13.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 85 / Zusatzpunkt 1

Anke Domscheit-BergDIE LINKE - Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten uns viel versprochen von der europäischen Urheberrechtsreform, zum Beispiel rechtssichere Ausnahmen vom Urheberrecht für Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kulturerbe, mehr Einnahmen für Urheber und faire Chancen auch für kleine Unternehmen. Leider bekamen wir stattdessen ein rechtliches Monstrum, das Geschäftsmodelle aus dem Zeitalter der Druckerpresse künstlich am Leben erhält und dafür Kunst und Satire, Meinungsfreiheit und Jugendkultur, ja selbst die Zukunftschancen kleiner und kreativer Unternehmen opfert.

5 Millionen Petitionsunterschriften ignoriert, unbequeme Gutachten der Kommission unter dem Tisch gehalten, Tausende Gegner als computergesteuerte Bots diskreditiert – diejenigen, die diese Urheberrechtsreform verbrochen haben, werden sich noch wünschen, dass das alles Bots waren und nicht Wählerinnen und Wähler, die zur EU-Wahl gehen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf die Europaabgeordneten der Linken ist jedenfalls Verlass. Sie stimmten geschlossen gegen diese Reform – aber leider nur sie; denn am 12. September 2018 hoben im EU-Parlament 100 Prozent der CDU/CSU-Abgeordneten, zwei Drittel aller Sozialdemokraten,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? So viele?)

mehr als die Hälfte der Grünenabgeordneten und auch ein Drittel der Liberalen ihre Hand für diese unsägliche Reform.

Uns Gegnerinnen und Gegner beleidigte man als inkompetent und urheberfeindlich. Ich bin aber selbst eine der vielen Urheberinnen, habe Bücher, Artikel und über 100 Kolumnen veröffentlicht. Ich weiß ganz genau, dass Artikel 12 der Urheberrechtsreform den Autoren nicht mehr, sondern bis zu 50 Prozent weniger Einnahmen über die VG WORT beschert.

Inkompetent sind wohl auch kaum die Unterzeichne­rinnen und Unterzeichner eines offenen Briefes, die davor warnen, dass Artikel 13 aus dem Internet ein Werkzeug automatisierter Überwachung seiner Nutzer macht,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Start-ups und kleine Unternehmen benachteiligt und gegen europäische Grundrechte verstößt. Zu ihnen gehören Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, Jimmy Wales, der Gründer der Wikipedia, Mitchell ­Baker, Vorständin von Mozilla, aber auch Forscher aus Berkeley und Harvard sowie weitere Internetpioniere.

Schreiende Inkompetenz findet sich auf der ganz anderen Seite der Debatte. So leugnet der CDU-Europaabgeordnete Voss, dass die Urheberrechtsreform automatische Filtersysteme, sogenannte Uploadfilter, vorsieht, weil der Begriff in dem Papier fehlt. Aber allein während dieser Rede werden mehr als 2 000 Stunden YouTube-Videos hochgeladen. Hätte Voss den allerkleinsten Schimmer von Technologiekompetenz,

(Lachen des Abg. Manuel Höferlin [FDP])

würde er wissen, dass eine sofortige Erkennung und Sperrung urheberrechtlich geschützter Inhalte bei so großen Datenmengen ohne Uploadfilter unmöglich ist.

Nachdem sie mit ihrer Zustimmung den Koalitionsvertrag brach, gab selbst Justizministerin Barley zu, dass es Uploadfilter braucht, die jeden einzelnen Inhalt beim Hochladen durchleuchten.

Aber diese Filter irren häufig. So machte sich die GEMA zum Gespött auf Twitter, als sie schrieb, dass künstliche Intelligenz Gesichter erkennen und einparken könne und es deshalb ein Leichtes sei, zwischen Parodie und Original zu entscheiden. Mich schockt diese Ahnungslosigkeit; denn als Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ beschäftige ich mich häufig mit den hohen Fehlerraten, gerade bei Gesichtserkennung durch KI. Diese Uploadfilter entdecken selbst bei Videos mit weißem Rauschen Urheberrechtsverletzungen, verwechseln Vogelstimmen aus dem Wald mit geschützten Melodien und sperren Livestreams von Demonstrationen, nur weil irgendwo im Hintergrund mal kurz ein geschütztes Lied ertönte.

Von 10 000 Inhalten soll übrigens nach Angaben der Urheberrechtslobby nur ein einziger das Urheberrecht verletzen. Das sind lächerliche 0,01 Prozent. Die Fehlerrate ihrer Uploadfilter geben Hersteller mit – offensichtlich auch noch geschönten – 1 Prozent an. Aus diesen Zahlen kann man aber das Verhältnis von zu Recht und zu Unrecht gesperrten Inhalten errechnen: Auf 100 zu Recht gesperrte Inhalte kommen 10 000 zu Unrecht gesperrte Inhalte. Das sind jährlich etwa 30 Millionen unrechtmäßig gesperrte Inhalte. Diese Dimensionen, diese eklatante Verletzung der Verhältnismäßigkeit meinen wir, wenn wir von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit und von eingeschränkter digitaler Teilhabe reden.

Wer ein solches Internet nicht will, der sollte dagegen protestieren, unter anderem bei den Massendemos am 23. März.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch können wir diesen Angriff auf unsere Grundrechte und Kultur verhindern; denn wir sind viele. Wir wissen, wovon wir reden, und wir sind keine Bots.

(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Heil [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr Achtung vor den Kollegen wäre auch okay!)

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben. § 219a muss weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Anke Domscheit-Berg. – Nächster Redner in der Debatte: Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7334514
Wahlperiode 19
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta