12.04.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 96 / Tagesordnungspunkt 21

Alexander Graf LambsdorffFDP - Vereinbarte Debatte - Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir diskutieren heute Morgen die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs. Ich finde es deswegen nicht verkehrt, sich erst einmal zu fragen, worin dieser Umbruch eigentlich besteht. Ich glaube, es sind drei Elemente, die ihn kennzeichnen: erstens die Rückkehr der Großmachtrivalität zwischen großen Nationalstaaten, eine tektonische Verschiebung der globalen Machtverhältnisse, zweitens ein Systemwettbewerb zwischen autoritären Regimen auf der einen Seite und der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit auf der anderen Seite und, drittens, ein abnehmendes Gewicht dessen, was wir Multilateralismus nennen, mit anderen Worten: die Bindung der Macht an das Recht.

Die Bindung der Macht an das Recht ist das Kennzeichen dessen, was die Amerikaner „the liberal world order“, die liberale Weltordnung, nennen. Deshalb ist die Frage in dieser Situation des Umbruchs eigentlich nicht so sehr die nach der Rolle Europas. Ich finde, die Frage müsste lauten: Was sind die Ziele Europas in einer solchen Situation? Ich glaube, diese Ziele liegen auf der Hand. Wir wollen die Sicherheit unserer Gesellschaften gewährleisten. Wir wollen die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger erhalten, und wir wollen eine Weltordnung, die sich auf das Recht gründet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe eben über diese Verschiebung geredet; Sie alle sehen es jeden Tag in den Nachrichten. Die USA verfolgen zurzeit einen anderen Kurs – das machen sie ungefähr einmal pro Jahrhundert; sie haben es unter Andrew Jackson und Ted Roosevelt gemacht und jetzt mit Trump und seinem Kurs „America First“ – und fallen als Garant des Multilateralismus aus. China hat politisch massiv an Gewicht gewonnen, baut Flugzeugträger, greift geopolitisch ein; die Seidenstraßen-Initiative ist uns bekannt. Russland – wirtschaftlich nach wie vor schwach – stößt politisch sehr geschickt in bestimmte Lücken, die ihm der Westen lässt, sei es in Syrien, in Libyen oder in Venezuela. Indien, die größte Demokratie der Welt, kommt bisher in dieser Rechnung nicht vor. Seit Jahren reden alle über die wachsende Rolle Indiens. Indien findet eigentlich nicht statt.

Meine Damen und Herren, in dieser sich ändernden Welt stellen sich Fragen: Wie garantieren wir unsere Sicherheit? Wie schaffen wir es als Europäer, dafür zu sorgen, dass wir sicher leben können? Bisher – das ist eine bittere Wahrheit – schaffen wir es gar nicht. Wir als Europäer schaffen es überhaupt nicht, eigenverantwortlich unsere Sicherheit zu gewährleisten, ohne das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

Zum Ersten. Lieber Herr Gauland, Sie haben hier Donald Trump zitiert; ich versuche es mit Goethe:

Was du ererbt von deinen Vätern hast,  Erwirb es, um es zu besitzen.

Die transatlantischen Beziehungen sind in schwerem Fahrwasser; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Aber wir müssen daran arbeiten, dass sie stark bleiben. Wir müssen daran arbeiten, dass wir gemeinsam mit den Amerikanern die Sicherheit Europas garantieren können. Deswegen setzen wir als Freie Demokraten auch in schwierigen Zeiten auf starke transatlantische Beziehungen.

(Beifall bei der FDP)

Zum Zweiten: Systemwettbewerb. Wir wollen eine Partnerschaft mit Russland und China. Europa ist ein Kontinent des Handels. Deutschland ist Exportweltmeister; darauf sind wir stolz. Wir wollen Partnerschaft. Aber wir kommen nicht umhin, festzustellen, dass in China die Kommunistische Partei eine Alleinherrschaft ausübt, ein Social-Credit-System eingeführt hat, mit dem jeder Bürger jeden Tag bewertet wird, und wer dem Regime nicht genehm ist, darf noch nicht einmal mehr mit der Eisenbahn fahren. Es gibt Umerziehungslager. Es gibt 1 Million Menschen, die in Shenyang eingesperrt worden sind. Wir haben in Russland, einem Nachbarland der Europäischen Union, gelenkte Demokratie, gefügige Justiz, Gefängnisse voller Demokraten. Das kann es nicht sein, meine Damen und Herren. Dieses Russland führt aktiv Maßnahmen durch, um sein autoritäres, illiberales, intolerantes Gesellschaftsmodell zu uns zu exportieren, und die AfD steht – das haben wir gesehen – jedenfalls in Teilen bereits unter totaler Kontrolle.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der AfD)

Liebe Frau Barley, muss man Russia Today kurz vor der Europawahl ein solches Interview geben, wie Sie das getan haben? Ich finde, das stärkt die Resilienz unserer Gesellschaften nicht gerade.

Der letzte Punkt, meine Damen und Herren: die Bindung von Macht an Recht. Die Vereinten Nationen zu stärken, gemeinsam Konflikte zu bearbeiten und Krieg zu vermeiden, sind zentrale Aufgaben, denen sich Deutschland und Europa gegenübersehen. Ich fand es gut und richtig, dass die Bundesregierung eine Allianz der Multilateralisten gründen wollte. Nur: Es hat noch kein einziges Treffen gegeben. Wo ist das denn? Wo ist denn die Stärkung der Vereinten Nationen? Wo ist denn die Stärkung unserer anderen multilateralen Bündnisse? Wo ist denn die Glaubwürdigkeit in der NATO, wenn ich Ihre Haushaltspolitik sehe, liebe Bundesregierung?

(Beifall bei der FDP)

Wo ist die Antwort auf Macron, liebe Frau Bundeskanzlerin? Dröhnendes Schweigen aus dem Kanzleramt angesichts eines französischen Präsidenten, der aus Europa wirklich etwas machen will.

Wenn wir es mit dem Multilateralismus, mit dem Völkerrecht ernst meinen, dann müssen wir verantwortungsvolle Politik machen, damit wir Sicherheit als gute Verbündete, Freiheit als echte Demokraten und die Garantie des Rechts für dauerhaften Frieden erreichen können. Das sind die Ziele Europas in dieser Welt des Umbruchs. Dafür müssen wir gemeinsam arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Andrej Hunko, Die Linke, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7343711
Wahlperiode 19
Sitzung 96
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs
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