Volker UllrichCDU/CSU - Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 100 Jahre nach Beendigung der deutschen Kolonialherrschaft durch die Folgen des Versailler Vertrags ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um über die Aufarbeitung zu sprechen. Viel zu lange haben wir dieses Thema in der öffentlichen Debatte ausgeblendet. Wir müssen uns mit unserer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, auch in diesem Bereich. Jede ehemalige europäische Kolonialmacht muss das für sich tun und ihre eigenen Standards setzen. Aber eines muss klar sein: Kolonialismus darf heute nicht verklärt werden, sondern er muss als das benannt werden, was er war: Fremdherrschaft, rassistische Ideologie und Gewalt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Aufarbeitung ist vielseitig. Sie trägt vor allen Dingen auch zum besseren Verständnis im Umgang mit der Kulturpolitik vielfältiger afrikanischer Staaten bei, aber sie ist auch eine Frage der Wertschätzung. Mit Kulturgütern verbinden die Menschen Erinnerung und Identität. Wir haben ihnen in den Jahren der Kolonialherrschaft die Identität zu sehr geraubt und müssen sie jetzt zurückgeben, weil es unsere Pflicht ist, Unrecht auch in diesem Bereich wiedergutzumachen. Deswegen hat der Antrag richtige und gute Ansätze.
Die Rückgabe von Kulturgut, meine Damen und Herren, ist ein grundsätzlich richtiger Ansatz. Aber wir müssen untersuchen, was denn das Schicksal jedes einzelnen Kulturguts war. Manche sind geraubt worden, manche sind verschenkt worden, manche auch gekauft worden. Aber was bedeutet denn verschenken oder verkaufen in einer strukturell ungleichen Gesellschaft des Jahres 1900 beispielsweise? Über diese Maßstäbe müssen wir reden. Waren die Kaufbedingungen denn fair? Welche moralischen Grundlagen lagen denn der Vertragsbeziehung zugrunde? Deswegen brauchen wir eine klare und deutliche Einzelfallprüfung. Deswegen ist es gut und richtig, dass die Provenienzforschung mehr Mittel bekommt. Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt. Erst wenn wir uns den Sachverhalt richtig vor Augen führen, können wir für die einzelnen Kulturgüter im Zusammenspiel von Bund und Ländern die richtige Lösung finden.
Aber es geht auch darum, dass wir den rechtlichen Rahmen weiterentwickeln. Das Kulturgutschutzgesetz sieht nur eine Rückgabepflicht für alle Kulturgüter vor, die nach 2007 in unser Land gebracht worden sind. Alle Güter, die sich in unseren Museen befinden, sind qua rechtlicher Definition unser nationales Kulturgut. Aber das, was unsere Vorfahren geraubt haben, kann nicht allein unser nationales Kulturgut sein. Da müssen wir differenzieren, da müssen wir auch unsere Regeln fortentwickeln.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen auch internationale Lösungen, und zwar in der Gemeinsamkeit mit der Vielfalt der afrikanischen Staaten. Es geht darum, dass wir gemeinsame Ausstellungen entwickeln mit Kunst- und Kulturinteressierten in Yaoundé, in Ouagadougou und vielen anderen afrikanischen Städten. Es geht darum, dass die Kultur letzten Endes auch eine Brücke bildet, dass es selbstverständlich ist, dass in den nächsten Jahren Kulturgüter europäischer Herrschaft in afrikanischen Staaten ausgestellt werden, aber gleichzeitig auch afrikanische Kunst in Afrika und Europa ihren würdigen Rahmen findet. Ich glaube, das ist ein wichtiger und richtiger Ansatz.
Ja, wir müssen auch über den Erinnerungsort sprechen. Wir dürfen die Afrika-Konferenz von 1884 und 1885 hier in Berlin nicht vergessen. Zu dieser Zeit war sich Europa, waren sich die europäischen Mächte in vielerlei Dingen uneinig. Sie standen sich feindlich gesinnt gegenüber. Aber in einem waren sie sich plötzlich einig, nämlich in der Absicht, Afrika aufzuteilen. Daran müssen wir erinnern: dass in Berlin auch die Aufteilung des afrikanischen Kontinents ihren Anfang nahm. Daraus erwächst auch eine Verpflichtung. Wie wir dieses Erinnern organisieren, muss das Ergebnis eines langen Prozesses sein; das darf man nicht übers Knie brechen. Das muss gemeinsam mit afrikanischen Staaten, aber auch mit den ehemaligen europäischen Kolonialmächten organisiert werden.
(Beifall der Abg. Patricia Lips [CDU/CSU])
Mein letzter Punkt. Wir müssen auch über die Sprache sprechen. Ich will nicht, dass wir im politischen Umgang davon sprechen, dass wir eine Politik für Afrika machen. Sondern es geht um eine Politik mit Afrika auf Augenhöhe,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
weil wir eine gemeinsame Verpflichtung haben, weil es darum geht, dass wir die Menschen – gerade auch die junge Generation – mitnehmen, damit wir eine gemeinsame Perspektive auf der Welt haben, in Frieden und Sicherheit. Auch dazu kann die Kulturpolitik einen Beitrag leisten.
Herzlichen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7328988 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus |