuerquote sich im Rahmen bewege. Sie haben aber in meiner Rede, glaube ich, hören können, dass die Steuerquote 2018 bei 22,8 Prozent und im Jahre 2005 noch bei 19,6 Prozent lag. Das sind 3,2 Prozentpunkte Unterschied.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, da hatten wir auch eine Mehrwertsteuererhöhung!)

Wenn wir es in Prozent ausrechnen, dann sind wir bei einem Anstieg der Steuerquote von über 15 Prozent.

Würden Sie mir auch dahin gehend zustimmen, dass Bürger eben nicht nur über die Steuern belastet werden, sondern auch über die Abgaben? Sehr aussagekräftig ist dazu der Steuerzahlergedenktag. Geben Sie bitte auch zu, dass es vorkommen kann, dass ein Antrag, der nicht schlecht ist, überholt ist, nämlich durch unseren Antrag „Tarif auf Rädern“! Es wäre fair, nicht etwas schlechtzureden, was gut ist. Wir haben einfach etwas Besseres dagegengestellt, nämlich unseren Antrag „Tarif auf Rädern“, um genau die beschriebenen Probleme abzumildern.

(Christian Dürr [FDP]: Mit dem Sie alles geklaut haben bei der FDP-Fraktion!)

– Wir haben bei euch gar nichts geklaut.

(Christian Dürr [FDP]: Sie haben zitiert aus meinem Gutachten!)

Ich würde empfehlen: Sie klären Ihren Streit vor der Tür. – Ich kann Ihnen sagen: Die Steuerquote ist kürzlich um 0,4 Prozent gestiegen. Das bewegt sich im Rahmen der Konjunktur. Im langfristigen Verlauf gibt es da überhaupt keine erheblichen Schwankungen. Die Frage ist, wer besteuert wird, wer in diesem Land Steuern zahlt. Das ist doch die Frage, und zu dieser Frage schweigen Sie, weil Sie am Rockzipfel von Oligarchen wie Herrn Finck hängen. Das sollten Sie der Bevölkerung einmal erklären.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Radwan [CDU/CSU])

Worum geht es also beim Mittelstandsbauch? Es geht darum, dass man mit steigendem Einkommen in einen höheren Steuertarif rutscht. Man hat also bei steigendem Einkommen mehr Geld als vorher, darf davon aber weniger behalten. Das ist der Zusammenhang. Das ist wie bei der Steigung an einem Berg. Man steigt höher und höher, aber man lässt dabei auch mehr Kraft. Den Mittelstandsbauch zu beseitigen, hieße, diesen Anstieg flacher zu machen – also eher Hamburger Berg als Matterhorn.

Es gibt dafür drei Möglichkeiten: Erstens. Man erhöht den Eingangssteuersatz. Man fährt also mit dem Aufzug die ersten 100 Meter des Berges hoch. Dann ist der Weg bis zum Gipfel des Spitzensteuersatzes nicht mehr so steil. Das heißt aber, dass man die Steuern für Geringverdiener erhöht. Für jemanden, der wenig verdient, wäre das sogar extrem steil, weil der Staat bei 1 Euro über der Verdienstgrenze stärker zuschlägt. Man würde also beim Verlassen des Fahrstuhls gleich zur Kasse gebeten werden.

Zweitens. Man senkt den Gipfel des Berges, also den Spitzensteuersatz, ab. Dann ist es weniger steil, aber ungerecht. In den letzten 20 Jahren wurden laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die obersten 30 Prozent der Haushalte entlastet und die unteren 70 Prozent stärker belastet.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das erzählt?)

Es gäbe eine dritte Möglichkeit, die Mitte zu entlasten, nämlich den Spitzensteuersatz wieder zu erhöhen. Er sollte aber später greifen, und das will die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

– Ihr wollt das auch? Es freut uns natürlich, das zu hören. Darüber unterhalten wir uns dann noch mal. – Der Gipfel des Berges liegt dann höher, aber der Anstieg verteilt sich auf eine längere Strecke, und man kann unterwegs die Aussicht genießen. Ein Single mit der Steuerklasse 1, der den Spitzensteuersatz zahlt, zahlt auch heute nicht 42 bzw. 45 Prozent auf das gesamte Einkommen. Wer 55 961 Euro verdient, zahlt auf die ersten 9 168 Euro nichts und auf den ersten Euro nach 55 960 Euro 42 Cent Steuern. Deswegen wäre es besser, das Wort „Spitzensteuersatz“ aus dem Wörterbuch zu streichen und nur noch über den durchschnittlichen Steuersatz zu sprechen. Dieser liegt bei diesem Beispiel nämlich bei 28 Prozent.

(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Guter Ansatz!)

Die Linke will einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent wie unter Helmut Kohl, aber Bruttoeinkommen bis 7 100 Euro im Monat entlasten. Zusätzlich sollte jeder Euro Einkommen über 1 Million Euro mit einer Reichensteuer von 75 Prozent belegt werden.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Warten Sie ab. – Die Kongressabgeordnete aus den USA Alexandria Ocasio-Cortez forderte ebenso wie die Linke eine Reichensteuer von 70 Prozent für Einkommen über 10 Millionen Dollar. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman unterstützte sie. Er erinnerte daran, dass der Spitzensteuersatz unter Roosevelt in den USA bei 91 Prozent lag. Ocasio-Cortez spricht von Roosevelt, und wir sprechen von Helmut Kohl. Das ist doch wirklich bescheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen: Die Linke will Superreiche stärker besteuern, kleine und mittlere Einkommen entlasten und in die Zukunft dieses Landes investieren. Damit sind wir im Bundestag noch sehr alleine, aber nicht in diesem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7325641
Wahlperiode 19
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Steuerentlastung
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Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta