Hagen ReinholdFDP - Bekämpfung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Daldrup, es kommt nicht so oft vor, dass wir uns einig sind. Aber Sie haben recht: Auch ich freue mich, dass wir hier heute so eine wichtige Debatte führen. Ich hätte gedacht, dass wir das auch quer durch das Haus mit dem nötigen Ernst tun. Diesen vermisse ich bei einigen.
Ich fange einmal bei dem Antrag der Linken an. Frau Lay, immer nur auf die Mieten abzustellen, ist leider viel zu kurz gesprungen.
(Caren Lay [DIE LINKE]: Besser als gar nichts zu tun!)
Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir nicht nur einen Antrag von Ihnen, sondern auch einen Antrag von den Grünen haben, der deutlich differenzierter an die Sache herangeht und der einen großen Unterschied macht, was auch richtig ist, zwischen Obdachlosigkeit und Leuten, die davon bedroht sind, wohnungslos zu werden. Das ist auch wichtig.
Housing First jetzt für sich als linke Idee zu vereinnahmen, wo ich weiß, dass das in Düsseldorf und in anderen Städten seit Jahren über alle Parteien hinweg breit getragen und bei privaten Stiftungen unterstützt wird, das zeigt, wie ernst Sie die Debatte nehmen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier viel ernsthafter miteinander diskutieren würden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Antrag?)
– Bleiben Sie doch einmal entspannt.
Ich finde in den Anträgen gute Sachen. Das will ich nicht verschweigen; das ist auch völlig in Ordnung. Aber nicht alles, was darin steht, ist richtig; das können Sie sich vorstellen. Aber ich hätte gedacht, wir fassen wenigstens die guten Punkte aus den Anträgen zusammen. Housing First ist einer davon, auch die Verantwortung – das ist hier dargestellt worden – dafür, dass Kommunen, Länder und der Bund gemeinsam agieren müssen. Ich halte viel davon, dass die Kommunen endlich eine solche finanzielle Ausstattung bekommen, damit sie das auch machen können.
Wenn man sich einmal mit dem Thema auseinandersetzt, wenn man in Obdachlosencafés geht, wenn man sich mit den Leuten unterhält, dann stellt man fest, dass die Sozialarbeiter manchmal nur 24 Monate davon entfernt sind, ihre eigenen Kunden zu werden – das ist doch die Wahrheit vor Ort –, weil sie nicht ausfinanziert sind und befristete Arbeitsverträge haben. Darüber muss doch einmal gesprochen werden. Aber darüber finde ich in diesen Anträgen gar nichts, und das ärgert mich.
(Beifall bei der FDP – Zurufe von der LINKEN)
– Deshalb will ich da einen Unterschied machen.
In Bezug auf die Notunterkünfte müssen wir darüber reden, dass es viele Notunterkünfte gibt, in die Leute mit Hund oder unter Drogen gar nicht hineindürfen, dass wir andere Konzepte brauchen und dass sie personell besser ausgerüstet werden müssen, um jedem eine Chance zu geben, nicht nur denjenigen, die stark sind und manchmal – ja – gar nicht in diesen Unterkünften sein dürften. Auch darüber muss geredet werden. Gerade in den Ballungsräumen gibt es auch viele Menschen, die aus anderen Ländern kommen und die eben keinen Anspruch darauf haben, bei uns die Kosten der Unterkunft bezahlt zu bekommen. Die verdrängen die Schwachen, die es eigentlich nötig hätten. Auch darüber muss gesprochen werden.
(Beifall bei der FDP)
Was wir nicht brauchen – jetzt komme ich zu den von Wohnungslosigkeit Bedrohten – ist mehr Regulierung. Damit bekommen Sie das mit Sicherheit nicht hin.
Glauben Sie mir: Bezüglich der Forderung nach mehr Wohnraum sind wir uns einig. Aber ich will an die Grundlagen heran. Warum zieht es denn alle in die Ballungsräume? Warum ist denn der Druck in den Ballungsräumen so enorm? Darüber muss doch geredet werden. Das bekommt man auch mit den schönsten Reden über ländliche Räume nicht wegdiskutiert. Das ist übrigens ein Trend, der sich in den nächsten Jahren verstärken wird. Insofern muss ich gucken: Wo sind soziale Netzwerke, die ich auch in anderen Gebieten anbieten kann, damit diese Leute auch in anderen Gebieten überhaupt eine Chance haben.
(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Ja!)
Worüber auch nicht geredet wird, ist ein Thema, mit dem die Gesellschaft ziemlich schwach umgeht. Ich erzähle Ihnen einmal eine Geschichte aus meiner Heimatstadt: Ich habe viele Deutschkurse für Flüchtlinge angeboten, als sie zu uns kamen, und gesagt: Wir brauchen auch Alphabetisierungskurse für Deutsche. In Deutschland gibt es nämlich fast 10 Prozent funktionelle Analphabeten. – Man hat mich in meiner kleinen Heimatstadt zusammen mit den Helfern, die das gemacht haben, beschimpft und gesagt: Das kann nicht wahr sein. Bei uns gibt es keine funktionellen Analphabeten. Das alles ist nicht wahr. – Fürchterlich! Stigmatisiert hat man diese Leute. Die trauen sich mit Sicherheit nicht mehr zu uns in die Deutschkurse.
Warum erzähle ich das eigentlich? Weil wir sehr oft wissen, welche Leute von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die kennt unser System. Das kommt nicht von heute auf morgen. Aber es sind auch viele Menschen dabei, die einfach den Brief vom Amt nicht lesen. Es gibt übrigens schon lange die Meldepflicht vom Amtsgericht an die Sozialämter; das ist in den Anträgen falsch dargestellt. Da liegt der Brief auf einem Stapel mit 50 ungeöffneten anderen Briefen obendrauf: teilweise, weil sie es sozial nicht mehr schaffen, teilweise aber auch, weil sie diese Briefe nicht lesen können. Deshalb müssen wir uns deutlich breiter aufstellen. Wir dürfen diese Leute nicht stigmatisieren. Wir müssen in Bildung investieren, damit sie, wenn sie Netzwerke in den Ballungsräumen suchen, nicht feststellen müssen, dass wir nicht genügend Möglichkeiten haben, ihnen zu helfen.
Ich freue mich darauf, wenn wir ernsthaft über die Anträge diskutieren. Ich finde gerade in dem der Grünen eine ganze Menge Punkte, die auch wir unterstützen können. Ich teile aber mitnichten die Ansicht, dass das Ganze ausschließlich über die Mieten geht. Auch mit dem Geld, das Sie in die Hand nehmen wollen, um das zu ändern, wird das nicht funktionieren. Da entzaubern Sie sich ja selbst. Sie schreiben, 10 Milliarden Euro reichten aus, und in der Begründung werden dann zehn Jahre lang jeweils jährlich 10 Milliarden Euro gefordert. Sie haben auch noch nicht gehört, über wie viel Geld wir im Bundeshaushalt verfügen und was wir damit alles machen wollen. Aber das war ich von den Linken nicht anders gewohnt.
Schönen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Christian Kühn das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7325822 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 80 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit |