15.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 87 / Tagesordnungspunkt 23

Christian Hirte - Ost-Quote in Bundesbehörden

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zwei Anträge, die wir hier beraten, beschreiben Zustände und Defizite, die wir auch nicht einfach ignorieren können. Denn: Ja, es gibt zu wenig Ostdeutsche in Führungsverantwortung in diesem Land. Und: Ja, es gibt auch zu wenig Bundesbehörden und Bundesbeschäftigte in den neuen Bundesländern. Beides gehört zusammen; denn es ist logisch, dass in den Behörden in der Regel Menschen aus den jeweiligen Heimatregionen arbeiten.

Die Linke fordert in ihrem Antrag die Einführung einer Ostquote in Bundesbehörden und stützt sich dabei – wir haben es gerade gehört – auf Artikel 36 des Grundgesetzes; das ist allerdings der falsche Weg. Der aus der Weimarer Zeit stammende Artikel will nämlich den fairen Einfluss der Länder auf die Bundesverwaltung sichern, und das leistet heute – Gott sei Dank – der Bundesrat. Das ist im Übrigen der wesentliche Unterschied zu Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz, der umso wichtiger ist, weil er dem Einzelnen einen individuellen Anspruch auf gleiche und faire Behandlung schafft, nämlich Zugang nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu den Beamtenstellen. Das ist auch gerichtlich durchsetzbar; das sollte der Maßstab sein und auch bleiben.

Meine Damen und Herren, stellen wir uns aber vor, es wäre so, wie Sie fordern: Die Rechtslage gäbe eine Bevorzugung aufgrund der Landsmannschaft her. Wie sähe die praktische Handhabung aus?

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Matthias Höhn?

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Das kann ja gut werden! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ich will noch was lernen! – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Oh!)

Gerne.

Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Hirte, zunächst einmal fordern wir nichts Neues, sondern wir fordern die Einhaltung des Grundgesetzes. Ich weiß gar nicht, warum das hier im Saal so strittig ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber da Sie darauf abgehoben haben, dass wir offensichtlich den falschen Weg wählen würden, und wir jetzt noch einmal darüber geredet haben, dass wir uns über „Eignung“ und „Befähigung“ dem Thema nähern, würde ich Sie gerne fragen.

Der Kollege Gysi hat eben die aktuellen Zahlen zu den Abteilungsleitern der Bundesregierung angesprochen: 120 Abteilungsleiter, drei ostdeutsche. Meinen Sie, das ist das Ergebnis von Befähigung und Eignung? Und heißt das, dass Sie als Ostbeauftragter den Ostdeutschen sagen: „Tut uns leid, aber bei der Befähigung fallt ihr leider hinten runter“? Ist das Ihre Meinung?

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Höhn, es hat ja Gründe, warum Ostdeutsche in Führungsverantwortung von Bundesbehörden niedriger vertreten sind.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Welche?)

Das sind nicht die fachlichen Gründe, sondern das liegt vor allem daran, dass es in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung den breiten Willen der Bevölkerung und auch der Politik gab, einen Elitenwechsel herbeizuführen,

(Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: 30 Jahre! 30 Jahre! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das wird ja immer schlimmer!)

vor allem in Verwaltung und Justiz. Wenn Sie sich mit den Zahlen genauer beschäftigen, werden Sie feststellen, dass in den nächsten gut zehn Jahren

(Zuruf von der LINKEN: Dann sind es 45 Jahre!)

etwa 60 Prozent aller Richter und Staatsanwälte im Osten – das Gleiche gilt für die Verwaltung – ersetzt werden müssen. Genau dort besteht doch in den nächsten Jahren die Möglichkeit für die Verantwortlichen in ihrer jeweiligen Region, sich dieser Thematik zu stellen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann ist Ihr Job aber überflüssig! Wenn das so lange dauert!)

Deswegen konzediere ich: Ja, wir brauchen eine Sensibilität, wenn es künftig darum geht, Mitarbeiter in den jeweiligen Regionen auch aus den Regionen heraus anzustellen. Auch bei den Beförderungen ist darauf zu achten.

