Sascha RaabeSPD - Status als Entwicklungsland
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Frohnmaier, Sie haben diesen Antrag heute eingebracht und haben in Ihren Ausführungen von einer Dame, 64 Jahre alt, aus Deutschland berichtet, die im Alter schwer über die Runden kommt. Keiner bestreitet, dass wir auch in Deutschland Armut haben und dass wir alles tun müssen, um diesen Menschen zu helfen, gerade im Alter.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Altersarmut wächst und wächst dramatisch! Das ist erschreckend!)
– Es gibt nicht nur Altersarmut, Herr Kollege. Auch alleinerziehende Mütter haben es sehr schwer.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)
Das stellt fast noch ein größeres Armutsrisiko dar.
Ich sage Ihnen auch, Herr Frohnmaier: Ich komme gerade von einer Dienstreise nach Togo und Ghana zurück, und ich habe dort Kinder gesehen, die in der heißen Sonne morgens nicht zur Schule, sondern mit Macheten auf Kakaoplantagen gehen, um dort Kakaobohnen für die Schokolade abzuschlagen, die Sie hier in Deutschland essen. Alleinerziehende Mütter können es sich, obwohl sie kein Schulgeld zahlen müssen, nicht leisten, die Kinder in die Schule zu schicken, weil sie die Schuluniform und die Lehrmaterialien nicht bezahlen können. Menschen leben dort im Dreck, in bitterster Armut, haben kein sauberes Wasser, schaffen es nicht mal, am Tag genügend Kalorien aufzunehmen, um einigermaßen gesund leben zu können. Wenn sie leichteste Erkrankungen haben, hilft ihnen kein Arzt, und sie sterben daran elendig.
(Beatrix von Storch [AfD]: Es geht nicht um Menschen in Ghana! Reden Sie doch mal über den Antrag!)
Ich möchte damit nicht sagen, dass wir nicht auch die Altersarmut in Deutschland bekämpfen müssen; aber ich finde es schäbig und unanständig, dass Sie die Not und das Elend in der Welt gegen Probleme ausspielen, die wir in Deutschland haben. Das ist unanständig von Ihnen! Unanständig, nichts weiter!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Frohnmaier [AfD]: Es geht um G-20-Staaten!)
Das eine tun und das andere nicht lassen – das muss doch unser Ziel sein.
(Beatrix von Storch [AfD]: Hören Sie doch mal mit der Hetze auf! – Lachen bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war gut! Da müssen Sie selber lachen! – Gegenruf von der SPD: Das sagt die Richtige!)
Einerseits müssen wir in Deutschland für Verteilungsgerechtigkeit sorgen und die relative Armut überwinden. Das ist übrigens der Auftrag – vielleicht verstehen Sie es mal –, den sich die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 gegeben haben. Die neuen Ziele, die alle Länder dort entwickelt haben, die auch Deutschland unterschrieben hat, gelten nicht nur für Entwicklungsländer, sondern auch für Industrieländer. Auch in Deutschland muss die relative Armut überwunden werden. Da geht es um diejenigen, die von weniger als der Hälfte oder 40 Prozent des Durchschnittseinkommens leben müssen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 60 Prozent ist die Maßgabe der Europäischen Union!)
– Das ist eine Definitionsfrage. Die EU und die UNO nutzen da unterschiedliche Definitionen. – Andererseits müssen wir genauso schauen, dass weltweit Menschen nicht weiter von weniger als 1,25 Dollar bzw. 2 Dollar pro Tag leben müssen. Man darf diese Sachen nicht gegeneinander ausspielen.
Herr Kollege Raabe, der Kollege Frohnmaier würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
(Zurufe von der SPD: Nein!)
Ach, doch, soll er machen. Jeder blamiert sich immer, so gut er kann.
Vielen Dank, Herr Dr. Raabe. – Geht es in dem Antrag, über den wir heute diskutieren, um Staaten wie Ghana, um die bitterärmsten Staaten der Welt, oder wird darin nicht vielmehr von aufstrebenden Wirtschaftsmächten, G-20-Staaten etc. gesprochen? Glauben Sie nicht, dass es ziemlich populistisch ist, wenn Sie in dem Zusammenhang hier den Eindruck erwecken, als hätte ich die ärmsten Staaten der Welt angesprochen? Wenn Sie hier Kinder mit Kulleraugen und Blähbauch etc. erwähnen
(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Was? Das ist ja unerhört! – Weitere Zurufe von der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Widerlich!)
und von Ghana sprechen, versuchen Sie doch, solch einen Eindruck zu erwecken. Es geht doch in dem vorliegenden Antrag um potente Staaten, die in der Lage sind, selbstverantwortlich Entwicklung weiter zu betreiben. Seien Sie doch sachlich!
(Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Herr Kollege Frohnmaier, Sie wenden immer die gleiche Taktik an. Sie legen einen Antrag zu einem Thema vor – in diesem Fall geht es um die Frage, ob wir den ärmsten, den mittleren oder den Schwellenländern mehr Geld geben sollen –, aber anstatt über das eigentliche Thema zu sprechen, führen Sie auf einmal das Beispiel der 64-jährigen Frau aus Deutschland an, der es schlecht geht. Damit erwecken Sie aber den Eindruck, wir würden durch unsere Entwicklungszusammenarbeit Geld verschwenden und den armen Frauen in Deutschland nichts geben.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Genau darum geht es! Exakt!)
Diese Methode taucht in Ihrer Argumentation immer wieder auf.
Herr Frohnmaier, Sie haben neulich hier in einer Debatte gesagt, wir brauchen keinen Entwicklungsplan für Afrika, sondern für Deutschland. Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich darf zitieren –:
Den eigenen Wohlstand zu erhalten und zu sichern sowie die hierfür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen muss primäres Interesse sein.
(Zuruf von der AfD: Ja, natürlich!)
Ich sage Ihnen: Wir machen Entwicklungszusammenarbeit, damit es allen Menschen auf der Welt gut geht. Es ist in unser aller Interesse, Herr Frohnmaier, dass es allen Menschen auf der Welt gut geht. Das muss doch auch Ihnen mal klar werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So, jetzt können Sie sich setzen. Es hat eh keinen Sinn, wenn ich Ihnen weiter antworte. Sie werden das sowieso nicht verstehen. Sie dürfen sich setzen. Ich bin fertig mit Ihnen.
(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der AfD: So eine arrogante Art!)
Sie haben das Thema „Flüchtlinge und Flüchtlingskosten“ angesprochen. Sie sollten begreifen, dass es gerade in unserem deutschen Interesse ist, Hunger und Armut zu bekämpfen, dass wir Kindern die Möglichkeit geben, in die Schule zu gehen und eine Berufsausbildung zu machen, damit sie aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit eben nicht versuchen, nach Europa zu kommen. Das ist doch in unserem Interesse und im Interesse der Menschen. Keiner verlässt sein Land gerne und freiwillig, weil er meint, in Deutschland sei die Musik besser oder die Bratwurst würde hier besser schmecken. Vielmehr fliehen die Menschen, weil sie mit ihren Familien nicht über die Runden kommen. Deswegen ist es gut, wenn wir vor Ort helfen. Lassen Sie uns endlich damit aufhören, die Nöte der Ärmsten der Armen
(Leif-Erik Holm [AfD]: Um diese Länder geht es doch gar nicht!)
gegen Probleme, die wir in Deutschland haben, auszuspielen. Beides müssen wir angehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ist China ein armes Land, oder was?)
