Karsten MöringCDU/CSU - Atomausstieg
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kotting-Uhl, ich verstehe und ich teile Ihre emotionale Form der Ansprache, was die Folgen des Tschernobyl-Unglücks angeht.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vollkommen sachlich! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht emotional, das war sachlich!)
Aber bei der Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen, ist mindestens ebenso sehr rationale Überlegung dahin gehend gefragt, was wir tun müssen, um bestimmte Dinge zu erreichen.
(Karsten Hilse [AfD]: Fangen Sie bitte damit an!)
Wir haben den Atomausstieg beschlossen, indem wir gesagt haben: Wir wollen die Kernkraftwerke abschalten und keine Elektrizität mehr über Atomenergie erzeugen. – Wir haben nicht beschlossen, dass wir die radioaktive Materialprüfung beenden, dass wir die Nuklearmedizin beenden. Das heißt, es gibt genügend Bereiche, in denen wir mit Radioaktivität und Kerntechnik umgehen, die nicht mit der Stromerzeugung zu tun haben. Wenn Sie postulieren, wir sollten vollständig aus der Kerntechnik aussteigen, dann unterstelle ich mal: Diese Bereiche meinen Sie nicht, sondern Sie konzentrieren sich auf Themen wie Urananreicherung und Brennelementefertigung. Damit begeben Sie sich aber auf ein Feld, das mit der Frage der Konsequenzen aus Fukushima nicht unbedingt etwas zu tun hat.
Gestern haben wir uns im Ausschuss intensiv mit den Behörden und den Einrichtungen befasst, die in Deutschland für die Endlagerung zuständig sind: mit dem BfE, mit der BGE und mit dem Nationalen Begleitgremium. Wir haben uns mit den Problemen, die wir dort haben und die wir noch lösen müssen, befasst. Das ist die Aufgabe, die wir wahrnehmen müssen und auch wahrnehmen. Wir brauchen ein Geologiedatengesetz, um dieses Thema möglichst zu pushen. Das sollten wir auf jeden Fall in der näheren Zukunft beschließen. Ich würde die Regierung bitten, da schneller voranzukommen, damit wir die Daten bereitstellen können, die für die Standortsuche notwendig sind.
Sie haben das Thema Exportverbote wieder auf die Tagesordnung gesetzt, wie Sie das jedes Jahr tun. Inzwischen wissen wir, dass das ein ausgesprochen schwieriges Thema ist. Ich verstehe das, und wir haben im Koalitionsvertrag auch extra stehen, dass wir prüfen wollen, ob oder wie das geht. Der Antrag von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, der am Freitag im Bundesrat noch einmal behandelt wird, hat dasselbe zum Ziel.
Das ist auch in Ordnung; denn ich teile die Meinung, dass wir in der Tat alles tun müssen, um unsere Nachbarn zu bewegen, das Maximale für die Sicherheit zu tun, die Laufzeit nicht zu verlängern, Sicherheitsstandards zu erhöhen und einzuhalten. Wir können sie aber nicht zwingen, das zu tun, was wir gerne hätten, nämlich möglichst morgen abzuschalten oder deutsche Standards zu übernehmen. Sie haben ihre eigenen Standards, und sie haben auch das Recht dazu.
Ich kann ebenfalls verstehen, dass unsere Bevölkerung im grenznahen Raum beunruhigt ist. Ich finde es in Ordnung, wenn Ministerpräsident Laschet sich immer wieder dafür einsetzt – in Baden-Württemberg geschieht ja Ähnliches –, dass unsere Nachbarn auf unsere Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Aber wenn wir hingehen und sagen: „Wir wollen weltweit dafür sorgen: Der Atomausstieg soll überall umgesetzt werden“, dann ist das aus meiner Sicht eine Hybris, die uns gar nicht zusteht.
(Beifall des Abg. Jörn König [AfD])
Wir können uns dafür einsetzen, wir können es aber nicht fordern. Und wir können vor allen Dingen nicht mit der moralischen Position: „Wir können es besser, ihr müsst es nachmachen“ kommen. „ Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ ist ein Spruch, der für die Atompolitik nicht geeignet ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Frage ist: Was ist geeignet? Geeignet – ich habe es im letzten Jahr hier an derselben Stelle bereits gesagt – sind ein Vorbild, das gelingt, eine Energiewende, die gelingt, erneuerbare Stromerzeugung, die fossile Energieträger und Atomenergie ersetzen kann, Netze, die diesen Strom zum Kunden bringen, CO 2 -Minderung auch ohne Atomenergie. Wenn wir diese Punkte erreichen und das auch noch bezahlen und sozialverträglich umsetzen können, dann ist das ein Modell, das für andere Länder interessant ist.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bezahlen können!)
Aber es geht nicht darum, zu sagen: „Jetzt machen wir die Brennelementefertigung dicht, weil wir damit Atomkraftwerke am Laufen halten, die zu alt sind“, wie Herr Trittin das gerade in einer Pressemitteilung getan hat.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er völlig recht!)
Sie können jederzeit – wo Sie wollen – Brennelemente kaufen. Wenn wir nicht liefern, hat es null Auswirkungen auf den Betrieb von Kernkraftwerken in anderen Ländern.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen liefern wir auch Waffen!)