(Zuruf von der LINKEN: Sind Sie ein Anti-Ost-Beauftragter?)

Schauen wir einmal nach Thüringen, wo der Ministerpräsident ein Parteigenosse von Ihnen ist. Es ist so, dass dort 8 von 13 Staatssekretären aus den alten Ländern kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie zunächst einmal dort die Hausaufgaben machen würden, wo Sie selbst regieren, wäre schon viel gelöst.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es war Ihre Partei! Sie haben die ganze Verwaltung aus dem Westen geholt!)

Ich will noch eines sagen: Wenn darüber gesprochen wird, dass hier Symbolpolitik betrieben werden soll – etwa 30 Jahre nach der friedlichen Revolution und der deutschen Einheit –, dann will ich sagen: Es wäre doch sinnvoll, nicht Unterschiede auch in Gesetzlichkeiten zu zementieren, sondern im Gegenteil diese zu überwinden.

(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Machen Sie ja nicht!)

Stellen wir uns einmal vor, was Sie sagen, ginge. Dann wäre es ja so, dass man fordern müsste, dass etwa in unserer deutschen Fußballnationalmannschaft eine Ostquote herrschen müsste. Ich glaube nicht, dass das irgendwie sinnvoll wäre. Und wenn sich dann noch andere Gruppen finden würden, die sich selbst in besonderer Weise abgrenzen, dann müsste man auch für diese wieder nach einer Quote suchen und möglicherweise diese mit gesetzlichen Zugriffsmöglichkeiten verankern.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist sogar Ihrer eigenen Fraktion peinlich, was Sie sagen!)

Also, wenn wir überhaupt darüber reden: „Braucht es eine Ostdeutschenquote?“, dann muss man darüber reden: Was heißt denn überhaupt „ostdeutsch“? Nach einem Definitionsversuch der Uni Leipzig, auf den sich die Linken in Mecklenburg-Vorpommern bezogen haben, soll Ostdeutscher sein, wer vor dem 31.12.1975 auf dem Gebiet der DDR geboren ist und dort bis 1989 gelebt hat, jedenfalls die überwiegende Zeit. Das trifft auf relativ viele nicht zu – wenn ich etwa an unsere Kanzlerin denke, wenn ich an Wolf Biermann denke –, und es trifft im Übrigen auch nicht auf den aktuellen Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer zu. Das zeigt schon, dass es schwierig ist, überhaupt eine solche Abgrenzung vorzunehmen.

Der Antrag wird auch dem Anliegen überhaupt nicht gerecht, weil wir darauf schauen müssen, was wirklich vor Ort den Menschen konkret hilft, im Übrigen nicht ein paar wenige Abteilungsleiterposten möglicherweise hier in Berlin – wo wir besser werden müssen; das gebe ich offen zu –, sondern wir müssen besser werden bei der Ansiedelung von Behörden, bei der Schaffung von Beschäftigtenverhältnissen von Bundesbeschäftigten in den neuen Bundesländern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist aus meiner Sicht natürlich auch wichtig, um gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen. Gesellschaftliche Akzeptanz besteht nur dann, wenn es den Eindruck gibt, dass Repräsentanz vernünftig funktioniert. Ich gebe zu, da kann man noch besser werden.

Bei allen Klagen sollte man, finde ich, aber nicht verhehlen, dass es mittlerweile, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, auch erhebliche Unterschiede gibt, auch innerhalb der neuen Bundesländer. Wir dürfen doch nicht so tun, als wenn es den Osten und die Ossis als homogene Masse gäbe! Es gibt erhebliche Unterschiede. Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne auf den früheren Bundespräsidenten Gauck verweisen, der kürzlich, zu einer Ossiquote gefragt, sagte: Geht’s noch?