Sie haben auch etwas zu den Ländergruppen gesagt. Wir von der SPD sagen schon seit langem – das ist auch im Koalitionsvertrag so festgelegt –: Wir müssen in unserem Portfolio insgesamt mehr in die Entwicklungszusammenarbeit mit den ärmsten Ländern, den sogenannten Least Developed Countries, investieren.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, das ist doch, was wir fordern! – Kay Gottschalk [AfD]: Sie sollten mal den Antrag lesen, Herr Kollege!)
Hier wurde zu wenig getan. Diesen Schuh muss sich das Ministerium auch anziehen. Es wurde in den letzten Jahren von uns und auch von Nichtregierungsorganisationen und dem Entwicklungsausschuss der OECD zu Recht kritisiert, dass wir den Least Developed Countries, den ärmsten Entwicklungsländern, zu wenig geben. Das ist völlig unstrittig. Wir erwarten vom Bundesminister hier ein Umsteuern.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie haben vorhin über Kohlekraftwerke in Indonesien geredet. In Indonesien gibt es mit die weltweit größten zusammenhängenden Regenwälder. Die gibt es auch in Brasilien. Sie führen diese beiden Länder als Beispiel an und sagen: Wir sollten raus aus der Entwicklungszusammenarbeit, weil angeblich dadurch das Geld für die arme Frau und andere Menschen in Deutschland fehlt.
Die Regenwälder und die Torfmoore gerade in Indonesien sind die größten CO 2 -Speicher der Welt. Bis zu einem Fünftel der weltweiten CO 2 -Emissionen sind darauf zurückzuführen, dass Wälder abgeholzt werden. Wir können doch den Ländern nicht sagen: „Ihr dürft eure Wälder nicht anfassen, weil wir das Weltklima schützen müssen“ und ihnen gleichzeitig keine Entschädigung oder Ausgleichsleistung bieten. Wir haben in Deutschland für den Kohlebergbau ganze Landschaften umgegraben, um an die Kohle zu kommen. Nun können wir einem Land wie Indonesien, das über viele Jahre bitterarm war und in dem es immer noch viel Armut gibt, doch nicht sagen: Ihr dürft die Wälder nicht abholzen, aber auf dem wirtschaftlichen Schaden bleibt ihr alleine sitzen.
Auch heute werden wieder viele junge Menschen an den Fridays-for-Future-Demonstrationen teilnehmen, um für Klimaschutz zu demonstrieren.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist wieder ein Freitag, wo die Schüler nichts lernen!)
Es ist richtig, dass die internationale Gemeinschaft und Deutschland sagen: Ja, wir wollen, dass die Tropenwälder erhalten bleiben. Wir erkennen auch an, dass diese Länder nicht einfach auf den wirtschaftlichen Nutzen verzichten können. – Daher geben wir ihnen Geld, damit wir gemeinsam das Weltklima schützen. Das ist gut angelegtes Geld; denn wir wollen nicht, dass es in Deutschland zu Fluten oder schlimmen Wetterkatastrophen kommt, ganz zu schweigen von den ganzen Dürrefolgen auf der Welt, die Hunger und Armut hervorrufen. – Ich weiß, das war ein bisschen kompliziert für Sie, aber ich glaube, der Rest des Hauses hat es verstanden.
(Beifall bei der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Unglaublich!)
In diesem Sinne: Wir müssen in den Haushaltsberatungen darauf achten, die Mittel für die ODA-Quote weiter zu steigern. Wir müssen im Entwurf des Finanzministers kräftig nachbessern. Die Zusagen, die wir im Bereich Klimaschutz zu Recht gemacht haben, können nicht alleine vom Bundesministerium für Entwicklung getragen werden. Auch das BMU muss seinen Beitrag leisten. Es geht nicht, dass die Hälfte unserer Mittel nur in den Bereich Klimaschutz gehen. Die Mittel müssen obendrauf kommen.
Ich sage – anders als die AfD –: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Geld für die Armutsbekämpfung und für den Klimaschutz. Das ist in unserem Interesse, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Helin Sommer, Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7342242 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 93 |
Tagesordnungspunkt | Status als Entwicklungsland |