13.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 85 / Zusatzpunkt 1

Christian Lange - Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform

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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die digitale und vernetzte Welt eröffnet Chancen, Chancen für Kreative, Unternehmen der Kulturwirtschaft und für Nutzer, Chancen, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die europäische Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt ist ein wichtiger und überfälliger Schritt, um diese Potenziale für alle Beteiligten weiter zu erschließen.

Wichtig ist: In der Richtlinie geht es nicht nur um die in der Öffentlichkeit heiß diskutierten Fragen der Verantwortlichkeit von Plattformen und das heute auf der Tagesordnung stehende Thema. Es geht gleichzeitig auch um bessere Vertragsbedingungen für Künstlerinnen und Künstler, um grenzüberschreitende Bildungsangebote, um die Beteiligung vor allem der deutschen Verlage an den Kopiervergütungen, um wissenschaftliche Analysen digitaler Datenbestände per Text- und Data-Mining und um die Zugänglichkeit von vergriffenen Werken.

Aber natürlich spielen auch Fragen der Meinungsfreiheit eine wichtige Rolle. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Bundesregierung, insbesondere mein Haus, nimmt den Schutz der Meinungsfreiheit in diesem Gesetzgebungsvorhaben sehr ernst. Wir haben uns über viele Monate intensiv in Brüssel dafür eingesetzt, das Spannungsverhältnis zwischen einem effektiven Schutz von Immaterialgüterrechten einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits möglichst grundrechtsschonend aufzulösen.

Die Bundesregierung hat den Gesamtkompromiss des Trilogs zur Urheberrechtsrichtlinie im Februar mitgetragen. Die nach wie vor in der Bundesregierung bestehenden großen Vorbehalte gegenüber Artikel 13 haben wir auch im Kreis der Mitgliedstaaten deutlich gemacht. Sollte die Richtlinie in der gegenwärtigen Form verabschiedet werden, werden wir bei der Umsetzung ins deutsche Recht besonders darauf zu achten haben, wie den berechtigten Bedenken im Hinblick auf diese Regelung Rechnung getragen werden kann.

Lassen Sie mich dies kurz erläutern. Artikel 13 in der Fassung des Trilog-Kompromisses vom 13. Februar 2019 sieht vor, dass bestimmte kommerziell tätige Uploadplattformen für urheberrechtlich geschützte Inhalte verantwortlich sind, wenn Uploader Inhalte dort hochhalten. Etliche Uploadplattformen sollen nach der gegenwärtigen Konstruktion hiervon allerdings ausdrücklich ausgenommen sein, zum Beispiel Wikipedia oder auch wissenschaftliche Open-Access-Datenbanken. Außerdem enthält die Richtlinie einen allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es uns bei der Umsetzung ins deutsche Recht ermöglicht, weitere spezifische Plattformen von den Pflichten der Vorschrift zu entbinden.

In der Praxis geht es also um kommerzielle Dienste wie YouTube oder Facebook. Weil diese Plattformen künftig also urheberrechtlich verantwortlich sein sollen, sollen sie Lizenzen für die zugänglich gemachten Inhalte erwerben, sofern solche Lizenzen verfügbar sind. Sind, aus welchen Gründen auch immer, keine Lizenzen abgeschlossen, soll sich die Plattform von der Haftung für nichtlizenzierte Uploads befreien können, wenn sie folgende Verpflichtungen erfüllt:

Sie soll dann zum einen bei einem illegalen Upload nach einem qualifizierten Hinweis den entsprechenden Inhalt unverzüglich vom Netz nehmen. Diese Take-­down-Verpflichtung ist nichts Neues, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Pflicht besteht nach der E-Commerce-­Richtlinie seit 20 Jahren, also seit der Steinzeit des Internets.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Europarechtlich neu wäre bei Verabschiedung der Richtlinie die Stay-down-Verpflichtung: Wenn die Rechteinhaber der Plattform valide Informationen über geschützte Inhalte zur Verfügung stellen und verlangen, dass diese auf der Plattform nicht erscheinen sollen, wäre dies zukünftig zu gewährleisten, soweit technisch und wirtschaftlich zumutbar.

Für Deutschland ist im Übrigen auch eine solche Regelung nichts Neues; denn nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sind aufgrund der sogenannten Störerhaftung jedenfalls große Plattformen wie YouTube schon nach geltender deutscher Rechtslage verpflichtet, das Stay-down geschützter Inhalte nach einer bekanntgewordenen Rechtsverletzung zu garantieren, natürlich immer unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Der gegenwärtige Richtlinientext sieht darüber hinaus vor, dass Start-up-Unternehmen in den ersten drei Jahren am Markt von der Stay-down-Verpflichtung ausgenommen sind, solange sie nicht mehr als 5 Millionen Nutzer pro Monat haben und der jährliche Umsatz nicht 10 Millionen Euro übersteigt. Dies haben wir in schwierigen Verhandlungen durchgesetzt. Wir hätten uns hier in der Tat eine großzügigere Ausnahme gewünscht. Mehr war aber, insbesondere mit unseren französischen Partnern, letztlich in Brüssel nicht zu erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zielrichtung des Artikels 13 ist vorrangig eine Stärkung der Urheberrechte in der digitalen und vernetzten Welt. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union, auf die es in erster Linie ankommt, weil wir über europäisches Recht reden, sagt in Artikel 17 Absatz 2 kurz und knapp:

Geistiges Eigentum wird geschützt.

Dieser Schutz ist geboten; denn sowohl nach internationalem, nach europäischem wie auch nach deutschem Urheberrecht ist dem Rechtsinhaber das Onlinerecht vorbehalten, also die ausschließliche Entscheidung darüber, ob seine Inhalte in digitaler Form im Netz einem weltweiten Publikum zugänglich sein sollen. Und eben dazu dient eine Stay-down-Verpflichtung, die verhindern soll, dass der Rechtsinhaber einem Hase-und-lgel-Spiel ausgesetzt ist. Sie soll verhindern, dass nach einem Hinweis derselbe, gerade im Take-down-Verfahren entfernte Inhalt sofort erneut auf der Plattform auftaucht.

Die Meinungsfreiheit nun ist unionsrechtlich in Artikel 11 der Grundrechtecharta geregelt. Dort heißt es in Absatz 1 Satz 1:

Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Ist aber, frage ich Sie, der unlizenzierte Eins-zu-eins-Upload einer MP3-Musikdatei oder eines Fernsehmitschnitts im MP4-Format mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt auf eine Plattform ein gerechtfertigter Akt der Meinungsfreiheit? Nein, zweifelsfrei nicht; denn, wie gesagt: Es ist zwar gesetzlich erlaubt, eine private Kopie eines geschützten Werkes anzufertigen, nicht erlaubt ist es aber, diese Kopie weltweit im Internet zugänglich zu machen.

Besondere Bedeutung gewinnt die Meinungsfreiheit dann, wenn ein Uploader zulässigerweise urheberrechtlich geschütztes Material verwendet, zum Beispiel, um zu zitieren, um zu parodieren oder um sich kreativ mit einem bestehenden Werk auseinanderzusetzen. Die damit verbundenen Herausforderungen im Kontext der Stay-down-Verpflichtung waren im Vorschlag der Europäischen Kommission vom September 2016 nur höchst unzureichend ausgestaltet. Auch das erste Verhandlungsmandat des Rates im Mai 2018 hat uns insoweit nicht überzeugt, weshalb Deutschland diesem Mandat damals nicht zugestimmt hat.

Wir konnten aber seitdem deutliche Verbesserungen erreichen. Im Entwurf des Artikels 13 ist nun ausdrücklich eine gesetzliche Erlaubnis für User-generated Con­tent enthalten – übrigens auf Vorschlag der Bundesregierung. Das ist ein Erfolg; denn damit sind Uploader als wichtige Akteure und Prosumer der Plattformökonomie im EU-Urheberrecht erstmals ausdrücklich anerkannt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Zudem ist klargestellt, dass der Stay-down-Mechanismus nicht zum Blockieren lizenzierter Inhalte oder gesetzlich erlaubter Nutzungen wie etwa für Zitate oder Parodien führen darf. Auf diesen Aspekt werden wir bei der Umsetzung ins deutsche Recht besonders achten. Ohnehin sieht die Richtlinie vor, dass hierbei hohe Sorgfaltsstandards einzuhalten sind.

Die Plattformen müssen außerdem einen neutralen Beschwerdemechanismus zur Verfügung stellen. Der Rechtsweg zu den Gerichten bleibt darüber hinaus vorbehalten.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na toll! Ein paar Jahre!)

Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss nicht verhehlen, dass wir uns an der einen oder anderen Stelle auch noch andere, netzaffinere Regelungen hätten vorstellen können. Dennoch: Richtig bleibt nach wie vor das Argument der Kritiker, dass große, marktmächtige Plattformen die neuen Pflichten besser erfüllen können werden als Nischenanbieter oder innovative Plattformkonzepte. Gerade diese Anbieter tragen aber zur Meinungsvielfalt im Netz bei. Das spräche für eine deutlich großzügigere Ausnahmeregelung für kleinere und mittlere Unternehmen, auch im Interesse der Entwicklung des europäischen digitalen Binnenmarktes. Freilich: Ein besserer Kompromiss als der zuvor geschilderte war in Brüssel nicht zu erhalten. Die Bundesregierung hatte vor drei Wochen also nur die Wahl, entweder den Kompromiss zu akzeptieren oder ein Scheitern der gesamten Richtlinie zu riskieren. Das wollten wir nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank, Christian Lange. – Nächster Redner: Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7334500
Wahlperiode 19
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform
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