Florian HahnCDU/CSU - Soziale Absicherung europaweit
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen werben in ihrem Antrag für ein Europa, das schützt, und damit mit dem Leitgedanken aus der Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Europäischen Union im September 2016. Dieses Motiv wurde später auch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz für die österreichische Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 übernommen. Nun also auch die Grünen.
Der vollständige Titel der damaligen Juncker-Rede lautete übrigens: „Hin zu einem besseren Europa – einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“. Das ist richtig. Wir müssen uns aber auch dem sozialen Frieden in Europa widmen; denn dieser ist momentan in erheblichem Maße bedroht. Es ist die grassierende Jugendarbeitslosigkeit insbesondere in den südeuropäischen Ländern, die uns Sorgen machen muss. Ausgebildete junge Leute stoßen in ihrer Heimat auf einen Arbeitsmarkt, der ihnen keine Perspektive bietet. Ursachen hierfür sind fehlendes Wachstum und fehlende nationale Wirtschafts- und Innovationspolitik.
Ein gutes Beispiel dafür ist aktuell Italien. Die OECD stellt in ihrem jüngsten Bericht vom Anfang dieses Monats fest, dass Italien wirtschaftlich stillsteht. Das BIP wird 2019 schrumpfen. Die Neuverschuldung steigt stärker als geplant um 2,5 Prozent und die Gesamtverschuldung auf einen neuen Rekordwert von 134 Prozent. Matteo Salvini, übrigens ein Freund der AfD, wird zum gefährlichsten Schuldenmacher Europas.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Metin Hakverdi [SPD]: Hört! Hört! – Petr Bystron [AfD]: Ha, ha!)
Im Europawahlprogramm der AfD ist zu lesen, sie wolle die Bürger vor der Euro-Krise schützen. Das ist angesichts solcher Freunde einmal mehr völlig unglaubwürdig.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Petr Bystron [AfD]: Die Schulden hat Italien schon vorher gemacht! – Weiterer Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Die Arbeitslosigkeit wird in Italien voraussichtlich weiter steigen. Völlig zu Recht mahnt die OECD deshalb Italien zu Strukturreformen und zur Einhaltung des europäischen Stabilitätspaktes.
(Petr Bystron [AfD]: Ihr habe keine Schulden gemacht, oder was?)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Arbeitsplätze entstehen nur dort, wo Wirtschaft wächst. Deshalb ist klar: Das soziale Europa fängt damit an, dass jedes Land seine wirtschaftspolitischen Hausaufgaben erledigt. Dazu bedarf es einer verantwortungsvollen Politik, die Wachstumsimpulse setzt, die Wettbewerbsfähigkeit stärkt und neue Arbeitsplätze schafft – gerade für die junge Generation. Was macht stattdessen die italienische Regierung? Sie gönnt ihrer Klientel soziale Wohltaten: einen üppigen Bürgerlohn, eine kostspielige Rentenreform. Sie zeigt der OECD die kalte Schulter und denkt nicht an Umkehr. Das ist eine ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit, insbesondere im Umgang mit dem Schicksal der jüngeren Bürgerinnen und Bürger, die heute arbeitslos sind und morgen die italienischen Staatsschulden bedienen dürfen.
Nun komme ich zum Antrag der Grünen.
Kollege Hahn, bevor Sie das tun, muss ich Sie fragen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kleinwächter aus der AfD-Fraktion zulassen.
Ja, bitte.
Frau Präsidentin! Vielen Dank, sehr geehrter Herr Hahn, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben in Ihren Ausführungen gerade eine Quasiidentität hergestellt aus Herrn Salvini und der AfD. Gerade haben wir in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates die Diskussion – ausgerechnet insbesondere die EVP verfolgt diese Strategie –, dass alle Parteien, die in dieser großen Versammlung vertreten sind, in eine europäische Parteienfamilie gezwungen werden sollen bzw. dass Fraktionsbildungen nur dann zugelassen werden, wenn die Parteien einer europäischen Parteienfamilie angehören. Dagegen sind wir.
Ist es überhaupt Teil Ihres Gedankenkonstrukts oder Ihrer Vorstellungskraft, dass Parteien in Europa mit anderen Parteien reden, ohne deren Inhalte zu teilen, dass man Unterschiede hat und dass man auch das ganze Konzept europäischer Parteienfamilien ablehnen könnte? Wir stehen gerade nicht dafür, dass alle das Gleiche vertreten sollen, sondern dafür, dass jede Partei in jedem einzelnen Land versuchen muss, für jeden einzelnen ihrer Bürger das Beste herauszuholen. Das ist doch die Position echter souveräner Zusammenarbeit in Europa und nicht, dass von oben nach unten Dinge vorgegeben werden, was dann zu Quasiidentitäten zwischen unterschiedlichen Parteien in unterschiedlichen Ländern führt, wie Sie das gerade angedacht und insinuiert haben. Ist das im Rahmen Ihrer Vorstellungskraft?
(Beifall bei der AfD)
Herr Kollege Kleinwächter, ich weiß nicht, was Ihre Zwischenfrage mit dem Antrag zur europaweiten sozialen Absicherung – so dessen Überschrift – zu tun hat. Ich will Ihnen aber trotzdem antworten; denn tatsächlich ist sozusagen innere Substanz von Demokratie, dass man sich miteinander auseinandersetzt und miteinander redet, dass selbstverständlich auch verschiedene Parteien miteinander reden. Das ist gar keine Frage. Aber es ist natürlich schon auffällig, dass Sie am liebsten mit denjenigen reden, die Europa rückabwickeln wollen, die Europa wieder zurück zu den Nationalstaaten bringen wollen, die den Frieden, die Freiheit und den Wohlstand Europas gefährden. Das wollen wir Ihnen und den Bürgerinnen und Bürgern Europas jedes Mal deutlich machen. Bei dieser Europawahl geht es darum, genau dagegen anzukämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber nun zum Antrag der Grünen. Die Gedanken – das hat die Kollegin Katja Leikert schon ausgeführt – der Subsidiarität und der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kommen in Ihrem Antrag praktisch nicht vor. Sie wollen stattdessen alles harmonisieren und einen neuen Topf schaffen, eine neue europäische Arbeitslosenversicherung. Also wieder neue Umverteilung statt Innovation! Dabei müsste die Eigenverantwortung doch der Ausgangspunkt sein, insbesondere in der Arbeits- und Sozialpolitik. Wenn die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten im Sinne der Subsidiarität verneint wird, haben die Populisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums leichtes Spiel, die Schuld für die wirtschaftliche Misere in den Ländern auf Brüssel zu schieben und die Axt an den Zusammenhalt Europas zu legen. Das wäre grob fahrlässig.
Es ist ein gutes politisches Prinzip der EU, nach dem Subsidiaritätsgedanken die Verantwortung dort zu verorten, wo die Probleme am besten gelöst werden können. Deshalb ist klar: Die Mitgliedstaaten bleiben für die sozialen Sicherungssysteme, Regulierungen zum Mindestlohn oder der Altersvorsorge selbst verantwortlich. Eine europäische Arbeitslosenversicherung kommt für CDU und CSU deshalb nicht in Frage, genauso wenig wie eine unverantwortliche Erleichterung beim Zugang in unsere sozialen Sicherungssysteme. Die europäische Ebene muss sich auf Grundstandards bei Arbeitnehmerrechten konzentrieren. Zudem müssen wir die Mobilität von Arbeitnehmern in der EU weiter verbessern, möglichst unbürokratisch gestalten und besser koordinieren. Dabei gilt es auch, den Missbrauch der Sozialsysteme zu bekämpfen, insbesondere beim Kindergeld.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die europäische Erfolgsgeschichte wollen CDU und CSU fortschreiben: mit soliden Finanzen, mit verlässlichen sozialen Sicherungssystemen, mit Förderung von privaten Investitionen und Reformen für Wachstum und Beschäftigung. In den kommenden fünf Jahren sollen so 5 Millionen neue Arbeitsplätze in ganz Europa entstehen. Das ist unser Europa, das schützt und den Zusammenhalt in Europa stärkt.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Schneider für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7341624 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Absicherung europaweit |