Wenn das so ist, wo ist dann unser ureigenes Interesse? Wenn wir keinen Einfluss darauf haben, dass diese Kraftwerke abgeschaltet werden, muss unser ureigenes Interesse doch sein, dass die, die gebaut werden und die in Betrieb sind, mit den höchsten Sicherheitsstandards laufen können.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn wir in Deutschland schon eine Industrie haben, die dazu beitragen kann – sowohl was Sicherheitskonzepte als auch qualitativ hochwertige Brennelemente angeht –, dann sollten wir das tun und das nicht anderen Ländern überlassen; denn nur so können wir uns Einfluss sichern und erhalten.
Das gilt auch für die Kompetenz, die wir im Bereich der Urananreicherung, der Zentrifugentechnik und Ähnlichem haben. Unser internationaler Einfluss beruht auf dieser Kompetenz. Die können wir nicht nur durch Forschung und Ausbildung erhalten, sondern es bedarf auch der Anwendung. Dazu gehört, um das mal ganz offen zu sagen, auch die Möglichkeit, dass unser Wirtschaftsministerium oder unser Finanzministerium dem Export solcher Sicherheitstechnologie mit Hermesbürgschaften zur Seite steht und ihn nicht behindert. Das möchte ich mal ausdrücklich sagen.
(Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD])
Uns ist nicht geholfen, wenn wir diese Einrichtungen schließen. Weder die Arbeitsplätze, die wegfallen, noch der verminderte Einfluss, den wir dadurch haben, ist gut für uns, sondern es geht darum, unsere technologischen Möglichkeiten in möglichst großem Umfang anzuwenden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Möring, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Krischer?
Bitte sehr, Herr Krischer.
Herr Krischer, bitte.
Herr Möring, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie argumentieren, Sie sagen, es sei belanglos, ob die Brennelemente, die beispielsweise in dem belgischen Rissreaktor Tihange 2 benutzt werden, aus Deutschland kommen oder nicht.
(Karsten Hilse [AfD]: Nein, ganz genau das Gegenteil!)
Haben Sie schon mal Gespräche in Belgien geführt? Dort hören Sie das Argument: Ihre Kritik aus Deutschland an unseren Atomkraftwerken kann ja nicht so ganz ernst gemeint sein, wenn Sie als Deutsche gleichzeitig weiterhin die Brennelemente dafür liefern.
(Judith Skudelny [FDP]: Wir liefern nicht nach Tihange und Doel!)
Haben Sie Verständnis dafür, dass genau das, dass wir die Brennelemente liefern und damit Geld verdienen, im Ausland als bigotte Haltung wahrgenommen wird, die den deutschen Atomausstieg unterläuft, und dass der Eindruck entsteht, dass am Ende nicht ernst gemeint ist, dass wir weltweit aus der Atomkraft aussteigen wollen? Haben Sie Verständnis für diese Haltung, und sind Sie bereit, das zu ändern und ernst zu nehmen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Krischer, ich verstehe die Menschen, die so denken. Aber ich weiß auch, dass es genügend andere gibt, die sehr daran interessiert sind, möglichst hochwertige Ware zu bekommen. Wenn die Art und Weise, wie die Atomkraftwerke gebaut, kontrolliert und betrieben werden, in Belgien von der belgischen Regierung und der belgischen Bevölkerung mehrheitlich so akzeptiert wird, dann ist das von mir zu respektieren. Ich kann gerne mit jemandem darüber diskutieren. Aber auch dann wird es einem belgischen Kritiker nicht helfen, wenn wir die Brennelemente nicht mehr produzieren und sie stattdessen von Framatome in Frankreich, in Rumänien oder in Russland produziert und dann von dort importiert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen – und das kann ich jetzt gleich anschließen – bin ich der Auffassung, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in dieser Frage nichts davon haben, wenn wir eine symbolorientierte – man kann auch sagen: populistische – Politik betreiben. Vielmehr müssen wir eine realistische Politik betreiben.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt unter Ihrer Würde, Herr Möring!)
Wir müssen das maximal Mögliche, das wir beeinflussen können, auch tatsächlich beeinflussen, und wir müssen die technologischen Möglichkeiten, die wir haben, nutzen, um ein hohes Maß an Sicherheit zu generieren.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja Unsicherheit! – Weiterer Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist unsere Aufgabe. Neben dem Gelingen der Energiewende sind das die wesentlichen Elemente für eine gute Atompolitik in Deutschland, Europa und weltweit.
Sie haben das Problem, liebe Grünen, dass Sie sich einerseits über den Atomausstieg bzw. die Beendigung der Stromproduktion aus Kernenergie freuen können, dass Ihnen andererseits damit ein Thema fehlt, das Sie jetzt auf diese Weise zu perpetuieren versuchen.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind schon längst weiter! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haben Sie das nötig?)
Dabei wissen Sie ganz genau, dass wir das Problem im Kern schon längst gelöst haben und uns mit der Endlagerungsproblematik befassen müssen.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie deshalb auch so schlechte Umfragewerte!)
Die Endlagerungsproblematik hat aber nichts damit zu tun, dass wir aus der Kernenergie ausgestiegen sind. Vielleicht mal an die Adresse der Kollegen in der AfD gerichtet: Das hat nichts mit unserem Ausstieg aus der Kernenergie zu tun, sondern das hat mit dem Einstieg in die Kernenergie zu tun. Deswegen müssen wir das jetzt reparieren, und darauf sollten wir uns konzentrieren, um damit Erfolg zu haben, und da sind alle eingeladen, daran mitzuwirken.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie großzügig!)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Karsten Hilse für die AfD.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7334993 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 86 |
Tagesordnungspunkt | Atomausstieg |