21.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 89 / Tagesordnungspunkt 4

Alexander GaulandAfD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss nicht jede Wendung im Brexit-Drama für einen Ausweis jahrhundertealter Staatsklugheit in London halten, um dennoch hohen Respekt vor dem Ringen einer Nation um eine Grundfrage zu empfinden. England war immer zugleich drinnen und draußen, halb Europa, halb Indien, zugleich europäische Macht und Weltmacht. Wie hat es Churchill einmal so unnachahmlich literarisch gegenüber de Gaulle ausgedrückt? Wenn ich mich zwischen Ihnen und Amerika, zwischen Ihnen und dem offenen Meer entscheiden muss, entscheide ich immer für das offene Meer. – Und es wäre wirklich eine ironische Volte, sollte eine Parlamentsregel, die auf das Jahr 1604 zurückgeht, eine dritte, diesmal vielleicht erfolgreiche Abstimmung über den Deal verhindern.

Darf ich dieses Haus daran erinnern, dass die Entscheidung zum Brexit auf demokratischem Wege gefallen ist?

(Beifall bei der AfD)

Die Mehrheit der Briten hat beschlossen, die EU zu verlassen. Ja, das war eine knappe Mehrheit; doch diese Konstellation ist heute normal und historisch. Bedeutende Entscheidungen sind oft durch knappe Mehrheiten herbeigeführt worden. Es war eine demokratische Entscheidung, also etwas, was in der EU eher selten vorkommt.

(Beifall bei der AfD)

Was wir derzeit erleben, ist der Versuch, das unerwünschte Ergebnis einer demokratischen Entscheidung vielleicht doch noch rückgängig zu machen.

Meine Damen und Herren, Spott ist kaum angebracht, wenn einer unserer ältesten und wertvollsten Verbündeten sich in politischen Krämpfen windet. Es sind eben nicht die Fehlinformationen der Brexit-Befürworter, die zu dieser Situation geführt haben; es sind die zwei Seelen in der Brust jedes Engländers, die dieses Dilemma herbeigeführt haben. Deshalb wäre es auch die Aufgabe der Bundesregierung, nicht beiseitezustehen und dem shakespearehaften Drama seinen Lauf zu lassen, sondern beherzt einzugreifen, Frau Bundeskanzlerin,

(Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: In England?)

das Paket wieder aufzuschnüren oder zumindest mit zusätzlichen Erklärungen zu versehen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war schon mal ein Widerspruch im Ansatz!)

Es kann doch nicht so schwer sein, den Briten den einseitigen Ausstieg aus dem Backstop zu ermöglichen, und es fällt den 27 bei Gott kein Zacken aus der Krone, für eine kurze Übergangszeit die Niederlassungsfreiheit auszusetzen.

(Beifall bei der AfD)

„Rosinenpickerei“ ist dafür das falsche Wort – angesichts eines Dramas, das die Zukunft unseres Kontinents bestimmt und darüber entscheiden wird, ob Großbritannien, das uns jahrelang in Berlin verteidigt hat, uns auch künftig freundschaftlich verbunden bleibt. Denn Verletzungen, meine Damen und Herren, an den Seelen der Völker sind schwerer zu heilen als materielle Schäden. Gerade wir Deutschen können davon ein Lied singen.

(Beifall bei der AfD)

Regelbasierte Multilateralität – das kam bei Ihnen auch wieder vor, Frau Bundeskanzlerin – ist ein wohlklingendes Abstraktum,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Lehre aus unserer Geschichte!)

das niemanden zu seelischen Anstrengungen verführt und, von Herrn Barnier repräsentiert, eher abschreckt und spaltet als zusammenführt.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Ein Appell der Bundeskanzlerin an die Verhandelnden, einen kleinen Schritt aufeinander zuzugehen, könnte da vielleicht Wunder wirken.

(Beifall bei der AfD)

Allerdings müsste man dafür von dem Gedanken Abstand nehmen, der in Brüssel immer mitgedacht wird: die Briten dafür zu bestrafen, dass sie einen Weg gehen wollen, der in manchen Hauptstädten des Kontinents für politisch inkorrekt gehalten wird

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt doch nicht! – Christian Petry [SPD]: Dummes Zeug! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war überhaupt nie der Fall! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)

und der niemals auf eine Weise ins Freie führen darf, die Nachahmer anspornen könnte.

(Beifall bei der AfD)

Doch gerade darin müsste sich die Stärke der Europäischen Union erweisen: dass sie niemanden gegen seinen Willen festhält. Es ist unsouverän und ein Zeichen von fehlendem Vertrauen in die eigene Attraktivität, wenn man sich bei einer Trennung so aufführt wie die EU momentan gegenüber den Briten.

(Beifall bei der AfD)

Die Europäische Union, so ihre eifrigen Befürworter, sei kein Zwangsverband, sondern eine freiwillige Übereinkunft, die jedes Volk, jeder Staat jederzeit auflösen können, wenn sie es für nötig halten.

(Martin Schulz [SPD]: Ja, dann sollen sie es doch tun!)

Es ist an der Zeit, dass die europäischen Regierungen das beweisen und Großbritannien eine ebenso faire wie kluge Chance geben, Frau Merkel. Ich appelliere an Sie: Machen Sie damit den Anfang!

(Beifall bei der AfD)

Man wird nämlich den Eindruck nicht los, dass es der EU um anderes als um den Frieden in Irland geht, nämlich darum, zu verhindern, dass Großbritannien zu einem deregulierten, von niedrigen Löhnen und niedrigen Steuern geprägten Wettbewerber der EU wird. Ihr Quidproquo: Wenn Großbritannien weiter den vollen Zugang zum EU-Markt will, muss es sich weiter an die EU-Standards zu Besteuerung, Beschäftigung, zu Wettbewerb und Umwelt halten – also praktisch ein Mitglied ohne Mitspracherecht. Zartere Gemüter würden das Erpressung nennen.

(Lachen des Abg. Martin Schulz [SPD])

Wenn wir die Zeitungen aufschlagen, lesen wir immer von dem wirtschaftlichen Schaden, der den Briten durch den Brexit entstehen wird. Wir lesen aber nichts über den Schaden für die EU. Denn auch wir verlieren, meine Damen und Herren: Deutschland zuvörderst.

(Beifall bei der AfD)

Geben wir den Briten etwas mehr Zeit, aber nicht das Gefühl, aus einem Gefängnis ausbrechen zu müssen. Dazu müsste man freilich von all den Affekten, die zu einer schmutzigen Scheidung führen, zur Vernunft zurückkehren. Ich kann nur noch mal wiederholen, Frau Merkel: Machen Sie damit den Anfang! Denn das ist Politik im deutschen Interesse.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der AfD)

Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der SPD, Andrea Nahles.

(Beifall bei der SPD)

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Electoral Period 19
Session 89
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