Christoph MatschieSPD - Vereinbarte Debatte - Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs nicht nur tagespolitisch diskutieren wollen, ist es vielleicht ganz sinnvoll, einmal in die Vergangenheit zu schauen. Die europäische Zusammenarbeit ist ja nicht entstanden, weil alle gerade Zeit und nichts Besseres zu tun hatten. Die europäische Zusammenarbeit ist entstanden, weil der Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg vor gewaltigen Herausforderungen stand. Ein Kontinent in Trümmern mit tief verfeindeten Nationen, dieses Problem galt es zu bewältigen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank hatten wir Konrad Adenauer!)
Man muss sich doch einmal vor Augen führen: Nur sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Montanunion auf den Weg gebracht. Das war der Beginn eines großen europäischen Versöhnungswerks, das bis heute fortwirkt.
(Beifall bei der SPD)
Es war auch die Attraktivität des freien Westens, die dazu beigetragen hat, dass 1989 durch den Mut der Ostdeutschen die Mauer zu Fall gebracht wurde, die den Kontinent geteilt hat. Auch in dieser Zeit war die Europäische Union das wichtigste Instrument, um die damit einhergehenden ökonomischen Probleme auf dem Kontinent zu bewältigen und Mittel- und Osteuropa in einen gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Prozess einzubinden.
Wer sich diese Geschichte vor Augen hält, der weiß: Europa verfügt über einen einmaligen Schatz an politischen Erfahrungen.
(Andrea Nahles [SPD]: Ja!)
Niemand ist so gut wie wir Europäer darin, Kompromisse zu finden, unterschiedliche Interessen zusammenzubringen und Lösungen daraus zu entwickeln. Lassen Sie uns diesen Erfahrungsschatz selbstbewusst einsetzen, wenn es darum geht, die nächsten Jahre zu gestalten!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Was ist die europäische Rolle heute? Ich will sie durch zwei Aspekte beschreiben: Europa muss Schutzraum für die Interessen seiner Bürger sein, und Europa muss Gestaltungsmacht bei der Bewältigung der globalen Probleme sein.
Was meine ich mit „Schutzraum“? Wir erleben aktuell, dass sich die globalen Gewichte auf dem Globus ökonomisch verschieben, dass die Macht neu austariert wird, und wir erleben Handelskonflikte. Eines ist doch klar: Kein einzelner europäischer Staat kann sich gegenüber dem Druck der USA oder dem Druck Chinas ökonomisch behaupten. Wir brauchen hier einen starken Zusammenhalt in Europa. Gemeinsam sind wir der größte Binnenmarkt der Welt, und gemeinsam können wir dieses Gewicht zugunsten unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir brauchen aber auch eine starke Europäische Union, wenn es um die Gestaltung der Außenpolitik geht. Neue Machtzentren bilden sich in der Welt heraus, und neue Einflusssphären werden aufgebaut. Wir brauchen hier eine handlungsfähige gemeinsame Außenpolitik. Es darf nicht sein, dass einzelne Staaten mit ihrem Veto gemeinsame außenpolitische Positionen blockieren können.
(Andrea Nahles [SPD]: Ja! Richtig!)
Wir müssen auch in der Außenpolitik Mehrheitsentscheidungen entwickeln. Diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen; denn nur so kann Europa sein ganzes Gewicht einsetzen, um Frieden zu erhalten, Konflikten vorzubeugen und dafür zu sorgen, dass sich diese Welt in einem positiven Sinne weiterentwickeln kann.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])
Gestaltungsmacht betrifft ebenso das Thema, für das viele Jugendliche gerade auf die Straße gehen: Klimaschutz. Eines ist klar: Klimaschutz wird am Ende nur funktionieren, wenn wir weltweit gemeinsam handeln. Auch da spielt die Europäische Union eine ganz wichtige Rolle. Das Pariser Klimaabkommen wäre ohne das diplomatische Geschick, ohne den massiven Einsatz der Europäer schlicht nicht zustande gekommen.
(Andrea Nahles [SPD]: Ja!)
Deshalb sage ich den jungen Leuten, die auf die Straße gehen – das ist mir wichtig –: Demonstrieren Sie weiter! Es ist richtig, Druck zu machen! Aber gehen Sie auch zur Europawahl, und wählen Sie Parteien, die dafür sorgen, dass Europa auch in Fragen des Klimaschutzes handlungsfähig bleibt!
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU] – Christian Dürr [FDP]: Und was sagen Sie den jungen Leuten, die die SPD-Position wissen wollen, Herr Kollege Matschie? Was sagen Sie denen denn? Wir wollen nur wissen, wie Sie jetzt zu Uploadfiltern stehen! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach, Herr Dürr!)
Zum Schluss, werte Kolleginnen und Kollegen: Europa ist auf Mut und Weitsicht gebaut worden und ist auf diese Art und Weise zur vielleicht größten politischen Erfolgsgeschichte der Menschheit geworden. Lassen Sie uns deshalb mit Mut und Weitsicht an diesem gemeinsamen Europa weiterbauen!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der AfD, Dr. Alice Weidel.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7343706 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 96 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs |