21.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 89 / Tagesordnungspunkt 4

Ralph BrinkhausCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Redner haben mit dem Brexit begonnen. Ich glaube, das ist angesichts der Dinge, die wir momentan erleben, auch notwendig.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf zwei Dinge hinweisen. Erstens. Egal was momentan in Großbritannien passiert, egal wie und ob wir uns ärgern: Die Briten bleiben unsere Freunde. Die Tür für Großbritannien, meine Damen und Herren, bleibt offen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die zweite Bemerkung ist: Eigentlich wollen wir uns ja jetzt dem Europawahlkampf widmen. Wir wollen darum ringen: Was sind die besten Konzepte für die nächsten fünf, für die nächsten zehn Jahre in Europa? Ein bisschen tragisch aber ist: Wir sprechen über den Brexit. Deswegen sollten wir vielleicht trotz aller Mühen, die wir momentan in Brüssel haben, den Akzent unserer Diskussionen in den nächsten Wochen verschieben. Wir sollten darum ringen, welche Definition wir von diesem Europa haben.

Wer darum gerungen hat, ist unser Spitzenkandidat Manfred Weber. Er hat nämlich ein Bewerbungsvideo gemacht. Wer Bewerbungsvideos dieser Art kennt, der könnte sich vorstellen, dass er in seinem Video als Spitzenpolitiker zu sehen ist, der in Brüssel mit anderen wichtigen Menschen spricht.

(Christian Lindner [FDP]: Wo man protzt!)

Manfred Weber hat es genau anders gemacht. In dem Video, mit dem er sich um das das europäische Spitzenamt bewirbt, zeigt er sein niederbayerisches Heimatdorf. Er zeigt, wie er dort in den Laden geht. Er zeigt, wie er mit Freunden im Gasthaus sitzt. Er zeigt, wie er dort in die Kirche geht.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das ist die Botschaft von diesem Europa: Wir haben ein Europa der verschiedenen Heimaten. Europa ist halt nicht nur Brüssel, sondern Europa ist Niederbayern, Europa ist Piemont, Europa ist Normandie, Europa ist Siebenbürgen, Europa ist Kreta. Europa sind die Regionen, mit denen wir stark werden. Wenn wir mit diesem Europa in den nächsten Wochen argumentieren, dann haben wir auch gute Chancen, erfolgreich zu sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir werden den Menschen klarmachen können, dass Europa diesen Heimaten nichts wegnimmt, sondern dass Europa etwas dazugibt, wenn wir es richtig machen.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Es ist in der vergangenen Zeit in diesem Europa sehr viel richtig gemacht worden. Wir gefallen uns gerne darin, immer anzuführen, was falsch gelaufen ist. Es ist aber viel richtig gemacht worden.

Wir haben mit der Europäischen Union eine Plattform entwickelt, mit der wir gemeinsam Probleme lösen. Wir haben gemeinsame Märkte geschaffen. Wir haben auch gemeinsame Umweltstandards gesetzt. Wir haben Mechanismen entwickelt, die dann zum Einsatz kommen, wenn es in dem einen oder anderen Land nicht so gut läuft. Wir haben viele andere Dinge in diesem Europa zusammen auf den Weg gebracht.

Ich möchte noch an eine andere Sache erinnern. Dieses Europa hat viele Krisen überstanden und ist daraus stets stärker hervorgegangen. Diese Europäische Union hat den Kalten Krieg nicht nur überstanden, sondern ist daraus stärker hervorgegangen. Diese Europäische Union hat die Balkanauseinandersetzungen nicht nur überstanden, sondern ist daraus stärker hervorgegangen. Die Balkanländer sind heute zum Teil Mitglied unserer Europäischen Union bzw. Kandidatenländer und werden keine Kriege mehr gegeneinander führen, meine Damen und Herren.

Dieses Europa hat die Bankenkrise überstanden und ist daraus stärker hervorgegangen. Dieses Europa – die Bundeskanzlerin hat die Wirtschaftszahlen gerade genannt – ist aus der Staatsschuldenkrise stärker hervorgegangen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen gesenkt. Wir haben auch die Staatsverschuldung gesenkt. Man mag sich nur anschauen, wie hoch die Verschuldung in Europa ist und wie hoch sie in den Vereinigten Staaten ist. Wir sind aus solchen Krisen immer stärker hervorgegangen.

Wir haben das Leben der Menschen, meine Damen und Herren, besser gemacht. Wir leben hier seit 74 Jahren in Frieden. Das hat ganz viel mit der Europäischen Union zu tun. Es leben Völker in Freiheit, die vor 30 Jahren nicht darüber nachgedacht haben, je in Freiheit leben zu können. Es haben Menschen in Teilen von Europa Wohlstand erlangt, die noch vor 20 Jahren bitterarm waren. Meine Damen und Herren, es ist in diesem Europa so viel richtig gemacht worden. Darüber sollten wir einfach mal reden, auch in diesem Europawahlkampf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich ist niemand so naiv und sagt: Es ist alles gut. – Um Gottes willen, nein, das ist es nicht. Wir können die Geschichten erzählen – diese sind Legion –, von der Gurke bis hin zu missglückten Verhandlungen zu Rettungspaketen. Das ist doch wahr, das ist doch richtig.

Daraus können wir aber zwei Schlüsse ziehen. Der eine Schluss ist: Wir reißen dieses Europa mit all den Sachen, die ich gerade beschrieben habe, wieder ein, weil wir denken, dass es national besser geht. Der zweite Schluss – das ist unsere Antwort – ist: Nein, wir wollen dieses Europa besser machen. Wir wollen es weiterentwickeln.

Ich möchte Ihnen einige Beispiele dafür geben, wie wir dieses Europa weiterentwickeln können.

Nehmen wir den wirtschaftlichen Bereich. Der ist wichtig, weil durch Wirtschaft Einkommen, Arbeit und Wohlstand generiert werden. Wir müssen die Wirtschaftsplattform Europa weiterentwickeln. Die entsprechenden Begriffe sind alle gefallen; sie sind zutreffend. Wir brauchen eine Kapitalmarktunion, damit das Geld überall in Europa dahin kommen kann, wo es gebraucht wird. Wir brauchen eine Digitalmarktunion. Es ist ganz einfach so: Wir haben tausend Jahre lang unterschiedliche Entwicklungen im Güter- und Dienstleistungsmarkt gehabt. Wir versuchen mühsam, das im Rahmen der Europäischen Union zusammenzuführen. Jetzt haben wir eine neue Welt, die digitale Welt; wir können sie von Anfang an gemeinsam aufbauen. Das ist doch eine großartige Gestaltungschance für uns alle.

Wir haben gerade über Energie geredet. Ja, wir brauchen eine Energiemarktunion. Stromerzeugung überwiegend aus erneuerbarer Energie ist unser Ziel. Aber dafür brauchen wir unsere Partner. Das geht europäisch viel besser als national.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen einen gemeinsamen Ausbildungsmarkt. Der gemeinsame Arbeitsmarkt funktioniert gut. Aber es ist doch nicht akzeptabel, dass junge Menschen in Spanien und Griechenland arbeitslos sind, während hier in Deutschland die Lehrstellen nicht besetzt werden können.

(Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch gemeinsame, harmonisierte Steuersysteme. Lieber Olaf Scholz, ich würde mir wünschen, dass wir bei unseren Anstrengungen für eine gemeinsame Unternehmensteuerbemessungsgrundlage mit Frankreich etwas schneller vorankommen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Es wurde schon angesprochen – Herr Lindner, Sie haben recht; ich glaube, Sie haben es gesagt –: Freihandel, von dem unser Standort lebt, funktioniert nur europäisch. Wir haben ein Freihandelsabkommen abgeschlossen mit Japan, eines mit Singapur.

(Christian Lindner [FDP]: CETA!)

Hätten wir doch bloß auch eines mit den Vereinigten Staaten, das TTIP-Abkommen, abgeschlossen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber Europa ist doch nicht nur eine Wirtschaftsplattform. Europa ist auch eine Innovationsplattform. Die Strategie in Bezug auf künstliche Intelligenz beruht darauf, dass wir sehr viel Geld in die Hand nehmen. Das werden wir nicht alleine schaffen. Das werden wir doch nur im europäischen Kontext schaffen.

Wir brauchen gemeinsame europäische Universitäten, damit die Forschung gemeinsam organisiert wird und die Menschen entsprechend zusammenkommen. Wir brauchen gemeinsame europäische Gesundheitsinitiativen. Der Kampf gegen Krebs, gegen Infektionskrankheiten, gegen Demenz wird doch nur europäisch funktionieren, meine Damen und Herren.

Europa ist darüber hinaus eine Problemlösungsplattform für Probleme, die wir nicht alleine lösen können. Sie sind alle angesprochen worden. Es glaubt doch keiner – ich komme aus Nordrhein-Westfalen –, dass die Kriminalität an der belgischen und niederländischen Grenze haltmacht. Wir brauchen eine wirkliche europäische Polizei. Wir brauchen eine gemeinsame Ausbildung der Polizeikräfte. Wir brauchen gemeinsame Datenverarbeitungssysteme. Es ist noch so unendlich viel zu tun, womit wir dieses Europa bessermachen können. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Zivilschutz.

