Ulla SchmidtSPD - Teilhabe im Wahlrecht
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist nicht nur für mich, sondern, ich glaube, für viele ein guter Tag. Vor zehn Jahren haben wir hier die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Fast genauso lange läuft die Debatte über die Wahlrechtsausschlüsse, die im Grunde immer noch aus dem alten Entmündigungsrecht erwachsen und nach unserer Auffassung, nach Auffassung der SPD, dem Menschenrecht auf Teilhabe, das mit der UN-Behindertenrechtskonvention als unveräußerliches Menschenrecht klassifiziert wurde, widersprechen. Deshalb waren wir sehr froh, dass auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss ganz klar entschieden hat und damit die Auffassung bestätigt hat, dass die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung, für die in allen Angelegenheiten eine Betreuung eingerichtet wurde, oder von Straftätern, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, verfassungswidrig sind und abgeschafft gehören; denn sie verstoßen gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, sind daher nichtig und unanwendbar.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb setzt der Antrag der Regierungsfraktionen an dieser Stelle an und fordert die Streichung des § 13 Nummern 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes und des § 6a Absatz 1 Nummern 2 und 3 des Europawahlgesetzes.
Ich will an dieser Stelle sagen, was für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bei diesem Antrag und auch dem kommenden Gesetz sehr wichtig ist. Für uns ist wichtig, dass es die Möglichkeit einer individuellen Wahlfähigkeitsprüfung als Ersatz für die Streichung nicht geben darf,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
und zwar nicht nur, weil niemand sagen kann, wer nach welchen Kriterien überprüfen soll, ob jemand wahlfähig ist oder nicht, sondern auch, weil wir als Parlament gut daran tun, aus historischen Gründen und angesichts der Entwicklung in vielen Ländern um uns herum, wo sich Demokratien schrittweise zu Autokratien entwickeln, nirgendwo gesetzlich etwas zu verankern, das missbraucht werden könnte, um Rechte von Bürgerinnen und Bürgern einzuschränken.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist die Streichung die einzige Konsequenz.
Aber gut ist auch – Herr Oellers hat darauf hingewiesen –, dass nach dem Willen der Koalition Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, Assistenz an die Seite gestellt bekommen, und zwar Assistenz, die sie dabei unterstützt, dass sie frei und selbstbestimmt wählen können. Denn die Frage der freien und selbstbestimmten Wahl ist für uns eine ganz wichtige Voraussetzung bei der Streichung der Wahlausschlüsse.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesländer sind aktiv – ich habe das in dieser Woche aus vielen gehört –: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Niedersachsen sind derzeit dabei, ihre Wahlgesetze ganz schnell zu ändern, damit – das ist deren Ziel – bei den Kommunalwahlen und bei den Landtagswahlen in diesem Jahr alle Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen können. Ich gehe davon aus, dass die anderen folgen. Ich hätte mich gefreut, wir hätten das auch schon für die Europawahl geschafft.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können das noch schaffen!)
Die Juristen sagen: Es ist nicht möglich, weil wir mit dem Gesetz eben nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht ändern.
Insofern, glaube ich, können wir ganz gut in die Zukunft schauen. Ich würde mir wünschen, dass wir in diesem Land durch diese Entscheidung mit dazu beitragen, dass wir vom Defizitdenken wegkommen und wirklich dahin kommen, zu sehen, welche Fähigkeiten die Menschen in diesem Land haben, und dass wir alles tun, um deren Fähigkeiten zu heben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Schmidt. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Jens Beeck.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7335726 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 87 |
Tagesordnungspunkt | Teilhabe im Wahlrecht |