Katrin StafflerCDU/CSU - Soziale Absicherung europaweit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Diskussion heute viele Vorschläge dafür gehört, wie wir es schaffen, ein sozialeres Europa, eine sozialere Europäische Union zu gestalten. Manchem kann ich zustimmen, anderem definitiv nicht. Aber je länger ich mir diese Debatte anhöre, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass wir bei all diesen Vorschlägen, bei all den Maßnahmen, die hier heute auf den Tisch gelegt worden sind, das aus dem Blick verlieren, was eigentlich die zentrale Fragestellung sein sollte: Wie können wir die Europäische Union so weiterentwickeln, dass unsere Bürgerinnen und Bürger in Freiheit, in Wohlstand und in Sicherheit leben können?
Der Antrag, den wir hier heute beraten, versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben. Aber um das zu Beginn dieser Rede auch schon vorwegzunehmen: In der Unionsfraktion haben wir eine andere Vorstellung davon, mit welchen Reformen es uns gelingen wird, das Ziel, das ich formuliert habe, zu erreichen.
Wir sind davon überzeugt, dass wir ein modernes und nachhaltiges soziales Europa brauchen, damit wir die heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen können und damit wir sicherstellen, dass allen EU-Bürgern die gleichen Ausgangsbedingungen geboten werden können.
Wir glauben aber auch, dass die Weiterentwicklung der sozialen Dimension der EU eben nicht dem Ziel dienen soll, dass man nationale Sozialsysteme harmonisiert und angleicht. Vielmehr muss es uns gelingen, die einzelnen Systeme auf Basis von gemeinsamen Prinzipien besser aufeinander abzustimmen. Dabei müssen wir den Menschen in den europäischen Mitgliedstaaten in Bezug auf die sozialen Fragen Minimalstandards garantieren. Das alles muss dann unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips passieren.
Warum habe ich das Subsidiaritätsprinzip genannt? Weil die Sozialmodelle der Mitgliedstaaten über die Jahre und Jahrzehnte hinweg unabhängig voneinander und individuell entstanden sind. Wenn wir jetzt versuchen, einzelne Teile vollständig zu verändern, dann wäre es so, als ob wir versuchen würden, einem komplexen Bauwerk eine tragende Säule zu entnehmen und durch eine Säule aus einem völlig anderen Haus zu ersetzen. Mir persönlich wäre die Gefahr, dass dann beide Häuser zusammenbrechen könnten, ehrlich gesagt zu groß.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb glaube ich nicht, dass ein einheitlicher europäischer Sozialstaat die richtige Antwort für Europa ist. Ich wünsche mir aber, dass das Modell der sozialen Marktwirtschaft europaweit greift, dass alle EU-Staaten in Eigenverantwortung ihre Hausaufgaben machen, um am Schluss das Ziel zu erreichen, das wir in Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die EU beschrieben haben, nämlich eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt.
Was heißt das konkret? Konkret heißt das zum Beispiel, dass die Freizügigkeit des Binnenmarkts dazugehört. In dem Rahmen muss man beispielswiese die Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer EU-weit verbessern. Wir müssen sie unbürokratisch gestalten, und wir müssen sie besser koordinieren, damit wir überall in der EU zu fairen Bedingungen arbeiten können.
Was wir außerdem brauchen, sind gemeinsame Grundstandards bei den Arbeitnehmerrechten. Für die sozialen Sicherungssysteme, für den Mindestlohn, für die Altersvorsorge sind am Ende des Tages allerdings die Mitgliedstaaten selbst verantwortlich, und ich bin der Meinung, dass sie dies auch bleiben sollen.
Wir müssen darüber hinaus sicherstellen, dass die Freizügigkeit nicht zum Missbrauch der Sozialsysteme von einzelnen Mitgliedstaaten führt; Herr Kollege Hahn hat das schon ausgeführt. Dies bedarf aber einer engeren Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten.
Ich möchte zum Schluss auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich, ehrlich gesagt, für viel, viel wichtiger halte als die Sozialsysteme, die die Menschen auffangen. Jetzt verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Natürlich brauchen wir die soziale Absicherung; diese ist ohne Frage wichtig. Aus meiner Sicht gibt es aber noch etwas, was viel wichtiger ist. Ich meine, dass wir uns erfolgreich darum kümmern müssen, dass die Menschen diese Sicherungssysteme erst gar nicht benötigen. Was wir dringend brauchen, sind Investitionen in die Zukunft der Menschen. Deswegen ist es richtig, dass wir in den vergangenen Jahren mehr Geld in Bildung, in Ausbildung und in Qualifizierung gesteckt haben. Erasmus+, Europäischer Sozialfonds, Beschäftigungsinitiative für junge Menschen – all das sind Beispiele dafür.
Die Initiativen sind es aus meiner Sicht, die den jungen Menschen tatsächlich mehr Sicherheit für ihre Zukunft geben. Deswegen müssen wir diese Projekte nicht nur fortschreiben, sondern wir müssen uns, wenn wir in die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen eintreten, auch dafür einsetzen, dass künftig mehr Mittel für den Bereich Bildung zur Verfügung stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn es uns dann auch noch gelingt, dass in allen Mitgliedstaaten auch ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und alle, die es schwer auf den Arbeitsmärkten haben und die unsere Unterstützung brauchen, von den genannten Förderungen profitieren können, dann ist genau das das soziale Europa, das ich mir wünsche; denn dann hat jeder eine Chance auf Teilhabe am Wohlstand und kann sein Leben eigenverantwortlich selbst bestimmen. Ich glaube, das ist es, wofür wir gemeinsam kämpfen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7341631 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Absicherung europaweit |