20.02.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 82 / Zusatzpunkt 1

Jürgen HardtCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Münchner Sicherheitskonferenz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer seine Ziele erreichen will, braucht andere. So werden die Ziele auch die Ziele anderer, und natürlich umgekehrt. Und das ist der Übergang von der Rohigkeit zur Kultur. – Das stammt nicht von mir, sondern von ­Immanuel Kant. Das ist eigentlich eine ziemlich gute Beschreibung der Notwendigkeit von multilateralen Ansätzen, von gemeinsamen regelbasierten Ordnungssystemen.

Eines der Merkmale der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr, ebenso wie im letzten Jahr, war wieder unsere gemeinsame Erkenntnis, dass die multilaterale Ordnung, dass der gemeinsame Ansatz, auf der Basis von freiwillig vereinbarten Regeln zur Lösung von Konflikten zu kommen, unter Druck ist und sogar von denen infrage gestellt wird, die diese regelbasierte Ordnung selbst maßgeblich mitgeprägt haben. Vor diesem Hintergrund haben mir viele Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht gefallen, auch nicht die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Pence und natürlich auch nicht die Rede des iranischen Außenministers.

Der Multilateralismus ist offensichtlich in einer Krise. Wenn man sich die Frage stellt, woran das liegt, erkennt man vielleicht ein Problem, das hinter dieser Krise des Multilateralismus steht, nämlich dass letztlich das Erfolgsrezept der letzten Jahrzehnte, durch Dialog und Kompromiss zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die eine, neudeutsch gesprochen, Win-win-Situation, also eine vorteilhafte Situation für alle Beteiligten darstellt, nicht mehr das Ansehen genießt, das es in der Vergangenheit hatte, und dass die Politiker, die sich um solche Kompromisse bemühen, nicht das Ansehen genießen wie früher. Es ist heute zunehmend derjenige populär, der möglichst populär und kraftvoll seine Position zu 100 Prozent laut auf dem Markt verkündet, und nicht derjenige, der bereit ist, gegebenenfalls etwas von seiner eigenen Position – im Sinne von Immanuel Kant – abzugeben, um dann umso mehr für sich und sein Volk und sein Land zu erreichen.

Dabei ist es offensichtlich, dass in einem Alleingang die Probleme nicht zu lösen sind. Deutschland repräsentiert gut 1 Prozent der Weltbevölkerung – mit sinkender Tendenz. Und wenn wir uns in der Welt mit unseren Vorstellungen und Ideen behaupten wollen, dann brauchen wir Verbündete und müssen mit Verbündeten arbeiten. Diejenigen, die den Menschen erzählen, sie könnten die Probleme aus eigener Kraft ohne Vertrauen auf multilaterale Strukturen lösen, gaukeln, insbesondere wenn es um die kleineren Länder geht, ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Souveränität vor, die es in Wirklichkeit gar nicht mehr gibt.

Was wäre die deutsche nationale Souveränität in der Handelspolitik verglichen zu dem, was wir zum Beispiel in der Europäischen Union durch unsere vergemeinschaftete Handelspolitik haben? Welche Kraft hätte die deutsche Außenpolitik, wenn sie sich nicht im Rahmen von NATO und EU in größeren Verbünden bewegen würde? Welche Möglichkeiten hätten wir, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vor Terror und Gewalt zu schützen, wenn wir es nicht mit anderen gemeinsam probierten? Ich fordere und wünsche mir, dass wir uns jenseits der Frage nach der Überwindung der Krise des Multilateralismus auch wieder der Kompromissfindung als der Königsdisziplin der Außenpolitik zuwenden. Auch wir Deutschen sind dort gefordert.

Ich möchte kurz noch einige Punkte ansprechen.

Blicken wir ganz konkret darauf, wo wir Kompromisse machen müssen: Ich glaube, dass in der Außenpolitik der Europäischen Union der Übergang zum Mehrheitsprinzip unverzichtbar ist. Ich habe es für einen schwerwiegenden Mangel gehalten, dass der Außenrat der Europäischen Union nicht in der Lage war, zum Thema „INF-Vertragsbruch durch Russland“ und zum Thema „Venezuela“ eine gemeinsame europäische Position zu formulieren.

Ich glaube, dass wir auch Kompromissbereitschaft brauchen beim Thema „EU-Haushalt der Jahre 2021 bis 2027“. Wenn es um die Prioritätensetzung geht, zum Beispiel bei der Bewältigung der großen Krisen dieser Welt und einer neuen Afrika-Politik der Europäischen Union und Deutschlands, müssen wir möglicherweise auch den einen oder anderen Kompromiss machen im Hinblick auf von uns gewünschte, liebgewonnene bisherige Zuwendungen von europäischer Ebene.

Wir müssen auch akzeptieren, dass wir im Bereich der Verteidigungsaufgaben eine Verpflichtung gegenüber unseren Partnern eingegangen sind, der wir entsprechen müssen. Deswegen sollten wir uns nicht wegducken vor dem von uns propagierten Ziel der Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Das sind Kompromisse, bei denen wir im Konkreten gefordert sind und mit denen wir unseren Beitrag leisten können zur Stärkung des Multilateralismus. In diesem Sinne verstehe ich die Botschaft der Münchner Sicherheitskonferenz an uns.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Dr. Anton Friesen.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7328657
Wahlperiode 19
Sitzung 82
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Münchner Sicherheitskonferenz
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