Marie-Luise DöttCDU/CSU - Atomausstieg
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Katastrophe von Fukushima war ein Einschnitt – ein Einschnitt für Japan, Deutschland, Europa und die ganze Welt. Damals passierte in einem technologisch hochentwickelten Land etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde. Deutschland hat daraus seine Lehren gezogen. Die Restrisiken, die mit der Kernenergienutzung verbunden sind, wurden neu bewertet. Der Ausstieg mit Augenmaß aus der Kernenergie wurde eingeleitet und wird 2022 abgeschlossen sein. Die Energieerzeugung aus Kernkraft wird in Deutschland also bald der Vergangenheit angehören. Das ist erst einmal Fakt.
Meine Damen und Herren, wir dürfen die Augen aber auch nicht vor den Realitäten verschließen. Wir sollten uns ehrlich machen. Andere Länder, auch in Europa, setzen weiterhin auf Kernenergie. Es ist sehr schwierig, von Deutschland aus die Sicherheit grenznaher Reaktoren in Frankreich, Belgien, Tschechien und der Schweiz zu beurteilen. Der Grund ist, dass allein den nationalen Aufsichtsbehörden die vollständigen Informationen über die Verhältnisse vor Ort vorliegen. Dass Menschen zum Beispiel in der Region Aachen in großer Sorge sind, kann ich sehr gut verstehen und auch nachvollziehen. Diese Sorgen und Ängste aber zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren und zu befeuern, halte ich für inakzeptabel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das haben Sie schon mal gemacht!)
Richtig ist, dass die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern intensiviert worden ist, so zum Beispiel im Rahmen der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission, die sich zuletzt intensiv mit den Vorkommnissen in den Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 beschäftigt hat. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums wurde die Reaktor-Sicherheitskommission beauftragt, zu prüfen, ob die Sicherheitsnachweise für die Reaktordruckbehälter der Atomkraftwerke Doel 3 und Tihange 2 plausibel geführt worden sind. Und die Reaktor-Sicherheitskommission hat dies bestätigt. Auch wenn das manchem hier in diesem Hohen Hause nicht in den Kram passt: Die Einschätzung dieser Fachleute gehört zur Meinungsbildung.
Die Unionsfraktion unterstützt die Vorgehensweise der Bundesregierung, den bilateralen Gesprächsfaden mit unseren europäischen Nachbarn nicht abreißen zu lassen. Es ist wichtig und richtig, dass Deutschland immer und immer wieder auf umfassende Sicherheitsüberprüfungen hinwirkt, auf ambitionierte, verbindliche Sicherheitsziele in der EU und auf ein System wechselseitiger Kontrolle.
Wir dürfen aber nicht vergessen: Das Abschalten von kritischen Reaktoren ist originäre Aufgabe der jeweiligen Länder. Hier kann Deutschland zwar werben und appellieren, aber keinen direkten Einfluss nehmen. Was kann Deutschland also neben dem Werben und Appellieren noch unternehmen? Einfach – wie Sie das von den Grünen und Linken in Ihren Anträgen und im vorgelegten Gesetzentwurf fordern – deutsche Anlagen zur Brennelementefertigung und zur Urananreicherung stilllegen? Ich sage es ganz deutlich: Das ist sicherlich keine Lösung. Damit holen Sie zu einem Kahlschlag aus, der sehr weitreichende und vor allem negative Folgen haben würde. Diese Folgen wurden in der öffentlichen Anhörung im Umweltausschuss im Oktober des letzten Jahres offensichtlich.
Erstens würde das zu einem massiven Vertrauensverlust für Deutschland führen.
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Welche Konsequenzen? – Zuruf des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])
Ein Ausstieg aus der fast 50‑jährigen Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Großbritannien sowie die einseitige Beendigung völkerrechtlicher Vereinbarungen würden das Vertrauen in Deutschland zerstören.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch alle verkaufen!)
Auch die langfristig eingegangenen Lieferverträge der Unternehmen dürfen nicht vergessen werden.
