05.04.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 93 / Tagesordnungspunkt 26

Patrick SensburgCDU/CSU - Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren über die Fixierung im Straf- und Maßregelvollzug, in der Zivilhaft, im Vollzug der Untersuchungshaft und bei der einstweiligen Unterbringung. Es handelt sich um eine Freiheitsentziehung in der Freiheitsentziehung; das ist gerade schon gesagt worden. Es geht um Personen, die sich bereits aufgrund eines Urteils in Haft befinden und dann erneut einer weiteren Freiheitsentziehung unterliegen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht gesagt: Die erste Entscheidung reicht nicht aus für den zweiten Eingriff in Grundrechte – hier in Artikel 104 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es handelt sich um einen ganz erheblichen, schweren Eingriff in die Grundrechte von Menschen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns einmal nur ganz kurz vorstellen, jeder Einzelne von uns wäre fixiert an Armen, Beinen, am Brustkorb, am Kopf für 30 Minuten – das ist die Zeit, die das Bundesverfassungsgericht als erheblich erachtet; das ist ungefähr so lange wie die Debattenzeit zu diesem Tagesordnungspunkt –, dann können wir, glaube ich, ermessen, wie schwer dieser Eingriff ist – man hat nicht die Möglichkeit, sich zu kratzen, nicht die Möglichkeit, wenn sich ein Muskel verkrampft, zu entspannen, sich zu bewegen – und wie schwer es ist, so ausgeliefert, in einer solch hilflosen Lage mehr als eine halbe Stunde zu sein. Ich glaube, daran erkennt man, wie wichtig es ist, dass wir hier darüber debattieren und wie richtig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei einer Fixierung über mehrere Tage oder gar Wochen – bei dem, worüber beim Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist, handelt es sich um fünf Tage Fixierung am Stück; das halte ich übrigens für sehr fragwürdig – ist es, glaube ich, richtig, sich ausreichend Zeit zu nehmen und sich anzuschauen, was man machen kann.

(Beifall der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu, wie viele Fixierungen es in Deutschland gibt, haben wir gar keine konkreten und genauen Zahlen. Das ist aus meiner Sicht auch schon ein Problem. Bei psychiatrischen Kliniken – das kann man hochrechnen auf ganz Deutschland – reden wir von circa 75 000 Fällen pro Jahr; das ist geschätzt und hochgerechnet. In Baden-Württemberg haben wir eine Erfassung. Wenn man die Daten auf das gesamte Bundesgebiet hochrechnet, dann reden wir wahrscheinlich von 200 000 Maßnahmen in ganz Deutschland; das aber auch nur geschätzt und hochgerechnet. Wichtig wäre mir daher, über das Gesetz hinaus, dass wir nicht nur von einer Dokumentation reden, wie sie das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, sondern auch eine einheitliche Erfassung anstreben, die eine Statistik ermöglicht: Wie viele Fälle welcher Art haben wir überhaupt in Deutschland?

Neben den Personen, die einer Fixierung unterliegen, gilt es, auch die Personen in den Blick zu nehmen, die tagtäglich in den Anstalten arbeiten müssen. Denn auch das muss man sich vorstellen: Da sind Personen, die außer Rand und Band geraten, aggressiv werden, gewalttätig werden – sowohl autoaggressiv als auch aggressiv gegen andere Personen. Ich glaube, man kann sich auch diese Situation vorstellen.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie im weitesten Sinne agiert werden kann: Das ist die Isolierung, das ist die Medikamentierung, und das ist die Fixierung. Es sind unterschiedliche Wege, aber es gibt keinen Königsweg. Gerade ist Großbritannien angesprochen worden. Ja, Großbritannien fixiert nicht in dem Umfang; in Großbritannien wird medikamentiert. Dort wird man mit Medikamenten ruhiggestellt, fast sediert. In den Niederlanden wird isoliert, teilweise auch – was landläufig als „Zwangsjacke“ bezeichnet wird – in einen Raum abgeschoben. Ich glaube, keiner der Wege ist der richtige Weg. Wenn Maßnahmen ergriffen werden müssen, dann geht es um eine Kombination verschiedener Ansätze und die Möglichkeit, dem Patienten, der Person gerecht zu werden. Suizidale Patienten sind ganz anders zu behandeln als zum Beispiel autoaggressive Patienten ohne Selbstmordverlangen. Gegenüber Dritten aggressive Patienten sind wieder ganz anders zu behandeln als die vorgenannten.

Von daher müssen wir im Gesetz verschiedene Punkte des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen. Das sind: die klare Rechtsgrundlage, Beteiligung eines Arztes vor und nach der Fixierung, eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches Personal, eine Sitzwache, die nicht eine Videoüberwachung darstellt, Dokumentationspflicht, eine gerichtliche Überprüfung – das muss der Person auch mitgeteilt werden – und die richterliche Bereitschaft von 6 bis 21 Uhr.

Aber wir sollten auch etwas weiter gehen; wir sollten darüber nachdenken, Alternativen zu beraten. Es gibt zum Beispiel sichere Betten bei partieller Desorientierung, bei alkoholisierten Personen gibt es Sicherungen, und es gibt aus anderen Bereichen, beispielsweise dem Betreuungsrecht, den sogenannten Werdenfelser Weg. Wir sollten schauen: Können wir Analogien ziehen?

Ich hoffe, wenn wir das alles berücksichtigen, finden wir für beide Seiten ein gutes Ergebnis. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen bei diesem Gesetz über alle Fraktionen hinweg gemeinsam eine gute Lösung finden; denn es geht auf beiden Seiten um Menschen – diejenigen, die fixiert werden, und diejenigen, die tagtäglich eine schwere Arbeit verrichten. Das sollte uns in diesem Parlament doch einmal gemeinsam gelingen.

Danke schön.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7342315
Wahlperiode 19
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen
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