14.02.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 4

Lothar BindingSPD - Steuerentlastung

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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort zur Entscheidung nach Gutsherrenart. Die Hoheit über das Budget ist nicht Entscheidung nach Gutsherrenart; das ist unsere Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist unsere Pflicht, jedes Jahr zu entscheiden, was wir tun werden. Wir nehmen Steuern ein, wir geben Steuergelder aus, und zwar immer von den Bürgern für die Bürger. Wir sind also doch lediglich der Organisator dieses Systems. Dahinter steht Verantwortung und nicht Handeln nach Gutsherrenart.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ein Mythos ist eine Erzählung, erhebt aber üblicherweise Anspruch auf Geltung für die von ihm verbreitete Wahrheit. Das ist ein super System. Wer sich mal über Steuermythen informieren möchte, der findet unter „steuermythen.de“ von Cansel Kiziltepe unter Punkt 15 etwas zur kalten Progression. Da kann man sehr viel lernen.

Ich habe heute gelernt, dass sich Leistung und Fleiß wieder lohnen müssen.

(Zurufe von der AfD: Oh!)

Da ist mir eingefallen, wie das so funktioniert: Ein Hedge­fondsmanager verdient, wenn er Pech hat, 2 bis 3 Millionen Euro, ansonsten 3 bis 6 Millionen Euro. Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen auf der Zuschauertribüne in dieser Kategorie verdient; dann müsste ich mich neu sortieren. Auf der anderen Seite steht eine Mutter, die vielleicht einen alzheimerkranken Vater pflegen muss, die morgens die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten bringen muss – sie hat damit vielleicht ein Riesenproblem – und die zwischendrin arbeiten gehen muss, meistens eine Putzstelle. Sie kommt abends kommt total fertig nach Hause und muss dann noch die Hausaufgabenbetreuung übernehmen. Leistung muss sich wieder lohnen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Hintergrund, warum wir sagen: Wir brauchen das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz; denn man muss genau hinsehen und überlegen, wo man ansetzt. Diesen Menschen können wir steuerlich gar nicht helfen, weil sie gar keine Steuern bezahlen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb Vorsicht: Wer sagt, er wolle durch Steuersenkung den Armen helfen, der will sie hinter die Fichte führen. Das ist völlig klar.

Manchmal lügen Zahlen, aber manchmal sagen sie auch die Wahrheit. Kann mir jemand sagen, ob wir die Steuern seit 1991 erhöht oder gesenkt haben? Die Antwort ist: Wir haben die Steuern genau zweimal erhöht, einmal durch den Soli – darum geht es ja neuerdings wieder – und zum Zweiten durch die Reichensteuer – was ganz Dramatisches: ab 250 000 Euro Einkommen 3  Prozentpunkte mehr Steuern. Wir haben die Steuern zweimal lächerlich angehoben, aber die Sätze dramatisch gesenkt. Man muss aber natürlich auch auf die Bemessungsgrundlage schauen – da hat Herr Gutting recht –, die diesen Sätzen zugrunde liegt.

Machen wir es mal etwas konkreter. Wenn jemand 20 000 Euro pro Jahr verdient, hat er einen Steuersatz nach der Splittingtabelle von 16 Prozent, muss aber im Durchschnitt 1 Prozent Steuern bezahlen. Jemand, der 40 000 Euro verdient, hat einen Steuersatz von 26 Prozent; der Durchschnittssteuersatz beträgt aber nur 12 Prozent. Jemand, der ein Einkommen von 1 Millionen Euro hat – das ist relativ viel –, muss 45 Prozent bezahlen; der Durchschnittssteuersatz liegt bei 42 Prozent.

Jetzt fragen wir mal nicht, was die Menschen bezahlen, sondern was ihnen bleibt. Dem, der 20  000 Euro verdient, bleiben 19 700 Euro. Die Steuerlast beträgt 300 Euro, also relativ wenig; das mag er hinnehmen. Bei 40 000 bleiben ihm 34 900 Euro. Ich mache einen Schritt nach vorne: Bei einem Einkommen von 1 Millionen Euro bleiben dem Steuerzahler heute 560 000 Euro übrig.

(Olav Gutting [CDU/CSU]: Unanständig viel! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: 440 000 Euro Steuern zahlt er!)

