Nicola BeerFDP - Innovationsprinzip bei Gesetzgebung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei unserem Antrag zum Innovationsprinzip geht es um die Art und Weise, wie wir in Deutschland Gesetze machen. Das Erstellen von Gesetzentwürfen ist detailliert geregelt; das wissen Sie. Es ist zwingend eine Gesetzesfolgenabschätzung durchzuführen. Gesetzesfolgen wiederum sind definiert als Auswirkungen, beabsichtigte oder unbeabsichtigte Nebenwirkungen eines Gesetzes. Nach den hierzu entworfenen Regeln sind aber nur Risiken und Gefahren, die sich aus einem Gesetzesvorhaben ergeben könnten, zu evaluieren und auszuschalten.
Chancen? Chancen, die sich durch ein Vorhaben ergeben, aber auch solche Chancen, die durch eine gesetzgeberische oder behördliche Initiative quasi als Kollateralschaden verhindert werden, werden nicht untersucht, und ich glaube, das müssen wir dringend ändern.
(Beifall bei der FDP)
Alles andere wäre eine Kastration unseres Denkens.
Nach einer Studie von acatech und der Körber-Stiftung meint knapp die Hälfte der Befragten, dass die Technik die Lebensqualität der nachfolgenden Generationen verbessere. Gut die Hälfte hielt sich selbst für an Technik interessiert, und 55 Prozent äußerten gar Begeisterung für Technik. Diese Technikbegeisterung, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat „made in Germany“ zu einem Gütesiegel werden lassen, hat uns allen Wohlstand und Lebensqualität gebracht. Wir sollten sie daher nutzen, um in der innovativen Welt von morgen weiter Gewinner des Fortschritts sein zu können.
(Beifall bei der FDP)
Fast 90 Prozent der von acatech und Körber-Stiftung Befragten sagten, dass der technische Wandel nicht mehr zu stoppen sei. Ja wenn dem so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann lassen Sie ihn uns doch gestalten, und zwar so gestalten, dass er dem Menschen dient! Der Ansatz, möglichst umfassend zu verbieten, was nicht gewollt ist, reicht nicht aus, um Innovationsfreude und -fähigkeit zu fördern;
(Beifall bei der FDP)
er reicht insbesondere nicht aus, um in der Welt von morgen bestehen zu können.
Wissenschaft und Industrie, sie haben immer wieder zahllose Alternativen entwickelt, die dann immer wieder vom grünen Bann getroffen wurden. Denken Sie nur an die derzeitige Debatte um das Elektroauto und die Skepsis mancher Mitglieder dieses Hauses gegenüber individueller Mobilität!
Wir Freien Demokraten wollen deshalb innovationsstimulierende Rahmenbedingungen schaffen,
(Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])
und zwar neben dem Vorsorgeprinzip. Wohlgemerkt, Frau Kollegin – Sie regen sich jetzt schon wieder so auf –: Es soll nicht anstatt, sondern daneben gelten; denn wir wollen uns weder in der Sicherheit noch im freien Denken beschränken lassen.
(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Klar ist doch: Technik muss Grenzen achten, und zwar Grenzen, die die Gesellschaft vorgibt. Sie hat den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Technik muss mit gesellschaftlichen Werten, wie Umweltschutz und Gerechtigkeit, im Einklang stehen.
(Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?)
Technikbegeisterung auf der einen Seite und gesunde Vorsicht und Wachsamkeit auf der anderen Seite, genau das ist es, was wir in der Gesetzesfolgenabschätzung abbilden müssen; denn nur die Berücksichtigung beider Aspekte wird den Anforderungen an unsere Innovationsfähigkeit gerecht.
(Beifall bei der FDP)
Genau deshalb gehört neben das Vorsorgeprinzip auch das Innovationsprinzip. Das Vorsorgeprinzip muss sicherstellen, dass wir die Risiken für Mensch und Umwelt erkennen und dass diese sodann ausgeschlossen oder reduziert werden, je nach Sachverhalt. Verbote und Krisenszenarien alleine aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, reichen bei Weitem nicht aus, um Innovationsfreude und Innovationsfähigkeit bestmöglich zu fördern – geschweige denn zur Förderung der Innovationen selbst.
Unterstützen wir doch unsere Ingenieure, unsere Techniker, unsere Tüftler! Vertrauen wir denen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind! Lassen Sie uns in Gesetzesvorhaben einfach abbilden, dass wir technikbegeistert sind, dass wir die Technik von morgen nutzen wollen,
(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)
um den Menschen morgen und übermorgen ein noch besseres Leben zu ermöglichen!
(Beifall bei der FDP)
Frau Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ebner, Bündnis 90/Die Grünen?
Gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben jetzt gerade erläutert, Sie wollen das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip stellen, und beziehen sich in Ihrem Antrag darauf, dass dieses Innovationsprinzip auf europäischer Ebene bereits verankert sei.
Ich möchte Sie jetzt fragen: Wie können Sie das denn belegen? Bislang gibt es keinen einzigen Punkt, an dem dieses Innovationsprinzip tatsächlich verankert ist. Es gibt auf der europäischen Ebene einen Streit darüber, ob man das in einem Forschungsprogramm bei den Erwägungsgründen erwähnen möchte oder nicht, wohingegen das Vorsorgeprinzip tatsächlich primärrechtlich und sekundärrechtlich – sozusagen mit Verfassungsrang – verankert ist. Deshalb möchte ich Sie fragen, woher Sie diese Aussage nehmen, dass das bereits verankert ist.
Sie haben schon vor Jahren mit einem „Bedenken second“-Prinzip Wahlkampf gemacht. Habe ich Sie richtig verstanden, dass das jetzt „Innovation first. Bedenken second“ bedeutet? Sind Sie der Auffassung, dass der Schutz des Menschen – insbesondere auch der Kinder – und der Umwelt die Regulierung von neuen Technologien nicht rechtfertigt?
Sehr geehrter Herr Kollege, auf die Frage der europäischen Ebene wäre ich in meiner Rede noch eingegangen. – Wir haben auf der europäischen Ebene bereits die Toolbox 21 entwickelt, die von der Kommission auch angewendet wird. Deswegen ist das, was Medien jetzt zum Teil berichtet haben, falsch, dass nämlich in dem Horizon-Europe-Programm zum ersten Mal auch das Innovationsprinzip gleichberechtigt neben dem Vorsorgeprinzip stehen soll. Es ist letztendlich dadurch, dass wir im Sekundär- und Primärrecht ein entsprechendes Vorsorgeprinzip verankert haben, nicht ausgeschlossen, dass diese beiden Prinzipien gemeinsam angewandt werden.
Das bedeutet eben nicht, dass wir nicht auf die Risiken eingehen, sondern das bedeutet lediglich, dass wir beide Seiten in die Abwägung einbeziehen.
(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)
Wir berücksichtigen also auch die Chancen. Wenn wir sie nicht mit einbeziehen würden, würden wir sie zum Teil vergeben. Damit wird den Menschen nicht gedient.
Die Technik muss den Menschen dienen, und wir müssen schauen, wie wir Risiken auch durch Technik in den Griff bekommen. Im Rahmen der Abwägung müssen wir genau die Möglichkeiten heraussuchen, die für uns als Gesellschaft, für den Planeten und für unsere Umwelt am Ende am meisten bringen. Genau auf diese Innovationen möchte ich hinaus. Die möchte ich eben nicht mehr durch die Einseitigkeit des Vorsorgeprinzips behindert sehen.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen noch einmal, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Ohne Innovationen sind wir nicht in der Lage, unser Gemeinwesen in der Verfassung zu halten, die wir momentan haben – geschweige denn, es im Sinne der Bürgerinnen und Bürger weiter auszubauen und auszugestalten. Mit dem Innovationsprinzip – das halte ich für wichtig – bekommen wir an dieser Stelle nämlich auch einen Mentalitätswechsel. Indem der Fokus nicht nur auf die Risiken gelegt wird, sondern auch die Chancen gewürdigt werden, signalisieren der Staat und das Parlament: Innovationen sind uns wichtig, und sie lohnen sich. – Das ist eben ein Denken ohne Scheuklappen – und zwar bitte auf allen Ebenen. Wenn die Gesetze die Evaluierung von Chancen vornehmen, wenn der Blick auch auf die Chancen geweitet wird, die es nicht zu verspielen gilt, dann bekommen wir ein anderes gesellschaftliches Klima, und zwar eines für Innovationsfreude und Innovationsbereitschaft.
(Beifall bei der FDP)
Wenn die Behörden dann auch so agieren, dass sie bei der Auslegung von Rechtsquellen und bei behördlichen Entscheidungen gegenüber dem Bürger nicht einschränkend agieren, sondern innovativen Ideen positiv begegnen, dann haben wir eine entsprechende Veränderung – und das im Übrigen nicht nur bei technischen Vorhaben, sondern bei jedwedem Verwaltungshandeln. Überall müssen diese Chancen mitgedacht werden, und es muss vor allem mitgedacht werden, welche Möglichkeiten für unsere Gesellschaft wir ansonsten verhindern.
Lassen sie mich ein Beispiel dafür anführen, warum das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip gehört: Das sehen wir ganz aktuell in der Klima- und Verkehrspolitik, und zwar bei der viel zu starken Konzentration auf die batteriebetriebene E-Mobilität. Wäre das Innovationsprinzip hier bereits verankert, dann würden wir fragen, welche Chancen wir uns durch diese einseitige Fokussierung gerade entgehen lassen, zum Beispiel die Entwicklung vielleicht noch besserer Techniken. Biokraftstoffe, Biomethan, synthetisches Methan, mit erneuerbaren Energien aus Wasser und CO 2 erzeugtes Kerosin könnten mit ihrer Emissionsfreiheit
(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)
einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der vorgegebenen Ziele erreichen.
(Beifall bei der FDP)
Mit dem Innovationsprinzip neben dem Vorsorgeprinzip müssen wir bereits im Entwurfsstadium eines Gesetzes sicherstellen, dass andere Optionen – hier, in diesem Fall: neben den Batterieautos – nicht verloren gehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auf die einzelnen Beispiele Ihres Antrages möchte ich gar nicht eingehen. Das wäre kleines Karo, weil wir das Vorsorgeprinzip an dieser Stelle eben nicht abschaffen, sondern lediglich ergänzen wollen, um den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich wäre froh, wenn wir das im Ausschuss auch ergebnisoffen diskutieren könnten.
Frau Kollegin.
Sie sind als Grüne ja eigentlich mal als modern und progressiv angetreten –
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist lange her! – Christian Dürr [FDP]: Sehr lange her!)
150 Jahre nach den Liberalen.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte.
Vielleicht können Sie einfach mal zeigen, dass auch neues Denken bei Ihnen möglich ist.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7343726 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 96 |
Tagesordnungspunkt | Innovationsprinzip bei Gesetzgebung |