Wir müssen auch im Bereich der äußeren Sicherheit zusammenarbeiten; das ist doch ganz klar. Wir brauchen meines Erachtens einen gemeinsamen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, um gemeinsam für unsere 450 Millionen Menschen mit einer starken Stimme zu sprechen. Wir brauchen einen europäischen Sicherheitsrat. Da kann man auch die Briten mitnehmen; das ist doch eine gute Gelegenheit, um die Bande zu Großbritannien weiter zu stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich müssen wir unsere Armeen europäisieren und gemeinsame Rüstungsprojekte in Angriff nehmen, Frau Bundeskanzlerin.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen wir den europäischen Standard!)

Wenn wir gemeinsame Rüstungsprojekte in Angriff nehmen, was wir alle wollen – nicht nur, weil es billiger ist, sondern weil es uns auch zusammenbindet –, brauchen wir gemeinsame Rüstungsexportregeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch schon!)

Ich will jetzt nicht darüber reden – ich glaube, das ist uns allen klar –, dass wir auch im Bereich Migration zusammenkommen müssen und dass wir das nur gemeinsam hinkriegen. Wir als Deutsche können uns nicht vom Acker machen, wenn es darum geht, Außengrenzen zu schützen, und können das nicht andere für uns machen lassen. Wir brauchen einen gemeinsamen Asylraum. Wir brauchen gemeinsame Institutionen, die das Ganze voranbringen.

Und es gibt noch viele andere Sachen, die wir nur gemeinsam europäisch regeln können. Dazu gehört natürlich auch der große Bereich des Klimaschutzes.

Aber Europa ist nicht nur eine Wirtschaftsplattform. Europa ist nicht nur eine Innovationsplattform. Europa ist nicht nur eine Problemlösungsplattform. Der große Gedanke von Europa ist vielmehr, dass es Menschen zusammenbringt und Menschen nicht trennt.

Hier sitzen viele im Saal, die am Erasmus-Programm teilgenommen haben. Wir müssten in dem Bereich noch viel mehr machen. Wir müssten Erasmus auf die Berufsausbildung ausweiten. Wir müssten vielleicht sogar dafür sorgen, dass es für gewisse Studiengänge verpflichtend ist. Ich denke, das ist großartig. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere Sprachen lernen. Eigentlich sollte es so sein, dass jeder europäische Schüler mindestens eine, am besten zwei europäische Fremdsprachen beherrscht.

Und wir müssen, meine Damen und Herren, dafür sorgen, dass dieses Europa eine offene Gesellschaft bleibt – fest in ihren Werten, aber neugierig und offen für neue Entwicklungen. Das ist die Kultur von Europa in den letzten zweitausend Jahren gewesen. In dieser Hinsicht haben wir der Welt einige Botschaften zu übermitteln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn ich „wir“ sage, dann meint das nicht alleine die EVP, unsere europäische Parteienfamilie, dann meint das nicht nur die CDU, sondern dann meint das auch unsere Fraktion im Deutschen Bundestag. Denn: Wir haben eine Rolle in diesem Europa, definiert durch das Grundgesetz und durch die europäischen Verträge. Diese Rolle bedeutet, dass wir der Bundesregierung nach Artikel 23 Grundgesetz Leitplanken für die Verhandlung mit auf den Weg geben können, dass wir die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überprüfen können, dass wir haushaltsrechtlich überprüfen müssen, was passiert, dass wir Dinge, die europäisch beschlossen werden, in nationales Recht umsetzen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen diese Rolle annehmen – nicht, indem wir bremsen, sondern indem wir dieses Europa gestalten.

Wenn Sie sich all das angehört haben, was ich eben gesagt habe, dann werden Sie die wesentlichen Elemente in der Sorbonne-Rede von Präsident Macron, in vielen Namensartikeln, nicht nur von Annegret Kramp-­Karrenbauer, sondern auch von Kolleginnen und Kollegen aller Parteien in der Mitte des Hauses, wiederfinden. Denn eines ist bei all den Unterschieden, über die wir uns streiten, richtig: Wir haben wesentlich mehr gemeinsam. Das ist doch das Große an Europa.

Ich komme noch mal zurück auf das Video von Manfred Weber – Stichwort: das Europa der Regionen.

(Zurufe von der LINKEN – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist natürlich so, dass der Ostwestfale anders ist als der Sizilianer. Das sieht man irgendwie auch; und es ist auch gut so, dass das so ist, meine Damen und Herren.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das Video der Woche!)

Aber die Botschaft von Europa ist: Das, was wir gemeinsam haben, ist wesentlich mehr als das, was uns unterscheidet.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Ein Fernsehabend! Alle gucken Weber!)

Mit dieser Botschaft gehen wir in die nächsten Wochen, und damit werden wir versuchen, die Menschen von diesem Europa zu begeistern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der Linken, Dr. Sahra Wagenknecht.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7337010
Wahlperiode 19
Sitzung 89
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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