Mindestens ebenso fraglich ist, ob und wie die einheitliche Ostidentität durch spezifische Ostanliegen charakterisiert wird. Sind nicht die neuen Bundesländer mittlerweile genauso heterogen, wie es auch die alten Bundesländer sind? Konsequent weitergedacht bräuchten wir dann also auch nicht nur eine Quote für den Osten, sondern sogar für einzelne Länder. Ich habe gerade schon den Altbundespräsidenten Gauck zitiert. Wir haben aktuell eine Kanzlerin, die ebenso wie der Altbundespräsident aus Mecklenburg-Vorpommern kommt. Da könnte ich als Thüringer sagen: Das ist alles ungerecht, da bräuchten wir jetzt auch eine Thüringerquote. – Also, ich glaube, eine Quote führt, wie mich Herr Gysi richtigerweise zitiert hat, ins Elend.

Herr Staatssekretär, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine weitere Frage oder Bemerkung der Kollegin Dr. Petra Sitte?

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Nicht schon wieder!)

Ja.

Ich mache aber gleich darauf aufmerksam: Das ist die letzte, die ich während Ihres Beitrages zulasse.

Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Seit 15 Jahren besteht unser Technologie- und Gründerzen­trum Halle mit seinem Förderkreis. Der Förderkreis hat diese 15 Jahre unlängst gefeiert. Da hat der ehemalige Ministerpräsident, seines Zeichens CDU ursprünglich, einen Vortrag gehalten. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, dass im Osten nur 29 Prozent aller Beschäftigten nach der Wende in ihrem Beruf bleiben konnten. Das heißt, für alle anderen hat sich das Leben grundsätzlich geändert. Das ist eine prägende Erfahrung.

Meinen Sie nicht, dass es angesichts der gegenwärtigen Diskussion schon der Erwähnung wert wäre, dass es ein Spezifikum des Ostens ist, so etwas erlebt zu haben, und dass Ostdeutsche sich in vielen politischen Entscheidungen gedemütigt gefühlt haben? In vielen Entscheidungen sind eben genau nicht in ostdeutschen Ländern die Schwerpunkte gesetzt worden. Ich wollte nur einmal darauf hinweisen – falls Ihnen als jüngerem Menschen das noch nicht so zu Ohren gekommen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: „Als jüngerer Mensch“!)

Frau Kollegin Sitte, man muss ein bisschen weiter zurückblicken, vielleicht bis vor 1990, und sich überlegen, warum wir diesen erheblichen Bruch in den Erwerbsbiografien und auch in der Wirtschaft in den neuen Bundesländern hatten. Das lag doch daran, dass wir eine völlig marode DDR-Kombinatswirtschaft hatten, die von Ihrer Vorgängerpartei, Frau Kollegin Sitte, der SED, zu verantworten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was nützt das den Leuten?)

Und jetzt kommen Sie, diejenigen, die früher die Hütte angezündet haben, und sagen: Die Feuerwehr ist zu langsam. – Also, das ist, glaube ich, der falsche Weg. Ich glaube, Frau Kollegin Sitte, Sie bewegen sich in der falschen Richtung.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie bewegen sich gar nicht! – Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bewegen sich überhaupt nicht!)

Ich habe es gerade schon einmal gesagt: Wir müssen doch dahin kommen, dass wir 30 Jahre nach der deutschen Einheit die tatsächlichen Probleme aufgreifen, dass wir uns darum kümmern, wo es besondere Benachteiligungen gibt. Aber wenn es um konkrete Dinge geht, dann muss man das auch bis zum Ende durchdeklinieren. Schauen Sie sich die konkrete Situation an: Was wäre, wenn Sie zum Beispiel in der Justiz das tatsächlich durchführen würden, sagen: „Ich vertrete spezifische ostdeutsche Interessen“?

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist keine Antwort für mich!)

Heißt das dann, dass ein ostdeutscher Richter im Streit zwischen einem Ostdeutschen und einem Westdeutschen sagen müsste: „Aufgrund meiner ostdeutschen Prägung habe ich jetzt natürlich eine besondere Präferenz für den Ostdeutschen“? Das kann doch nicht sein. Ein Richter muss natürlich nach Recht und Gesetz, unabhängig und frei entscheiden.

(Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum ging es nicht!)

Um noch einmal den Altbundespräsidenten Gauck zu zitieren: Geht’s noch?

Zur AfD. Wie so häufig bei der AfD, ist sie zu spät und auch ein kleines bisschen hinterher. Zur Faktenlage: Seit den Beschlüssen – die vorhin schon angesprochen wurden – von 1992 besteht in der Tat der Auftrag an uns in der Politik, Bundesbehörden und -einrichtungen fair und vor allem vorrangig in den neuen Bundesländern anzusiedeln.

Nachdem man eine große Verwaltungs- und Behördenreform Anfang der 90er-Jahre auf den Weg gebracht hatte, hat man genau diesen zweiten Passus, nämlich auch künftig Verwaltungsbehörden und Bundesbeschäftigte vorrangig in den neuen Bundesländern anzusiedeln, häufig vergessen – um es freundlich zu formulieren. Ich will deswegen ganz klar sagen: Es gab durchaus Fehler in diesem Bereich. Ich will auch sagen, dass wir Nachholbedarf haben in diesem Bereich.

Aber zur Wahrheit gehört doch, dass gerade diese Bundesregierung in dem einen Jahr, wo sie jetzt im Amt ist, mehr auf den Weg gebracht hat

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

als vielleicht in den letzten zwanzig Jahren. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Neuansiedelungen im letzten Jahr von der Bundesregierung organisiert wurden – um es beispielhaft zu nennen –: das Fernstraßen-Bundesamt in Leipzig; das Kompetenzzentrum Wald und Holz in Mecklenburg-Vorpommern; die Bildung eines weiteren Strafsenats des Bundesgerichtshofes in Leipzig; die Entscheidung zur Ansiedelung der Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit im Raum Halle-Leipzig; ein Ausbildungszentrum für den Zoll. Und wie Bundesminister Heil es vor wenigen Tagen vorgestellt hat: Alle fünf Zukunftszentren zur Bewältigung der digitalen Transformation sind in den neuen Bundesländern angesiedelt oder jedenfalls auf den Weg gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte ausdrücklich allen Ministern danken, die daran mitgewirkt haben, und ich bin optimistisch, dass wir genau diesen Weg in den nächsten drei Jahren dieser Regierung fortsetzen werden

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Drei Jahre sind es nicht mehr!)

und dass weitere Behörden im Osten angesiedelt werden. Damit eröffnet sich nämlich für die Bürger in den neuen Bundesländern die Chance, durch die neugeschaffenen Stellen einen Job bei einer Bundesbehörde in ihrer Heimat zu finden.

Die möglichst vielfältige Präsenz des Staates mit Einrichtungen ist natürlich auch eine Voraussetzung dafür, dass Bürger Vertrauen in den Staat haben, weil der Staat einfach wahrnehmbar ist. Wenn einige Bundesländer die Dezentralisierung selbst nicht so ernst nehmen, dann ist es, glaube ich, wohlfeil, immer nur auf den Bund zu schauen und zu meinen, er solle alles regeln und organisieren. Ich glaube, hier gibt es eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern.

Mag sich die Quote am Anfang noch als Balsam für manche Ohren im Osten anhören, entpuppt sie sich doch bei genauerem Hinsehen eher als ein Bärendienst. Der Zweck beider hier zu debattierenden Anträge ist doch nichts anderes, als einen Budenzauber zu veranstalten, in der Hoffnung, dass der arme Ossi von seiner eigenen Opferrolle überzeugt wird, was am Ende natürlich nur Herr Gysi, Frau Wagenknecht oder vielleicht Frau Weidel können. Ich glaube, das ist der falsche Weg, insbesondere wenn wir über Symbolik reden.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Interessenvertreter! Das merkt man bei jedem Satz!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie haben einfach nur den Job verfehlt!)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Anton Friesen für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7335508
Wahlperiode 19
Sitzung 87
Tagesordnungspunkt Ost-Quote in Bundesbehörden
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