Wenn jemand 560 000 Euro übrig hat und meint, andere müssten mit 10 000, 12 000, 14 000 Euro zurechtkommen, dem sage ich, er ist mit einem super Steuersatz bedient.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Nein, das machen wir zum Schluss vielleicht.

Zum Schluss gibt es keine Zwischenfragen.

Erinnern wir uns mal, wie die Steuersätze in der Nachkriegszeit waren. Weiß das noch jemand? Ich folge nicht dem Antrag der Linken mit 75 Prozent. Das hat Hollande versucht – mit dem entsprechenden Ergebnis. Nein. – Weiß noch jemand, wie es in der Nachkriegszeit bis 1953 war?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bisschen über 90 Prozent!)

Zwischen 80 und 93 Prozent. Die Leute sind trotzdem in Deutschland geblieben. Ich will das nicht vergleichen; denn die Zeit war anders.

(Christian Dürr [FDP]: Das kann man nicht vergleichen!)

Ich wollte nur sagen: Die Dimensionen waren ganz anders.

Ich bin übrigens dafür – das ist ein ganz praktischer Vorschlag –, dass wir die Durchschnittssteuersätze auf den Steuerbescheid schreiben, damit die Leute wissen, wie viel Steuern sie zahlen,

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und damit nicht nur Zahlen im Gesetz stehen, was niemand versteht.

Die FDP will mehr Gerechtigkeit und den Einkommensteuertarif anpassen – ich zitiere –, „sodass die Steuerlast nicht gerade bei den kleinen und mittleren Einkommen am stärksten ansteigt“. Deshalb schlägt sie jetzt vor, den Tarifeckwert zu verschieben. Jetzt überlegen wir mal: Ist damit das Ziel eigentlich zu erreichen?

(Zuruf von der FDP: Ja! – Zuruf von der SPD: Nein!)

Steigt nicht auch nach Ihrem Modell am Anfang die Steuerlast in der Durchschnittssteuerkurve am steilsten? Die Antwort ist Ja. Sie haben überhaupt keine Idee, wie man das vermeiden kann.

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Ich kann Ihnen auch erklären, warum man das gar nicht vermeiden kann. Das hat damit zu tun, dass wir eine gekrümmte Kurve haben. Die gekrümmte Kurve fängt irgendwann an. Dann ist sie sehr steil; das ist unvermeidbar. Wenn sie gegen unendlich geht, wird die Krümmung irgendwann ganz flach. Deshalb ist es immer so: Der Zuverdienst des Millionärs wird in seiner Steigung sehr viel weniger stark belastet als der des Ärmeren. Das können Sie systematisch überhaupt nicht vermeiden; sonst müssten Sie sich etwas ganz Neues überlegen. Man kann sehr schön sehen, dass das nicht funktioniert. Sie haben sich da also vergaloppiert. Das wäre kein Chancentarif, sondern Ihr Tarif wäre letztendlich für die kleinen Leute ein Belastungstarif und für die reichen Leute ein Entlastungstarif.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Das ist auch Ihr eigentliches Ziel. Denn Sie sagen, Sie wollen einen linear-progressiven Tarif. Sie sagen nicht, wo dieser anfängt und wo er aufhört.

(Widerspruch des Abg. Christian Dürr [FDP])

Der linear-progressive Tarif würde Ihre Bedingung nur erfüllen, wenn er weitergeht. Warum hören Sie eigentlich irgendwann auf? Warum geht der linear-progressive Tarif nicht über 45 Prozent hinaus, vielleicht 46, 47, 48 oder 49 Prozent?

(Christian Dürr [FDP]: Weil wir das für falsch halten!)

Ich finde, wenn von 1 Million nur 450 000 Euro übrig blieben, würde das auch genügen. Insofern glaube ich: Wer über Gerechtigkeit nachdenkt, muss Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Ich will darauf hinweisen, dass Zwischenfragen nur während der Rede möglich sind und nicht am Ende einer Rede.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie haben recht! Ja!)

– Ich weiß, dass ich recht habe. Ich wollte nur noch einmal darauf hinweisen.

Die Linke-Fraktion hat um eine Kurzintervention gebeten. Ich bitte den Kollegen Dehm, jetzt seinen Beitrag zu leisten.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7325648
Wahlperiode 19
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Steuerentlastung
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