(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wer hier aus politischen Gründen eingreift, zahlt Entschädigungen, und die kosten das Geld der Steuerzahler. Klar ist ebenso: Material, das nicht in Deutschland produziert wird, wird garantiert in anderen Ländern von anderen Anbietern hergestellt, womöglich sogar in Ländern, wo die Standards in puncto Sicherheit nicht so ausgeprägt sind wie bei uns.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Was ist also der Mehrwert?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, bitte jetzt nicht.
Zweitens würde eine Stilllegung der Anlagen zu einem Verlust des Know-hows führen. Das Abschalten der Anlagen in Gronau und Lingen würde uns des letzten Restes an Kompetenz im Bereich Kernkraft berauben.
(Beifall der Abg. Sylvia Pantel [CDU/CSU] sowie Karlheinz Busen [FDP])
So richtig der Ausstieg Deutschlands aus der Erzeugung von Kernenergie auch ist, so falsch wäre es, das gesamte bei uns vorhandene Know-how aufs Spiel zu setzen. Das gilt insbesondere für die Zentrifugentechnologie. Wenn wir Gronau und Lingen ein Stoppschild vor die Tür stellen, würde genau das passieren.
(Beifall des Abg. Karlheinz Busen [FDP])
Um den in Jahrzehnten in Deutschland aufgebauten sicherheitstechnischen Sachverstand auf höchstem Niveau zu halten, ist aus unserer Sicht zweierlei notwendig: zum einen die Forschung und Lehre in Deutschland zu erhalten, zum anderen die Entsendung deutscher Experten zu Anlagen im Ausland.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)
Dadurch erhält Deutschland einen Erfahrungsrückfluss. Des Weiteren ist die Beschäftigung mit Neubauprojekten im Ausland unerlässlich, um durch die Befassung mit neuen Anlagenkonzepten die Weiterentwicklung der Technik verfolgen zu können. Wie soll Deutschland beispielsweise neue Reaktortypen bewerten, wenn unsere Fachleute nicht die notwendigen Kenntnisse darüber haben? Das gilt auch für den in Belgien geplanten Reaktor zur Transmutation. Genau aus diesem Grund haben wir dazu eine Passage in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, ein Konzept zum perspektivischen Erhalt von Fachwissen und Personal für Betrieb, Rückbau und zu Sicherheitsfragen bei Nuklearanlagen sowie für Zwischen- und Endlagerung zu erarbeiten. Wir sind gespannt, wie das Konzept aussehen wird.
Drittens dürfen wir die Träger des Fachwissens, also die motivierten und hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht vergessen. Sie sind Wissensträger, sie sind Verantwortungsträger, und sie können die ständig von den Linken und Grünen entfachten Diskussionen über die Zukunft ihrer Jobs nicht mehr hören. Sie sind es leid.
(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP)
Fragen Sie doch einmal den Betriebsrat am Urenco-Standort in Deutschland.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht!)
Sie werden eindeutige und klare Antworten bekommen, was die Menschen von Ihren Vorschlägen halten.
Viertens und zuletzt ist durch die Schließung der Anlagen die internationale Mitbestimmung Deutschlands in Sicherheitsfragen in Gefahr.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hier geht es insbesondere um die Mitwirkung in der Internationalen Atomenergie-Organisation. Die internationalen Sicherheitsstandards werden hier festgelegt. Wer hier nicht mitspricht oder mitsprechen kann, lässt Chancen liegen. Friedrich Däuble, ein ehemaliger Ständiger Vertreter Deutschlands in der Internationalen Atomenergie-Organisation, IAEO, und den Vereinten Nationen, hat das bei der öffentlichen Anhörung sehr deutlich gesagt.
Also, wir lehnen die Anträge und den Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Zuruf von der FDP: Sehr gut!)
Vielen Dank. – Der Kollege Krischer erhält die Gelegenheit für eine Kurzintervention.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7335005 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 86 |
Tagesordnungspunkt | Atomausstieg |